Review

"Wir können nicht steuern, was uns oder unseren Lieben passiert."

"Trust" ist weniger ein kraftvolles Drama anstatt viel mehr als Aufklärungsfilm zu betrachten. Schon beinahe dokumentarisch zeichnet der Film ein dunkles Umfeld und wirft einen Blick auf die Abgründe der Gesellschaft ohne dabei Partei zu ergreifen.

Die vierzehnjährige Annie (Liana Liberato) lebt in einer intakten Familie, auch wenn sie von ihrem Vater Will (Clive Owen) und ihrer Mutter Lynn (Catherine Keener) nicht immer die ersehnte Bestätigung erhält. Diese bekommt sie im Volleyball Team ihrer Schule. Und von ihrem Freund Charlie (Chris Henry Coffey), mit dem sie bislang nur Kontakt in Chaträumen und am Telefon hat. Charlie ist 16 Jahre alt, spielt ebenfalls Volleyball und baut seine Vertrauen zu Annie immer weiter aus. Selbst als er zugibt älter zu sein als er zunächst vorgab, bricht Annie den Kontakt zu ihm nicht ab.
Als Annie's Bruder Peter (Spencer Curnutt) auf ein College wechselt und ihre Eltern für kurze Zeit nicht zu Hause sind, trifft sich Annie mit Charlie in einem Einkaufszentrum. Die Überraschung und der Schock ist groß, als sich Charlie als ein Mann über 30 herausstellt. Trotz dieser Tatsache gelingt es ihm Annie zu beruhigen und für sich zu gewinnen. Die beiden verbringen einen Nachmittag auf einem Hotelzimmer und schlafen miteinander.
Annie kann mit der Situation nicht umgehen. Sie verschließt sich gegenüber ihrer Familie und wirkt zunehmend verstört. Durch ihre beste Freundin kommt die Wahrheit allerdings zum Vorschein und das FBI schaltet sich ein. Immer mehr entfremdet sich die Familie voneinander, gerade da Annie überzeugt ist, dass Charlie, den sie seit Tagen nicht mehr erreicht, sie liebt.

Das Internet birgt Gefahren, nicht nur im finanziellen Sektor. Gerade im zwischenmenschlichen Bereich kann die unterschätzte Anonymität und offenbarte Privatsphäre zu einer Gratwanderung werden. Chaträume bieten nicht nur die Möglichkeit zu anderen Personen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu kommunizieren. Sie brechen die eigene Persönlichkeit auf und bieten Spielraum mit der eigenen Existenz zu experimentieren. Ein offenes Tor für Personen, die sich durch überzeugende Argumentation und Verständnis Anderer bemächtigen wollen. Ganz besonders gefährdet sind dabei Jugendliche, durch noch nicht entwickelte Lebenserfahrung und naives Verhalten.

"Trust" greift ein schwermütiges Tabuthema auf und präsentiert es unverhohlen. Zunächst liegt der Schwerpunkt auf Annie und ihrer einschneidenden Lebenserfahrung. Der Film nutzt dazu durchgängig seine psychologisch durchdachten Charaktere, die stets im Mittelpunkt stehen. Die Kommunikation durch Chats und Kurznachrichten erfolgt dabei durch Texteinblendungen. Eine wesentlich effizientere Art als ein Blick auf Monitor oder Handy, denn dadurch sind die Gesichter der Betroffenen und deren Freud und Leid stets sichtbar.
Mit zunehmender Laufzeit erweitert sich "Trust" zu einem Familiendrama, das zwischen Betroffenheit, unfähiger emotionaler Verarbeitung und Gleichgültigkeit hin und her springt. Leider wird das Gefühlschaos der Figuren erst gegen Ende offenbar, sodass man als neutraler Beobachter schwer Bezug zu den Leidenden findet. Gerade da der Film mit unausgefüllten Längen und seinem anstrengenden Thema zu kämpfen hat.

Zu keinem Zeitpunkt schlägt sich "Trust" auf eine Seite. Die differenzierte Betrachtungsweise ist eine Ausnahmeerscheinung, die zum funktionieren als Aufklärungsdrama beisteuert. Umso weniger verständlich ist daher, dass der Film die Aufarbeitung und Erlösung des Traumas offen lässt und stattdessen einen Schluss offenbart, der enorm schwer in der Magengrube liegen bleibt.

Schauspielerisch ist "Trust" stark besetzt. Liana Liberato bietet eine unvergessliche Performance. Ihre Darbietung als verletzliche und hin- und hergerissene Annie lässt trotz naiver Ausschläge keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit zu. Catherine Keener ("An American Crime", "Being John Malkovich") und Clive Owen ("Sin City", "Shoot ’Em Up") treten erst ab der zweiten Hälfte des Films in ähnliche Fußstapfen.

"Trust" ist ein schonungsloser und verstörender Film über den Mißbrauch eines Instruments, dass allgegenwärtig ist und zur einschneidenden Erfahrung einer ganzen Familie wird. Trotz starker Besetzung und plausibler Figuren ist der Film durch seine neutrale Betrachtungsweise eher ein aufklärendes Drama mit dokumentarischem Charakter, das Längen nicht kaschieren kann. Stattdessend ein unverständlich grobes Ende präsentiert und seine Aufarbeitung des Traumas nicht zu Ende führt. Die einzig Moral die bleibt, ist die Hoffnung auf Unterstützung innerhalb der Familie. Denn das Leid kann jeden treffen.

6 / 10

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