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Deutschland Anfang der Dreissiger: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit. Eine wachsende Anzahl Erwerbsloser ist auf der verzweifelten Suche nach einem Job. Auch Kurt ist einer von ihnen und nun schon seit Monaten erfolglos auf der Suche nach einer Stelle. Seine Eltern machen ihm Vorhaltungen, das Arbeitslosengeld wird gekürzt. Er stürzt sich aus dem Fenster.
Seinen Eltern und seiner Schwester wird bald darauf die Wohnung gekündigt, sie müssen umziehen nach Kuhle Wampe, einer ärmlichen Zeltstadt ausserhalb Berlins.
Anni, die Schwester, turtelt mit ihrem Freund Fritz herum und es kommt, wie es kommen muss: Das Mädel wird schwanger. Sie verliert ihre Stelle, Fritz sieht weder der Geburt des Kindes noch der Hochzeit (er fühlt sich dazu gezwungen) allzu enthusiastisch entgegen, die Feier verkommt zu einem Gelage, an dem sich ihr Vater und die Gäste hemmungslos besaufen.
Anni zieht die Konsequenzen, verlässt ihre Familie und tritt wieder der sozialistischen Sportvereinigung bei, welche sie für Fritz verlassen hat. Diese hilft bei der Organisation eines Sportfests der linken Gewerkschaften mit, an dem auch kleine Lehrstücke vorgespielt und –gesungen werden. Fritz, der inzwischen ebenfalls ohne Arbeit dasteht, schliesst sich ihnen an. Der Film endet mit einem Streitgespräch in der U-Bahn zwischen den sozialistischen Jugendlichen und ein paar bürgerlichen Herren und Damen.

Bertold Brecht hat diesen Film mit ein paar politisch gleich gesinnten Kollegen und Freunden konzipiert (Anstoss war ein Dokumentarfilm von Regisseur Slatan Dudow namens ZEITPROBLEME: WIE DER ARBEITER WOHNT) und deswegen verwundert es nicht, dass sich hier ein astreines kommunistisches Lehrstück entwickelt, ganz in der Tradition von Brechts Theater und den Werken der russischen Revolutionsfilmer à la Eisenstein, die selbst auf formaler Ebene mit Bild- und Tonmontage nicht die Illusion der erzählten Geschichte unterstützen, sondern mit effektvollen und assoziativen Bild- und Tonfolgen Gedankengänge in Bewegung setzen und Erkenntnisse (natürlich immer solche zugunsten der sozialistischen Ideologie) provozieren wollten (ähnliches sollte Jahrzehnte später beispielsweise auch ein Rainer Werner Fassbinder versuchen). Als offen kommunistischer Film hatte es der Streifen (ein Jahr vor der Machtübernahme der Nazis) natürlich nicht leicht, bekam es mit der Zensur zu tun und unterlag Verboten, so dass heute nur noch unvollständige Fassungen vorhanden sind. (Dabei war der Dreh selber schon schwierig genug: Die Produktionsgesellschaft Prometheus ging Pleite – Tonfilm war teuer –, die Zürcher Präsens-Film musste übernehmen; zudem mussten Sicherheitskräfte der KPD das Filmteam vor Mitgliedern der SA schützen.)

Auch wenn man bei KUHLE WAMPE (was übrigens so viel heisst wie „leerer Bauch“) längst nicht so radikal zu Werke geht wie bei den Filmen der sowjetischen Kollegen, ist die Tendenz doch klar spürbar: So wird zum Beispiel am Anfang in dem Rennen auf den Fahrrädern die Jagd nach einer Arbeitsstelle auf die Spitze getrieben (Kapitalismus als Wettkampf, bei dem nur die besten gewinnen und die Verlierer leer ausgehen, egal, wie sehr sie sich „abstrampeln“) oder löst die Begegnung mit einer Horde von Kindern bei Anna (just nachdem Fritz von einer Abtreibung überreden wollte) eine Flut kleinkindbezogener Bildern (wobei auffällig viele Konsumgüter für und um das Kind gezeigt werden) und solche vom Tod ihres Bruders aus. Überhaupt ordnet sich das Bild der Geschichte nicht unter, sondern macht in solchen Szenen immer wieder auf sich aufmerksam und weckt überraschende Gedankenverknüpfungen. Auch der Ton unterstützt nicht einfach nur die Illusion der fiktionalen Welt, sondern kommentiert aktiv (wenn zum Beispiel Anna und Fritz zusammen spazieren gehen und darüber ein Liebeslied gelegt wird, das die aufwallenden Gefühle im Frühling besingt) und kontrapunktiert sie (wenn besagtes Liebeslied gegen Ende eine düstere Note annimmt). Die Musik und die Lieder (darunter das berühmte „Solidaritätslied“) stammen von Komponist und Musiktheoretiker Hanns Eisler.

Alles im Dienste der sozialistischen Botschaft: Weder die Wirtschaft (in der die Schwachen dem Untergang geweiht sind), noch die Familie (resp. das soziale Umfeld, das nur Eifersucht und Egoismus kennt), noch der Staat (der die Arbeitslosenunterstützung kürzt) helfen den armen Arbeitern (sind sogar eher die Ursache und Mitträger des Übels), sondern die Solidarität unter ihresgleichen. Nur sie selbst können die Welt ändern und zu einem besseren Ort machen, im Gegensatz zu den Bürgerlichen, denen es ja (auf Kosten der Arbeiter) ganz gut geht. Spätestens im Streitgespräch (das sich um die Globalisierung dreht: Brasilien hat zuviel Kaffee geliefert, also werden grosse Teile der Bestände in Deutschland vernichtet, um den Preis hochzutreiben) in der Bahn macht der Film das klar. Ob man diese Botschaft für voll nehmen kann, ist eine andere Geschichte. (Ich persönlich finde es sehr naiv – die Geschichte hat uns ja gelehrt, wie gut der Sozialismus, auf die Realität übertragen, funktioniert.) Brecht selber zu KUHLE WAMPE: „In diesem Film stehen sich das Kleinbürgertum und die politisch bewusste Arbeitersportbewegung gegenüber. Gezeigt wird das Wachsen der Jugend aus kleinbürgerlicher Enge in die proletarische Solidarität.“

Wie gesagt: Gestaltung und Geschichte ordnen sich der Botschaft unter und so wirkt der Film in seiner Gleichnishaftigkeit oft etwas steif (allein schon wegen den etwas monoton vorgetragenen Dialogen) und alles andere als eingänglich. Andererseits: Der immer wieder überraschende Stil, die Verkürzungen in der Story (nachdem Anna ihren Job verloren hat, wird ihre Suche in einer schnell geschnittenen Motagesequenz gezeigt) und die Kürze des Filmes (er dauert ja nur 70 Minuten) sind durchaus dazu angetan, dass einem KUHLE WAMPE niemals langweilig vorkommt und wie im Fluge vergeht.

Die Protagonisten sollen keine Individuen, sondern typische Beispiele für bestimmte soziale Schichten darstellen, daher wirken sie etwas unpersönlich und es besteht eine gewisse Distanz zwischen ihnen und dem Zuschauer. Trotzdem: Hertha Thiele (Anni), die den Film so gut wie allein trägt, bringt sowohl die starke wie auch die zerbrechliche Seite ihres Charakters überzeugend rüber und macht den Film alleine schon sehenswert. (Im Übrigen gefällt mir auch ihre kecke Bubikopf-Frisur sehr.) Sie fing als Theaterschauspielerin an, erlangte mit der Verfilmung von MÄDCHEN IN UNIFORM auch im Film Berühmtheit, emigrierte in der Nazizeit in die Schweiz und liess sich später in der DDR nieder. Auch die anderen Darsteller dieses Filmes hatten in der Folge politische Verfolgung zu erleiden.
Überzeugend auch Ernst Busch als Fritz, dessen Charakter allerdings etwas fragwürdig bleibt, weil er erst zum Sozialisten wird, als auch er seine Stelle verliert. Max Sablotzki und Lilli Schönborn geben als Vater und Mutter ein wunderbares Beispiel für das unpolitische Kleinbürgertum ab, dem es nicht in den Sinn kommt, etwas zu verändern, sich stattdessen in den Alkohol flüchtet.

Fazit: Man mag mit der aus heutiger Zeit naiv wirkenden Botschaft nicht einverstanden sein und es ist sicher nicht das Ziel des Filmes, eine unterhaltsame Geschichte zu bieten, aber die flüssige, treibende und immer wieder verblüffende Inszenierung und Hertha Thiele in der Hauptrolle muss man gesehen haben. (Allerdings hatten da die bereits erwähnten Russen doch noch etwas mehr auf dem Kasten.)

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