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Für mich ist DIE TEUFELSKIRCHE eine wahre Entdeckung. Informationen über den Film sind kaum zu finden, die Filmgeschichtsschreibung hat ihn bisher offensichtlich sträflich ignoriert, und zudem liegt das Werk heutzutage nur noch als Fragment vor. Ursprünglich bestand dieser „Gewittertraum“, wie der Untertitel des Werks lautet, aus einem Vorspiel und vier Akten. Unversehrt die folgenden Jahrzehnte überstanden haben es nur die Akte zwei bis vier, von Vorspiel und erstem Akt existieren nicht mal mehr Standphotos. 

Die Geschichte von DIE TEUFELSKIRCHE könnte man als ziemlich wirre Mixtur eines typischen Stummfilmdramas der damaligen Zeit, eines naiven religiösen Films, eines Volksmärchens und eines Gruselfilms bezeichnen. Erzählt wird der Traum des armen Bauers Asmus, der vergebens versucht, mit seiner Frau Kinder zu zeugen, mit diesem Unterfangen bislang aber nicht sonderlich erfolgreich gewesen ist. In seinem Traum ereilt auch die Kirche der Gegend, die zu drei Gemeinden gleichzeitig gehört, ein schweres Schicksal: sie brennt bis zu den Grundfesten nieder, ein Unglück, das die drei Gemeindevorsteher zu einem Treffen mit dem Pfarrer führt, um mit ihm darüber zu beschlagen, wo denn die neue Kirche erbaut werden solle. Da jeder Gemeindevorsteher darauf bedacht ist, das Gotteshaus für seinen eigenen Bezirk zu gewinnen, wird schnell klar, dass eine Einigung eher unwahrscheinlich scheint. Schlussendlich beschließt man, dass die Kirche an dem Ort erbaut werden soll, der gleich nahe zu allen drei Gemeinden liegt, und das ist leider der Hof des armen Asmus, der sich jedoch strikt weigert, das Grundstück zur Verfügung zu stellen, hat er seinem seligen Vater doch geschworen, es unter keinen Umständen zu verkaufen.  

Alle bisher geschilderten Ereignisse finden im Vorspiel und im ersten Akt statt, und somit habe ich keine Ahnung, inwiefern das Ganze filmisch umgesetzt wurde. Das heute noch existierende Material setzt erst jetzt mit dem zweiten Akt ein, in dem der Teufel, als Kesselflicker verkleidet, Ane, der unglücklichen Frau Asmus, einen Besuch abstattet. Luzifer weiß natürlich von ihrem bislang unerfüllten Kinderwunsch und auch von ihren unterdrückten Sehnsüchten und nutzt beides geschickt, um sie auf die schiefe Bahn der Sünde zu führen. Er scherzt mit ihr, macht ihr Komplimente, und Ane, die natürlich nicht ahnt, wen sie sich da in die Stube geholt hat, verfällt dem Teufel relativ schnell, der sie mit allen Regeln der Kunst umgarnt, ihr ein Bild vor Augen malt, das sie als glückliche Mutter mit ihrem Kind zeigt, und ihr schließlich anbietet, ganz handfest dafür zu sorgen, dass sie dieses Kind bekommen kann, wenn ihr Mann nicht dazu in der Lage ist. Der Teufel in DIE TEUFELSKIRCHE ist prall an sexueller Potenz. Ständig hat er seine Hände an Anes Körper, streichelt sie, bringt sie förmlich in Hitze, und sieht dabei nicht unattraktiv aus mit seiner eher schmächtigen Jünglingsgestalt, seinen großen Augen und in den teilweise grazilen, anmutigen Posen, mit denen er sich fortbewegt. Wie ein Marionettenspieler entführt er Ane aus ihrer beschaulichen Hütte in den nahen Wald, was den Auftakt zu einer Tour de Force gibt, die man gesehen haben sollte. Nur einmal zögert Ane kurz, als sie die Federn eines flügge gewordenen Vogels auf dem Boden findet und sich mit dem Tier vergleicht, das, wie sie, sein warmes Nest verlassen hat. Den Teufel amüsiert das, er nimmt eine Handvoll Federn und bläst sie in Richtung der Kamera, worauf sofort ein wahres Schneegestöbern an Vogelfedern losbricht und das gesamte Bild einhüllt. Damit nicht genug, denn als Nächstes tritt ein übermütiger Reigen Waldnymphen auf, die vor Ane einen eindeutig sexuell aufgeladenen Tanz aufführen. Noch eindeutiger ist die Art und Weise wie Luzifer sich nun über das Mädchen hermacht, und bei der es mich nicht wundert, dass der Film zur Zeit seiner Entstehung mit einigen Zensurproblemen zu kämpfen hatte und schließlich mit einem Jugendverbot belegt wurde. Für das Jahr 1919 ist es schon äußerst explizit, was man hier an leidenschaftlichen Küssen und Berührungen zu sehen bekommt. Wie die Hitze in Ane überschäumt, so ergeht es auch ihrem Wohnhaus, denn dort bricht ein Feuer aus, da sie den Herd hat brennen lassen, als sie der Teufel mit in den Forst der Lüste nahm. Als Asmus vom Holzfällen heimkehrt, kann er nichts mehr tun als zuzuschauen wie sein Gut sich in Rauch und Asche verwandelt. Ane, die nach ihrem Beischlaf mit dem Teufel erwacht, springt wie von Sinnen hinzu, nimmt ihrem Mann den Wasserkübel weg, mit dem er versuchen will, das Feuer zu löschen, bricht in einen völlig überzogenen, hysterischen Tanz aus, und verhöhnt Asmus, dass dies die Rache Gottes sei, weil er sein Grundstück nicht für die neue Kirche hergeben wolle, während der niedergeschlagen daneben auf dem Boden sitzt. 

Der 3.Akt beginnt damit, dass sich Ane nun vor Verehrern kaum noch retten kann. Seit sie mit Luzifer verkehrte, betrügt sie ihren Mann offenbar, wo sie nur kann, bekommt von jedem daherkommenden Herrn den Hof gemacht, und nutzt auch jede Gelegenheit, sich der fleischlichen Lust hinzugeben. Während Asmus selbst davon nichts mitzubekommen scheint, wird der Pfarrer der Gemeinden schnell darauf aufmerksam, dass mit Ane ein Wandel vorgeht, sie jedoch weist alle Schuld von sich. Inzwischen wird auch Asmus beim Pfarrer vorstellig. Wenn er, wie er seinem Vater versprach, sein Gut nicht verkaufen darf, so will er es verschenken, jetzt, wo sein Wohnhaus sowieso ein Raub der Flammen wurde, damit die neue Kirche nun endlich gebaut werden kann. Die drei Gemeindevorsteher, die ebenfalls anwesend sind, freut das sehr, und schnell kommen sie darin überein, dass das Land, zu dem auch Wiesen, Wälder und Gewässer gehören, unter ihnen aufgeteilt werden solle. Als der Priester dem einen Riegel vorschiebt und verlangt, Asmus Grund und Boden solle einzig und allein der Kirche einverleibt werden, lassen die Gemeindevorsteher ihn mit der Bemerkung sitzen, er könne ja versuchen, die Kirche ohne ihre Unterstützung zu bauen. Und schon hat Ane ihren nächsten denkwürdigen Auftritt. Sie entschuldigt sich beim Priester für ihr brüskes Verhalten am Morgen, gibt zunächst die reuige Sünderin und fängt dann völlig unvermittelt an, den Geistlichen sexuell zu attackieren, der das auch zunächst mit sich machen und sich zu einem leidenschaftlichen Kuss hinreißen lässt. Gott reagiert nicht, als er ihn danach verzweifelt anruft, nachdem er Ane rausgeworfen hat, dafür aber mal wieder der Teufel, der nun wesentlich wilder ausschaut als im Akt zuvor, sogar die obligatorischen Hörner hat er auf der Stirn, und ihm einen Handel vorschlägt. Er wird die Kirche für ihn bauen, sollte der Priester allerdings Gott vor ihrem Altar verleugnen, wird das Gotteshaus mit allem, was sich in ihm befindet, ihm zufallen. Der Priester wähnt sich standhaft und geht auf den Deal ein und eine Sekunde später hat der Teufel eine Kirche, die man schon fast als Kathedrale durchgehen lassen könnte, aus dem Hut gezaubert. Die Dorfbewohner feiern es als ein Wunder Gottes, und zusammen mit ihnen bricht der Priester sofort zu dem Gotteshaus auf, wo allerdings, wie uns der 4.Akt zeigt, schon der Teufel wartet und mit Spottgebärden gegen die heilige Inneneinrichtung wettert. Und wer einen Showdown erwartet, der den Namen verdient, wird im Schlussakt voll auf seine Kosten kommen… 

DIE TEUFELSKIRCHE ist ein schlicht unglaublicher Film, eine Kuriosität der Filmgeschichte, bei der ich mir nicht sicher bin, ob die Form, in der das Werk in die Kinos kam, tatsächlich so geplant war oder ob die Verantwortlichen bei klarem Verstand all die verschiedenen Genreversatzstücke und Verrücktheiten zusammengeworfen haben. Es wird schon in der ausführlichen Inhaltsangabe deutlich: der Film steckt voller abstruser Ideen, bei denen man nur amüsiert mit dem Kopf schütteln kann. Mit Sicherheit ist das einer der merkwürdigsten Plots, den ich in einem Werk dieses Alters jemals zu Gesicht bekommen habe. Das Erzähltempo ist enorm hoch, die Ereignisse überstürzen sich, es gibt keine einzige Ruhephase. Auf mich wirkt der Film etwa so wie Schriftsteller des Mittelalters, die sich der Form religiöser Literatur nur bedienten, um ihre Kunst voll ausleben zu können. Auf den ersten Blick sieht DIE TEUFELSKIRCHE wie ein tiefchristliches Werk aus, schon auf dem zweiten Blick wird klar, dass hier mehr als genügend Dinge passieren, die den damaligen Katholiken wohl kaum gefallen haben können. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Ich kann mich an keinen Film erinnern, der wirklich Gott selbst als handelnde Figur auftreten lässt. Christus oder irgendwelche Heilige, Maria oder eben Luzifer: das alles hab ich schon gesehen, jedoch Gott? Hier jedenfalls gibt er sich höchstpersönlich die Ehre, als biblischer Greis mit wallendem Bart und Pilgerstab, der sich, so suggerieren es die Bilder, scheinbar aus dem Ozean schält und bis zu der neuen Kirche wandert, um dort Einlass zu begehren und von den Dorfbewohner für einen Landstreicher gehalten und verhöhnt zu werden, worauf er traurig weiterzieht.

Bedenklich fanden die Zensurbehörden der Weimarer Republik wohl auch die sexuellen Darstellungen, die heute zwar niemandem mehr rote Ohren bescheren werden, allerdings für 1919 schon mehr als eindeutig sind. Wie wilde Tiere fallen da Ane und der Teufel übereinander her, und dass Ane selbst einen Priester verführt, wird auch so manchem Erzkonservativen ein Dorn im Auge gewesen sein. Überdeutlich wird Anes wahnsinnige Lust auch durch das Feuer symbolisiert, das schließlich Asmus Wohnhaus verzehrt, wenn ihre leidenschaftliche Umarmung mit Luzifer nahtlos in den schwelenden Brand übergeht. Sowieso zählt gerade der 2.Akt mit seinen tanzenden Nymphen, seinen poetischen Waldbildern, der förmlich spürbaren Erotik und dem sexuell äußerst attraktiven Teufel für mich wohl zu den unfassbarsten Szenen der Stummfilmzeit. Besonders hier wird klar, dass DIE TEUFELSKIRCHE voller pulsierender Kreativität steckt, die sich scheinbar nur des Deckmantels des Religiösen bedient, um ausgelebt werden zu können. 

Es ist wirklich schwer, DIE TEUFELSKIRCHE irgendwo einzuordnen. Einige Szenen wie die Verhandlung zwischen dem Priester und den Dorfvorstehern sind ziemlich amüsant und erinnern ein bisschen an Bauernschwänke. Andere wie die, in der sich Luzifer allein in der Kirche befindet und ihr Interieur verhöhnt, erinnern von der Stimmung her an die schwarze Poesie eines Charles Baudelaire. Solchen wie der, in der dann Gott mit seinem Pilgerstab eintrifft, kann man eine unfreiwillige Komik kaum absprechen. Und was soll man davon halten, dass die nominellen Hauptrolle, der armen Bauer Asmus, wie ein einfältiger Dümmling gespielt wird, der den gesamten Film über wie eine bessere Requisite herumsteht? Interessant auch der Plotpunkt um Asmus Zeugungsunfähigkeit, die Ane erst in die Arme Satans treibt, der schon fast den Nährboden für eine psychoanalytische Deutung des Films bereitet, immerhin handelt es sich bei allen Ereignissen ja um einen Traum Asmus, in dem dieser augenscheinlich seine Potenzängste verarbeitet.  

Ich könnte noch viele Worte über DIE TEUFELSKIRCHE verlieren, da der Film mich entzückt hat wie schon lange keiner mehr, belasse es aber bei einer Empfehlung für alle, die einmal einen wirklich seltsamen Stummfilm sehen wollen (oder zumindest das, was heute noch von ihm übrig ist).

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