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Julie Taymor hat vor einigen Jahren mit „Titus“ (1999) eine Shakespeare-Verfilmung vorgelegt, die durch einen beeindruckenden Gestaltungswillen und grausige Gewaltdarstellungen, die der Rohheit der Vorlage überaus gerecht wurden, in Erinnerung geblieben ist. Als sich Taymor nun des „Tempest“ annahm – ein in vieler Hinsicht ganz anders gelagertes, komplizierteres Werk und im Gegensatz zu „Titus“ nicht eines der frühesten, sondern das vermutlich letzte Shakespeare-Stück – durfte man sich berechtigte Hoffnungen machen, auch dieses Mal eine kraftvolle, innovative Adaption zu sehen, umgesetzt von einer Regisseurin, die seit langem an großen Theater- und Musicalbühnen erfolgreich war und ist. Um das bedauerliche Fazit vorwegzunehmen: „The Tempest“ enttäuscht, auf hohem Niveau zwar, aber doch in den entscheidenden Belangen. Wie konnte das passieren, trotz der erfahrenen Taymor und trotz der gefeierten Helen Mirren in der Hauptrolle?

Der größte Vorwurf, den Taymor sich gefallen lassen muß, ist der Mangel einer eigenen, unverwechselbaren Vision, eines künstlerischen Konzepts, mit dem sie sich den Stoff hätte zu eigen machen müssen. Denn was geboten wird, ist eine mehr oder weniger realistische, immer aber konventionelle Illustration des Theaterstückes, zwar unter Einsatz der heute zur Verfügung stehenden Mittel zur digitalen Bilderzeugung und -manipulation, insbesondere wenn es um die Geister- und Magiedarstellungen geht, aber doch stets eng entlang der Grenzen, die eine textgetreue Interpretation setzt. Weder wird der lineare Handlungsgang aufgebrochen, noch eine überraschende Neuinterpretation der Charaktere vorgenommen, und erst recht nicht der gesamte Zauberei-Komplex einer zeitgemäßen Umdeutung unterzogen. Was hätten sich hier, Stichpunkt Medien und Magie, oder die Insellage einer Parallelgesellschaft, für Möglichkeiten aufgetan!

Doch halt, was ist mit der Idee, die männliche Hauptrolle des Magiers Prospero mit einer Frau zu besetzen und mit RSC-Schauspielerin Helen Mirren zu einer Prospera werden zu lassen? Das vermeintliche Hazardstück eröffnet tatsächlich einige neue Züge im Wesen der Magierin und in ihrer Beziehung zu den ihr untergeordneten Charakteren, insgesamt wirkt es auf die Spannungen in der Figurenkonstellation aber eher entschärfend. Denn was Prospera gewinnt, etwa am besonnenen, mütterlichen-gutmütigen, manchmal zärtlichen Verhältnis zu Ariel oder auch zu Ferdinand, das verliert sie in ihrer Rachsucht, die nur zu Anfang kurz aufblitzt, und vor allem am sexuellen Subtext in ihrer Beziehung zu Miranda (oder, je nach Interpretation, auch zu den ihr dienstbaren Geistern), der sie nun kein potentiell gefährlicher Vater, sondern nur noch dominante oder kameradschaftliche Mutter ist. Der emanzipatorische Einschlag, den man sich mit der Besetzung vielleicht erhoffte, hätte vor zehn Jahren sicher noch ganz anders gewirkt, doch inzwischen ist man an starke Frauen im Kino, insbesondere als Herrscherin, doch einigermaßen gewöhnt (siehe Kapurs „Elizabeth“-Filme oder Frears „The Queen“). Derart zurückgenommen kann auch Helen Mirren die harmlose Prospera nicht von innen glühen lassen, obwohl freilich ihr Charisma auch unter diesen Umständen wirksam bleibt, vor allem in Nahaufnahmen ihres schön gealterten Gesichts. Doch da sie sich die Szenerie mit zwei parallel ablaufenden Handlungssträngen teilen muß, kann sie nicht die Funktion des ruhenden, alles beherrschenden Pols ausüben, der dem Film gut getan hätte.
Die Gestaltung der übrigen Figuren ist wenig überraschend und läßt damit erneut das vermissen, was „Titus“ ausmachte: Innovation, Originalität und ein gutes Stück Mut zum Extrem. Ben Whishaw gibt einen ätherischen, nackten, dabei geschlechtslosen Luftgeist Ariel. Ihm fehlt allerdings androgyner Charme, und selbst wenn ihm stellenweise weibliche Brüste mitgegeben werden, kann er doch nie wirklich feminine Qualitäten aufscheinen lassen und sexuelle Verunsicherung herstellen. Caliban wird, wie es in den letzten Jahrzehnten beinahe üblich ist, von einem massigen Schwarzen verkörpert und eröffnet damit genau den postkolonialen Diskurs, den man an diesem Zusammenhang schon gewöhnt ist. Djimon Hounsou hat seine besten Momente, wenn er seine aufgesetzt wirkende Wut zurücknimmt und in den vielleicht schönsten Blankversen des Stücks die Geheimnisse der Insel beschreibt. Die Besetzung von Miranda, Ferdinand, Antonio, Gonzalo etc. hinterläßt in – zugegeben teils undankbaren Parts – keinen bleibenden Eindruck.

Was bisher schon mehrmals anklang, muß noch einmal auf den Punkt gebracht werden: „The Tempest“ wirkt auf merkwürdige Weise entsexualisiert. Dabei bietet gerade das hierarchische Herr-Knecht-Verhältnis zwischen Prospero und seinen ihm unterstellten Geistern jede erdenkliche Möglichkeit, in diese Richtung zu interpretieren, was in der Bühnengeschichte des Stücks entsprechend oft geschehen ist. Prospero selbst spricht über Sex, als er Miranda und Ferdinand zur Keuschheit ermahnt und ihre schreckliche Zukunft ausmalt, sollten sie sich vor der Ehe einander hingeben – genau diese Stelle kürzt Taymor und verpaßt damit die Gelegenheit zur Ironisierung oder sonstwie gearteten Brechung. Auch die Begegnung von Caliban mit Trinculo und Stephano lädt nachgerade dazu ein, (homo-)erotische Verwirrung zu stiften, und überhaupt wäre Caliban als halbnackter, muskulöser Schwarzer Projektionsfläche für alle möglichen sexuellen Klischees oder Bedrohungen. All das läßt Taymor links liegen, obwohl sie genau diese Aspekte in „Titus“ wunderbar und effektiv herausgestrichen hatte. Sollte dieses Aussparen absichtlich geschehen sein, vielleicht, um sich genau von dieser Tradition abzusetzen, dann fehlt jedoch eine ähnlich starke Bedeutungsebene, die die Abhängigkeitsverhältnisse für den modernen Zuschauer nachvollziehbar macht und legitimiert bzw. deren Legitimation erst einfordert. Was der „Tempest“ ohne diese Ebene bleibt, ist ein um die meisten kontroversen Momente erleichtertes Stück Fantasy-Film.

Doch ausgerechnet als ein solcher funktioniert der Film nicht ausreichend gut: Die notwendigen, langen Dialogpassagen bremsen den für das Genre benötigten zügigen Fortgang aus, und die aufgrund des schmalen Budgets bescheidenen, manchmal regelrecht schlechten Tricks (etwa die verfehlten Blickachsen zwischen Prospera und dem nachträglich eingefügten Ariel) können mit den teuren Fantasy-Produktionen von heute nicht mithalten. Taugt „The Tempest“ wenigstens als illustrierender Shakespeare-Film? Mit Einschränkungen: Durch die Geschlechtsumwandlung Prosperos hat Taymor die im Text vorkommenden „Sirs“ in Mirandas Repliken durch das anachronistische und nicht recht in die barocke Sprachwelt passende „Mom“ ersetzt. Durch den kompletten Wegfall der allegorischen Masque im vierten Akt, die den spektakulären Höhepunkt in Prosperos Zauberkraft darstellt, wird die wichtigste Rede des Magiers („Our revels now are ended …“) ad absurdum geführt, denn zu sehen gab es eine Art kosmischer Vision, in der „actors, temples, palaces“ usw. keine Rolle spielten. Darüber hinaus ist die Diktion immerhin sauber und vornehmlich britisch, Russel Brand bringt einen passenden Cockney-Einschlag mit.

Was Ausstattung und Kostüme betrifft, bleibt Taymor auf dem sicheren Grund vorsichtiger Modernisierung: Die Darsteller tragen Kleidung im Stil des 17. Jahrhunderts, die lediglich durch einige Elemente (vornehmlich Reißverschlüsse) den Eindruck des historisch korrekten Anspruches verhindert und am ehesten noch Assoziationen zur schwarzledernen Garderobe von Motorradfahrern zuläßt. Stellte „Titus“ noch durch ein gelungenes, anspielungsreiches 30er-Jahre-Ambiente Bezüge zur jüngeren politischen Geschichte Europas her, verbleibt „The Tempest“ im Ungewissen, Unkonkreten – hübsch anzusehen, aber ohne Anknüpfungspunkte über das Insel-Setting hinaus. Die Kinematographie bleibt unauffällig und vermeidet Handkamera- und andere Manierismen, setzt entsprechend auch keine visuellen Akzente, fängt indessen immerhin die rauhe und faszinierende Naturkulisse des Schauplatzes ein (gedreht wurde auf einer unberührten, da in Privatbesitz befindlichen Insel Hawaiis).

Eine tröstliche Überraschung gibt es dann doch noch, im Abspann: Hier wird Prosperos Epilog von der unvergleichlichen Beth Gibbons (Portishead) gesungen, deren Stimme unvermittelt eine Tiefe und Melancholie heraufbeschwört, die in den einhundert Minuten Film zuvor keinen Raum hatten. Hinter den abrollenden Credits sind Bücher unter Wasser zu sehen, die eines nach dem anderen in die Tiefe sinken – sie wurden, wie von Prospera angekündigt, versenkt, um mit der Magie ein für allemal abzuschließen. Da im Film bis dahin kein einziges Buch zu sehen war, ist der Referenzcharakter dieser Bilder klar: Es ist eine Verbeugung vor Peter Greenaways fulminanter „Tempest“-Adaption „Prospero’s Books“ (1991), in deren Schluß ebenfalls die Bücher ins Wasser geworfen werden – diese Erinnerung macht noch einmal schmerzlich klar, wie sehr Taymor die Möglichkeit verfehlt hat, den Shakespeare-Text auf eine Weise auszuschöpfen, die ihm angemessen, künstlerisch eigenständig und nicht zuletzt für ein zeitgenössisches Publikum relevant und inspirierend ist.

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