Review

Kairo

Im Zuge der Japanhorrorwelle hat neben „Ringu“ und „The Grudge“ vor allem dieser Beitrag großes Aufsehen erlangt, zählt er doch unter einigen Fans gar als der bisher beste.
Und wer sich „Kairo“ aka „Pulse“ zu Gemüte führt wird entweder eines der härtesten Filmgruselerlebnisse seit langem erfahren oder mittendrin einschlafen, beziehungsweise irgendwann entnervt abschalten. Denn wer auch sonst keinen rechten Zugang zu dem oft sehr eigenwilligen japanischen Kino findet, der wird sicher auch hiermit zu kämpfen haben.
Während man in amerikanischen Horrorfilmen meist vor allem mit krachenden Soundeffekten und schrecklichen Bildern konfrontiert wird, ist der japanische Horror typischerweise meist deutlich subtiler. Und Kairo ist ein Horrorfilm, wie er wohl japanischer kaum sein könnte. Vor allem für Leute, deren Geschmack vornehmlich mit dem Stil des westlichen Kinos konform geht könnte Kairo statt des erwarteten Horrorschockers eher ein anstrengendes und zähes Filmerlebnis sein.
Ähnlich wie auch schon Ringu und viele andere japanische Filme versprüht Kairo eine völlig kalte, emotionslose und extrem ruhige Atmosphäre. Keine hektischen Verfolgungsjagden, keine plötzlich aus dem Wandschrank springenden Unwesen – statt dessen baut der Geistergrusel eher auf die „schleichende Angst“.
Was tatsächlich stört ist das scheinbar totale Desinteresse an Charakterzeichnung – stattdessen beschränken sich die Handlungen der Charaktere (außerhalb der Gruselszenen) lediglich auf seltene und dann auch noch minimalistische, sehr langsam gesprochene und oft banale Dialoge, bei denen sich der westliche Zuschauer die ganze Zeit fragt, was denn mit diesen Japanern nur los sei - wirken sie doch dabei mit ihren ernsten, dem Boden zugewandten Köpfen die ganze Zeit verschüchtert und depressiv. Dies ist natürlich in diesem Falle noch ein besonderes Stilmittel des Films, denn Einsamkeit ist wohl sein Hauptthema um das sich letztlich alles dreht.

Die Geschichte dreht sich um eine mysteriöse Website, auf die einige junge Japaner stoßen. Sie zeigt scheinbar Liveübertragungen aus dunklen Wohnungen mit sich seltsam ruckhaft bewegenden Gestalten. Schon bald verhalten sich einige Protagonisten immer seltsamer, ziehen sich von der Außenwelt zurück, vereinsamen und begehen dann Selbstmord...
Tatsächlich bekommen wir es diesmal nicht mit einem jungen, schwarzhaarigen und weißgekleideten Geistermädchen zu tun. Ansonsten wird man hinsichtlich des Stils von Ringu und The Grudge aber kaum grobe Unterschiede feststellen können, lediglich viele Verfeinerungen. Denn wenn es dann zur Sache geht, dann dürfte das an atmosphärischer Intensität locker fast alles vergleichbare toppen. Das geht so weit, dass das Ansehen teilweise fast zur Qual wird. Regisseur Kiyoshi Kurosawa kennt die Gesetze des Genres und setzt sie gekonnt um. Dabei hat er es gar nicht nötig den Zuschauer mit irgendwelchen Schockeffekten zu erschrecken oder mit irgendwelchen Blutorgien zu schockieren – seine minimalistischen Geisterszenen sind intensiver, als es mit den beiden vorher genannten Mitteln wohl überhaupt möglich wäre. Kurosawa arbeitet mit schattenhaften, verschwommenen Gestalten, die in abgedunkelten Ecken des Raumes stehen oder sich gaaanz langsam auf die Protagonisten zu bewegen ohne dabei einen Laut von sich zu geben. Die Szenen sind dabei teilweise fast völlig geräuschlos, versetzen dem Zuschauer aber ein Herzrasen, wie er es wohl selten bei einem Film erlebt hat. Schweißnasse Hände und die spätere Angst sich alleine im Dunkeln zu bewegen sind garantiert!
Weiter benutzt Kurosawa einige sehr pfiffige Tricks um den Zuschauer in den entsprechenden Szenen fast konstant in einen Angstzustand zu versetzen. Die ruhige, oft statische Kamera schwenkt zum Beispiel bereits mehrere Sekunden bevor jemand einen Raum oder einen dunklen Teil des Raums betritt in diesen, sodass sofort das Gefühl aufkommt, dass sich dort irgendetwas versteckt.

‚Hat sich der schwarze Fleck auf der dunklen Wand da gerade bewegt?’ Solche Gedanken werden dem Zuschauer wohl oft kommen, denn Kurosawa setzt seine wenigen Computereffekte dermaßen dezent ein, dass man sich oft gar nicht sicher ist, ob überhaupt einer da gewesen ist. Und die Angst steigt an. In einer seiner stärksten Szenen bewegt sich eine junge Frau ganz langsam auf einen seltsamen, fast den Konturen eines Menschen ähnelnden schwarzen Fleck an der Wand zu – genau die Stelle an der sich zuvor ein vereinsamter Freund das Leben genommen hat. Schon der Weg dort hin ist quälend gruselig. Es folgt ein Closeup vom Gesicht der Frau um zu zeigen, dass sie nun direkt vor dem Fleck steht und darauf eine Nahaufnahme des Flecks selber. Dabei wird es still – und zwar komplett still, selbst das standardmäßige Rauschen verschwindet vollständig, sodass der Zuschauer nun ganz genau hinhört. Und dann, nach einigen Sekunden, ertönt ganz zaghaft ein kleines, flüsterndes „Help me“, das wegen des fehlenden Rauschens wie ein seltsamer und vor allem nicht zu ortender Fremdkörper auf der Tonspur wirkt. Es scheint von überall her zu kommen und noch einmal... und noch einmal... und die Kamera verharrt auf dem seltsamen, schattenähnlichen Fleck. Dermaßen angespannt habe ich selten vor einem Film gesessen und es hätte nur ein kleiner Knall kommen müssen und ich wäre vermutlich auf der Stelle an einem Herzschlag gestorben. ^^
Doch Kurosawa hält sich zurück, er benutzt keine kurzen, lauten Schockeffekte, deren Wirkung dann sofort wieder verpufft. Stattdessen kann es sogar passieren, dass man völlig ohne offensichtlichem Schockeffekt zusammenzuckt – ein wirklich seltsames, fieses Gefühl. Das Grauen, dass sich in Kairo aufbaut hält auch noch nach dem Abspann an.

So genial der Film in diesen Passagen auch ist, es lässt sich kaum leugnen, dass er sich in den Zwischenpassagen tatsächlich dahinzieht wie Gummi. Keine Musikunterlegung, kaum Dialoge, dafür viele Szenen deren Sinn im Storyzusammenhang manchmal kaum klar wird – eine wahre Geduldsprobe für den westlich orientierten Filmgucker. Fast konkurrenzlos gruselige Szenen stehen damit im krassen Gegensatz zu den vielen wirklich zähen und öden „Zwischenszenen“.
Die in ihrem Verlauf eh schon sehr wirr wirkende Story wird natürlich nicht durch eine klare Auflösung erklärt, sondern schlägt am Ende in eine Richtung die wohl niemand erwartet hätte und schafft dabei genügend Platz für Interpretationen.
Was am Ende zurückbleibt trägt insgesamt aber leider einen faden Beigeschmack. Mit mehr Charaktertiefe und Tempo hätte aus Kairo ein wahres Meisterwerk werden können. Sicher ist die kalte, einsame Stimmung ein Stilmittel zur Unterstützung der Kritik an einer hoch technisierten, aber (und vielleicht gerade aus diesen Folgen) vereinsamten Gesellschaft. Dennoch ist sie für den Zuschauer vor allem eins: anstrengend.
Wer schon bei Filmen wie „Hana-Bi“ vorwiegend Langeweile empfunden hat oder den amerikanischen „Ring“ um Längen besser fand als das japanische Original, der sollte wohl lieber einen weiten Bogen um Kairo machen. Wer aber einen Zugang zu dieser Sparte des Japankinos findet oder auch offen dafür ist mal eine Bekanntschaft damit zu machen, dem sei eine klare Empfehlung ausgesprochen.
Für mich bleibt Kairo unterm Strich eher ein Vertreter der mittleren Qualitätsklasse – aber (und damit steht er im Gegensatz zu vielen anderen dieser Sparte) einer den ich bestimmt nicht so schnell wieder vergessen werde. 6/10


Achja, Moment. Japanischer, erfolgreicher Geisterhorror... irgendwas fehlt da doch noch oder? Genau! Das Ami-Remake steht natürlich schon in den Startlöchern. Ich bin schon sehr gespannt auf die knallenden Türen, die vermoderten CGI-Hexen und die plötzlich aus dem Dunkeln hervorspringenden Katzen...

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