Die falsche Reihenfolge kann eine Menge ausmachen.
Und wenn man, versehentlich bis unglückselig, im Fall von „Pulse“ zuerst das geradezu bodenlos doofe US-Remake gesehen hat, fällt es schwer, sich zu einer Sichtung des Originals aus Japan durchzuringen.
Was ein Fehler ist, denn bei all den Qualitäten, die die asiatischen Horrorfilme gegenüber ihren Remakes aufzubieten haben, nimmt „Pulse“ aka „Kairo“ geradezu eine Ausnahmestellung ein.
„Pulse“ demonstriert eine Art Geistergeschichte, vermeidet dabei aber die üblichen Genrekonventionen, sondern benutzt die Phantome als eine Art Metapher für eine Attacke gegen das Einschlafen menschlicher Kommunikation und Wärme im Computerzeitalter. Das klingt zwar jetzt eher naßforsch, ist aber im Kern wahr.
Um an diesen Kern zu gelangen, muß sich der Zuschauer allerdings durch eine Geschichte kämpfen, die so beängstigend und deprimierend ist, daß sie schon fast wahr sein könnte.
Ausgehend von einem etwas rätselhaften Prolog wird zurückgeblendet in eine japanische Großstadt, in der mehrere Gruppen junger Leute mehr nebeneinander her als miteinander leben. In einer Kleinfirma, die sich um Pflanzen kümmert, richtet sich der Fokus auf die locker miteinander befreundeten Mitarbeiter, die mehr oder minder zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um wirkliche Nähe zuzulassen. Einer von ihnen, der eine DVD ausgewertet hat, ist schon seit einiger Zeit nicht mehr kontaktierbar und als er daheim aufgesucht wird, wirkt er noch entrückter als alle anderen. Wenige Minuten später erhängt er sich im Beisein seiner Besucherin. Doch die Disc macht die Sache nur noch schlimmer, denn über sie erhalten die Mitglieder Informationen über eine Website, auf der man angeblich Geister sehen kann: düstere, menschliche Gestalten, die in halbdunklen Zimmern sitzen und vor sich hinvegetieren. Gleichzeitig gerät ein internetunkundiger Student bei seinen ersten Gehversuchen ebenfalls auf die Website und geht dem sehr selbständigen Programm schließlich nach, wobei er eine Informatikstudentin einschaltet.
Diese Handvoll Leute steht nun stellvertretend für die Bevölkerung, denn einer nach dem anderen gerät nach und nach sowohl in den Bann der Website oder besucht Orte, wie die, die auf der Site zu sehen sind – Orte, Wohnungen, Zimmer, in denen Menschen depressiv und verzweifelt werden, bis sie freiwillig aus dem Leben scheiden oder sich in dunkle Schatten oder Flecken verwandeln, deren Umrisse an den Wänden von ihrer Existenz künden.
Kiyoshi Kurosawa, seines Zeichens legendärer Genreregisseur Japans legt diese Geschichte nicht nach dem sich steigernden Spannungsprinzip oder einer wirklich linearen Handlung an, sondern präsentiert dies und die Folgen als einen irritierend verstörenden Bilderbogen, in dem sich die Figuren verirren und die Zuschauer zunehmend verunsichert und ängstlich auf die bedrückende Stimmung reagieren.
Es gibt kaum genretypische Bildern, dennoch erweckt Kurosawa ein kaum zu ertragendes Gefühl der beklemmenden Verzweiflung in seinen stillen, schrecklichen Bildern, von diffusen, düsteren Räumen. Die Auftritte der Geister sind höchst effektiv, bekommt man sie doch meistens als Fleck, zerfasernde Schwärze oder in beinahe menschlicher Gestalt zu sehen, sich langsam auf den Zuschauer zu bewegend, ohne aktive Bedrohung, aber gerade in der sie verströmenden Verzweiflung um so beängstigender.
Gleichzeitig verändert sich die Welt der Protagonisten zunehmend. Waren von Anfang an andere Menschen eher selten im Bild zu sehen, wirkt die Szenerie zunehmend ausgestorbener. Hier und da erblickt man noch einmal eine Silhouette am Rand des Bildschirms, doch die Orte, die die Figuren aufsuchen, sind zunehmend menschenverlassen und isolierend.
Eine Gegenwehr, eine Waffe gibt es nicht, selbst eine Erklärung wird nur unzureichend geboten, eher spielt man mit möglichen Theorien, wie der Entfremdung durch die interaktive Welt (beeindruckend, daß das schon 2001 thematisiert wurde), die uns alle zu Gefangenen in unseren Wohnhöhlen macht. Zwar spielt man hier auch mit der Idee, daß die Geister aus dem überfüllten Jenseits in unsere Welt drängen, doch der Reiz der Situation besteht mehr aus der Theorie, daß die „Geister“ gar nicht tot sind, sondern eher Verlorene, Menschen, die sich der Isolation so angepaßt sind, daß sie aus ihren begrenzten, isolierten Schemata nicht mehr ausbrechen können und der um sich greifende Nihilismus negative Auswirkungen auf die Übrigen hat. Die Kennzeichnung dieser Zonen der Verlorenheit durch rotes Klebeband, das „verbotene Räume“ isoliert (eine Idee, die das Remake in sein dämliches Gegenteil verkehrt), ist keine Waffe, sondern lediglich ein Warnzeichen der Epidemie.
Von der Öffentlichkeit, der Regierung, den Behörden ist nichts zu sehen – die Welt stirbt in Stille.
Mit einer geradezu monströsen Ausweglosigkeit steuert der Film auf ein auswegloses Finale mit einem winzigen Funken Hoffnung zu, der dann in der letzten Szene praktisch auf den Kopf gestellt wird, aber bis dahin brennen sich die morbiden Sequenzen eine nach der anderen in den Kopf des Betrachters.
Und obwohl es keine sichtbare Gewalt (außer einigen Selbstmorden) gibt, sind die Begegnungen mit den Phantomen mit Sicherheit eine der gruseligsten Umsetzungen des letzten Jahrzehnts.
Dazu wird dem Zuschauer aber auch einiges abverlangt, vor allem Geduld, denn wie die Situation, so die Erzählweise, die Figuren kranken an Sprachlosigkeit oder reden in Worthülsen langsam und verzögert oft aneinander vorbei, die Distanzen zwischen ihnen werden größer, das Leid kann kaum in Worte gefaßt werden.
Gegen Ende sind ein paar eher schwache Kniffe dabei, um den Clou vorzubereiten, die nicht hätten sein müssen, aber im Wesentlichen ist „Pulse“ der konsequenteste Fall einer visualisierten Idee.
Das funktioniert übrigens am besten, wenn man den Film allein studiert, um die Isolation auf sich selbst wirken zu lassen – auf Genreversatzstücke zu hoffen, ist hier ein Trugschluß.
Aber wozu immer das Gleiche verspeisen, wenn man für etwas Mühe und Zurückgezogenheit ein meisterhaftes Stück echten Horrors präsentiert bekommt, das einen endlich mal unruhig und bedrückt zurückläßt. Wahrhaft furchtbar. (9/10)