"La bella confusione": Die schöne Verwirrung. Der Arbeitstitel von "8½" beschreibt ziemlich genau den Zustand, in dem er den Zuschauer nach dem ersten Ansehen zurückläßt. Es gab großartig schwarz-weiß photographierte Bilder, schöne Frauen, elegante Garderobe, man wurde obendrein beinahe pausenlos mit elaborierten, dabei schnell vorgetragenen Dialogen quasi attackiert – und befindet sich nach über zwei Stunden in eben jenem rechtmäßig erworbenen Stand der Erschöpfung, Verwirrung, aber auch der Begeisterung. Und ist der Betroffene nicht völlig abgeklärt oder unempfänglich, so wird er, nach angemessener Erholung, um eine zweite, dritte Sichtung nicht umhinkommen und sich auch vor einer vierten nicht fürchten, ja ihr entgegenfiebern.
Da ist Guido, erfolgreicher Filmregisseur in mittleren Jahren, charmant, zerstreut, mit dem Zug des weltmännischen Ennui um die Mundwinkel. Die Erwartungen an seinen aktuellen Film, dessen Vorproduktion abgeschlossen ist, sind hoch, monumentale Bauten werden errichtet, Schauspieler, Agenten, Produzenten, Journalisten umschwirren und bedrängen ihn. Um so mehr, als Guido die Dreharbeiten verschoben und offenbar noch nicht verkündet hat, was genau eigentlich im Film passieren wird.
Guido selbst weiß es allerdings auch nicht. Um seine Schaffenskrise zu bewältigen, holt er sein Privatleben ins nahgelegene Spa: Die Geliebte Carla reist an, fordert ihn psychisch und physisch, seine Frau Luisa erkundigt sich telephonisch, und Guido lädt auch sie ein zu kommen. Von der derart konzentrierten Personenkonstellation überfordert – Ehefrau und Geliebte begegnen und erkennen sich natürlich – entflieht Guido in Nacht- und Tagträume sowie Kindheitserinnerungen und -phantasien. Überdies läßt er seinen Ehekonflikt ins Drehbuch einfließen, was bei der Aufführung von Probeaufnahmen allen Anwesenden klar wird. Damit spitzten sich sowohl die private als auch die berufliche Situation allmählich zu, eine Katastrophe scheint unausweichlich.
Was dergestalt geschildert wie ein passabler Plot klingt, ist durch den Zuschauen nur unter Aufwendung aller Aufmerksamkeit zu erschließen. Denn man hat es nicht mit einem klassisch auktorialen, verläßlichen Erzähler zu tun, sondern einer Geschichte mit Eigenleben, die sich selbst kommentiert, der Kamera zuweilen ein Eigenleben verschafft und den Betrachter scheinbar im Ungewissen läßt, ob er gerade einem Traum, einer Phantasie Guidos oder dem "realen" Geschehen folgt. Wie real Letzteres denn ist, wird durch ein äußerst elegantes und delikates Mise en abyme verstellt: Wir sehen den Film über einen Film, und es ist zunächst schwer auszumachen, welche Passagen sich tatsächlich abspielen und welche "nur" in Guidos Kopf stattfinden. Denn mehr als einmal geschieht es, daß Guidos persönlicher Kritiker sich ins Bild schiebt und und darüber doziert, was wir gerade sehen, gesehen haben oder sehen werden, oder daß sich vermeintliche Traumpassagen als Teile des erst zu realisierenden Drehbuchs erweisen – wir sehen den Film, den Guido eigentlich machen will, und mannigfaltig sind die Spiegelungen, Brechungen und cleveren Wiederaufnahmen von Motiven und Symbolen. Subtil, aber durchgängig wird auf die Poetizität des Films (sowohl Guidos, als auch dessen, den wir sehen), sein Verfertigt-Sein als Kunstprodukt verwiesen.
Der stets sichtbare thematische Faden ist jedoch die Lebenskrise des Mannes in den besten Jahren, sein Verhältnis zu den Frauen, sein Begehren, seine Ängste und seine Libido. Guido sieht sich von Frauen umringt: Attraktive Schauspielerinnen, Luisa und Carla im Spa, seine Mutter, seine Großmutter und die ominöse Saraghina in der Erinnerung. Sie alle bilden kontrastierende, aber für Guido essentielle Bilder des Weiblichen, die er im tatsächlichen Leben nicht vereinbaren kann. Beispielhaft wird dies in der Charakterisierung von Guidos Frau Luisa und seiner Geliebten Carla. Beide könnten keinen stärkeren Gegensatz zueinander bilden: Die knabenhafte Luisa trägt Brille und schlichte Kleidung, ist vernünftig, intelligent, das Rückgrat der langjährigen Beziehung. Zum Schlafen braucht sie Medikamente. Die üppige Carla dagegen schwatzt alles Mögliche daher, ißt ständig, ist physisch überpräsent (Sex, Krankheit) und trägt auffällige, ja lächerliche Mode. Sie schläft gut – und träumt.
Entsprechend bildet das Herzstück des Films eine imaginierte Szene, in der alle Frauenfiguren aus Guidos Leben in dem Haus seiner Kindheit versammelt und in ihren jeweiligen Eigenschaften noch zugespitzt werden. Und wie im wirklichen Leben wächst Guido die geballte Weiblichkeit über den Kopf: Nachdem die immerhin zehn oder mehr Frauenzimmer ihn bemuttern und verwöhnen, erheben sie sich gegen ihn, und nur mit der Peitsche kann er sie zur Ordnung rufen. Seine Machismo-Phantasie läßt ihn auch in dieser Situation nicht im Stich: Die Damen empfangen die Peitschenhiebe mit lustvollem Stöhnen und gehorchen.
Hier entfaltet sich ein Motiv, die sich in einer Clownsfigur schon zuvor angedeutet hatte und in der Schlußszene dann ausbuchstabiert wird: Das des Zirkus, mit Guido als Direktor oder Löwenbändiger, jedenfalls als männlichen spiritus rector. Die Peitsche knallt, Zähne werden gebleckt, und eine dunkelhäutig-exotische, fauchende Schönheit wird auf ihren Platz verwiesen.
Bricht man nun diese fast freudsche Durcharbeitung männlicher Triebkonflikte auf ihre Essenz herunter – einen männlichen Bezugspunkt gibt es für Guido nicht, selbst im Traum stiehlt sich sein Vater davon, und die katholischen Patres sind vergeistigt oder alt und asexuell – so fällt auf, daß das angesprochene sowie die angrenzenden Problemfelder, um die "8½" kreist, in einer vielleicht zu sehr simplifizierenden dichotomischen Struktur angeordnet sind: Liebe und Sex, Vernunft und Trieb, Jugend und Alter, Kreativität und Flaute, Anspruch und Realität bzw. Ideal und Wirklichkeit, Mann und Frau, Moral und Amoral. Dieses Arrangement von diametral Entgegengesetzem entspricht zwar ganz den traditionellen Topoi der abendländischen Kulturgeschichte, seien es die zwei Seelen in der Brust des schaffenden Menschen bzw. Mannes, oder den klassischen loci communes wie das notorische "ars longa, vita brevis". Das mag, vor allem in Hinblick auf die ausgeklügelte narrative Struktur, etwas banal wirken, verhindert aber das Entgleiten des Films in zu schwer entschlüsselbare Avantgarde-Kunst und ermöglichte seinerzeit mit Sicherheit den breiten Erfolg bei Publikum und Kritikern.
Die Schwarzweiß-Malerei im wörtlichen Sinne findet sich filmisch vielfältig wieder, etwa in der Garderobe der Charaktere: Louisa trägt vorwiegend weiß, Carla schwarz. Auch auf anderer Ebene setzt sich dieses Gestaltungsprinzip fort, in der notwendig schwarzen Kleidung der Kirchenmänner, im zunächst schwarzen, später weißen Umhang Guidos als Kind und natürlich in der vorwiegend weißen Bekleidung aller Beteiligten im Finale. Zwischen den Extremen der Frauentypen (triebhaft vs. vernünftig) hin- und hergeworfen, macht Guido sich das ideale Bild einer Frau, die beide vereinigt – in der Schauspielerin Claudia, die ihm in Visionen immer wieder (weißgekleidet) erscheint und die für ihn wünschenswerte Kombination aus Fürsorge und Sinnlichkeit bildet. Um so ernüchternder, als Claudia schließlich (schwarzgekleidet) eintrifft und ihm seine Charakterschwäche und Selbstfixierung schonungslos vor Augen hält. In der diffizilen Gestaltung von Licht und Schatten (z.B. Guido zu Beginn im Bad, Guido und Claudia im Auto) setzt sich diese auffällige, wiewohl nie eindeutig entschlüsselbare Dramaturgie fort und reizt die Möglichkeiten der monochromen Bildgestaltung auf das Durchdachteste, Effektivste und nicht zuletzt Schönste aus. – Dies soll als ein Beispiel für die filmästhetischen Zutaten genügen, denn auch zur Kameraführung, der Verschränkung der Zeit- und Phantasieebenen oder zur Musik wäre Einiges zu sagen.
Fellini – seine Person wurde bis hierhin bewußt ausgespart – ist es zu danken, daß die luftig-schwebende Konstruktion von "8½" nicht zu kopflastig wird. Der Film ist komplex, aber nicht kompliziert, randvoll angefüllt mit beliebig zu erkundenden Diskursen, und trotzdem mit leichter und sicherer Hand ausgeführt. Fellini führt vor Augen, daß die durchexerzierte Autoreferentialität eines Mediums nicht ins Akademische abgleiten muß, sondern spielerisch und durchaus vergnüglich gehandhabt werden kann, ohne daß dabei die Brillanz der Reflexion beeinträchtigt wird. Zieht man nämlich noch die Umstände der Entstehung von "8½" hinzu – was man keinesfalls muß – ergibt sich noch eine weitere lohnende Deutungsebene, denn bekanntlich spiegelte Fellini seine eigene kreative Krise und die Probleme mit eben jenem Film "8½" in die Gestalt Guidos hinein, und viele der auftretenden Personen haben ihre realweltliche Entsprechung oder treten gar unter ihren Eigennamen auf.
Doch selbst ohne diese biographische Referenz funktioniert der Film mit träumerischer Eleganz – was man nicht von jedem der inzwischen zahlreichen Nachahmer behaupten kann. Der Zufall wollte es, daß ich zeitnah Soderberghs "Full Frontal" (2002) sah, der in nicht nur einer Beziehung von "8½" abstammt. Daß aber selbst ein nachweislich anspruchsvoller Regisseur wie Soderbergh in diesem Fall künstlerisch nicht einmal in die Nähe Fellinis zu gelangen vermag, läßt den Geniestreich des Letzteren nur um so deutlicher hervortreten. Luftschlösser wie jenes sinnbildliche Gerüst am Strand, das als untaugliche Abschußrampe für den nicht (bzw. doch) zustande gekommenen Film am Ende abgerissen werden muß – solche Luftschlösser überhaupt erst zu errichten, gelingt ganz offensichtlich nicht oft.