Das trügerische Menschenbild ...
In der Chronik zwischen "Warum läuft Herr R. Amok?", "Die Dritte Generation" und "Angst essen Seele auf" präsentiert uns der Meister der deutschsprachigen Theatralik im Bereich des Lichtspielkinos einen weiteren kleinen Geniestreich seines doch ganz beachtlichen Könnens.
Er lässt dabei wie üblich kein Stilelement der klassischen Polemik aus, setzt auf die hohe Kunst der Poesie, Mundpropaganda, Litargie, Worte die im Mund verglühen, überzeugt durch seine progressive Dramaturgie und seine sukzessive Erzählweise, vermag den Spannungsbogen stetig zu steigern, verzichtet dabei aber auf jegliche Elemente von Suspense oder Thriller. "Die Bitteren Tränen der Petra von Kant" reiht sich auch in die Choreografie besonders raffinierter Wortspiele und filmischer Rhetorik ein (auch "Wer hat Angst vor Virginia Wolf?", zuletzt "Lux Æterna" von Gaspar Noé).
Lumet, Polanski, Resnais, Bergman, Van Sant ...
Die Liste zumindest ähnlich gepolter Filmemacher ist lang, und doch wohnt Fassbinder ein ganz eigener und unverwechselbarer Stil inne, den man wohl als gekonnt und anspruchsvoll, wenn auch bescheiden deklarieren dürfte.
Minimalistisch, gleichermaßen voller Leben, schildert uns Fassbinder die Geschichte einer gescheiterten Frau. Seine teils düstere, teils verspielte Poetik, melodramatisch, voller pikanter Details und subtiler Erotik. Es geht um Essentialismus. "Der Club der toten Dichter" ...
Das aufwändige Bühnenbild, die herausragenden Protagonistinnen, die sorgsam ausgearbeiteten Sets, verschmelzen so langsam zu einer filmischen Einheit. Und der Vorspann spricht ohnehin Bände ...
Meisterhaft inszeniert, als Kammerspiel beträchtlich, tauchen wir ein in die dunkle Welt der Petra von Kant, teils Diva, teils liebende Ehefrau, gebrochenen Herzens, in Farben der französischen Renessaince. Fassbinder inszeniert seine Oper als modernes Theater im Moulin Rouge-Look, philosophischer Diskurse und viel Gerede, dem wie üblich ein subtiler Pessimismus mitschwingt. Seine literarische Ader kann in gleichem Atemzug mit Herzog oder Kinski genannt werden. Auch ein Dr. Freud oder Jung wäre gewiss nicht abgeneigt gewesen ...
Mehr Schein als Sein ...
"Die Bitteren Tränen der Petra von Kant" weiß zu gefallen, aber gleichermaßen zu polarisieren. Da wo ein Lars von Trier ("Dogville") den Zuschauer noch durch simple Sets und schlichte Gestaltung zu begeistern versuchte, fungiert "Die Bitteren Tränen der Petra von Kant" in erster Linie als psychologisches Drama, der filmischen Konvention gleichermaßen den Rücken zukehrend, sich auf das Wesentliche beschränkend und doch von eigener Handschrift.
Bitter ist der Beigeschmack nicht, nur melancholisch. Nicht fade, nur etwas trist und monoton. "Die Bitteren Tränen der Petra von Kant" wäre wohl sowas wie Arthaus und klassisches, deutsches Nachkriegskino in Reinkultur.
Ganz hohe Schauspielkunst!
Ich bin begeistert ...
9/10