Review
von Leimbacher-Mario
Armsein ist harte Arbeit
In den letzten Jahren hat man im Zusammenhang mit manchen Filmen oder Dokus immer wieder die Bezeichnung „poverty porn“ gehört. Also so etwas wie eine Aufgeilung und Schadenfreude von solide bis sehr gut situierten Leuten gegenüber der Unterschicht. Von „Frauentausch“ bis „Capernaum“ verteilt sich hier das Spektrum der Beschuldigten weit. Ist „Sullivans Travels“ sozusagen der Urgroßvater solcher (umstrittener und meiner Meinung nach nur im seltensten Fall zutreffender) Anklagen? Nein. Denn Sturges macht sich keine Sekunde über Armut lustig. Eher über sich selbst und die Reichen, die Oberschicht, Hollywood, unsere Vorstellung von Armut und der Fantasie, diese mal eben „nach zu spielen und zu erfahren“. Wer das nicht erkennt, dem ist kaum zu helfen. Handlung: ein erfolgreicher Hollywoodregisseur will keine flachen Komödien mehr drehen und mehr auf Message und Drama und Ernsthaftigkeit setzen. Da er seit Geburt die Privilegien von Reichtum und Gesundheit und Erfolg genießt, keine Ahnung von Armut und der Straße hat, beschließt er eine Zeit lang als Obdachloser herumzuziehen und das Leben „von unten“ kennenzulernen. Und dabei erlebt er einige Abenteurer und kommt zu überraschenden Erkenntnissen...
„Sullivans Travels“ ist ein Klassiker und für viele Preston Sturges Höhepunkt. Dem kann ich kaum widersprechen. Selbst wenn die vielseitige, dramatische, tiefgründige Komödie oft eher wie ein Experiment als ein kohärenter, harmonischer Film wirkt. Es werden unterschiedliche Stile aneinandergereiht, durcheinandergeworfen, die eigentlich nicht funktionieren dürften, es jedoch tun. Von Slapstick über stumme Sequenzen bis hin zu sozialem, schwerwiegendem Drama, von traurigem Realismus bis surrealem Chaos. Der Film hat ein aufbrausendes Tempo und oft meint man, er wüsste selbst nicht genau wohin und improvisiert sich seinen eigenen Weg. Romantik, Witz, Drama, Leichtigkeit, Schwere. Man wird immer wieder fintiert und in mögliche Enden gewiegt, nur um dann wieder einer Wendung und einem Stimmungsbruch aufzusitzen. Doch gerade diese Unberechenbarkeit und Mischung und Modernität und Metaaspekte machen „Sullivans Travels“ zu einem wegweisenden Schatz, der Grenzen und Mauern sprengte und sich immer wieder neu erfindet. In nur 90 Minuten. Und zudem noch das Herz am rechten Fleck hat. Was will man mehr. Achja, wie wäre es mit Veronica Lake?! Ein Genuss.
Fazit: alle Wege führen nach Hollywood. Und Reichsein ist keine Schande. Wenn man denn nicht vergisst, dass es ein Glück und Privileg ist, das leider nicht alle haben. „Sullivans Travels“ hat seinen legendären Ruf verdient und ist vor allem im ernsteren, letzten Drittel ein leuchtender Klassiker und eine Ode an das Lachen und die oft verspottete „leichte Unterhaltung“. Ein Metazauber voller Facetten und Stile. Seiner Zeit wahrhaft voraus. Und Frau Lake. Nuff said.