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Als die Eltern der beiden Geschwister Gulistan und Firat einem politischen Mord zum Opfer fallen und ihre Tante von der Geheimpolizei verschleppt wird, bleiben die knapp 10-Jährigen ganz allein zurück. Anfangs kümmern sich einige Nachbarn ein wenig um sie, doch mit der Zeit bleiben sie vollkommen auf sich gestellt. Ohne Geld landen sie auf der Straße, werden ausgenutzt, vertrieben, betrogen und fangen an, sich mit Gaunereien und Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Ihre Begegnungen mit Menschen auf der Straße führen sie schließlich zu einem der Mörder ihrer Eltern...

Die deutsch-türkische Co-Produktion „Min Dit“ zeigt das harte Schicksal obdachloser Minderjähriger in der Türkei und spart dabei ganz und gar nicht mit Kritik an einem korrupten und gewalttätigen Staatsapparat sowie einer Gesellschaft, die durch Egoismus, Mitleidlosigkeit und Härte geprägt ist. Auch wenn das mitunter ein wenig polemisch und didaktisch wird, bleibt der Film die meiste Zeit über doch recht ambivalent: Die meisten der Menschen, die den verzweifelten Kindern ihre Hilfe verweigern, werden selbst als von Nöten getrieben dargestellt – Armut, harte Jobs, Angst vor behördlichen Konsequenzen treiben die Menschen in eine unsolidarische Haltung, in der alle nur an ihr eigenes Wohl denken können, und das durchaus nachvollziehbar.

Mit erstaunlicher Offenheit prangert der Film nicht nur Missstände des politischen Systems in der Türkei an – Geheimpolizei, die geradezu mit Mafiamethoden gegen politisch unliebsame Personen vorgeht, Behörden, die sich stur an Vorschriften halten und keinerlei Rücksicht auf die einzelnen Menschen nehmen, investigativer Journalismus, der unter gefährlichen Bedingungen durchgeführt wird – sondern zeigt auch die tief verwurzelte Bigotterie der Gesellschaft auf: Eine junge Frau, die ihrer religiösen Mutter gegenüber vorgibt, als Haushaltshilfe zu arbeiten, tatsächlich aber auf den Strich geht, steht hier für ein Moralsystem, das jegliche offene Sexualität zur Sünde erklärt, aber mit ungeheurer Selbstverständlichkeit von misogynen Männern ausgenutzt wird, die die Prostituierte mit einer Herablassung und Brutalität herumkommandieren, der man anmerkt, dass sie sie nicht als vollwertigen Menschen ansehen.

Das alles wird mit einfachen Mitteln, vor authentischen Kulissen und mit vielen überzeugenden Statisten dargestellt. Der Stil bleibt semidokumentarisch, die Kamera nähert sich oft den Figuren und ihren Gesichtern, spart die grausamsten Details geschickt aus, macht aber dennoch überdeutlich, mit welch hartem Schicksal die Kinder in diesem Gesellschaftssystem zu kämpfen haben. Bei aller politischen Kritik bleibt dabei ein wenig auf der Strecke, die psychischen Folgen dieser krassen Erlebnisse in den Kindern zu studieren – bis auf Firat, der sich einer Jugendgang anschließt und zusehends verroht, bleiben sie erstaunlich ausgeglichen und nehmen ihr Schicksal etwas zu demütig an. Auch schwächelt der Film immer, wenn es um schwierigere Ausstattungsdetails geht – die wenigen Schüsse, die im Film fallen, wirken jedenfalls nicht sehr überzeugend. Und das Ende kommt zwar aufrüttelnd und emotional daher, wirkt aber doch ein wenig zu sehr wie naives Wunschdenken.

Dennoch überzeugt „Min Dit“ als packender, bestürzender Einblick in soziale Missstände der schlimmsten Sorte, zeigt Menschen unterschiedlichster Gesellschaftsschichten und Milieus, findet neben seiner Anklage eines mitleidlosen Systems aber auch viele wunderbare Momente der tiefen Solidarität und Hilfsbereitschaft. Außerdem präsentiert er ganz nebenbei zwei wirklich hervorragende Kinderdarstellende, die sich schnell ins Herz des Zuschauendes spielen. Als so kritischer wie humanitärer Beitrag zur Durchleuchtung politischer und gesellschaftlicher Schieflagen in der Türkei ein kleines, aber starkes Werk.

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