Review

LES JOURS OÙ JE N’EXISTE PAS ist ein besonderer Film, vielleicht sogar ein einzigartiger. Über die Handlung an sich möchte ich eigentlich keine vielen Worte verlieren, da der Film das selbst nicht tut. Zu Beginn steht der Tod eines Großvaters und seine Beerdigung, zu der sein vielleicht elfjähriger Enkel, dessen Schwester und die Großmutter zusammen mit einem Onkel gehen, der den Jungen sodann unter seine Fittiche nimmt und nach der Beisetzung zu einem Grabstein in der Nähe führt, unter dem ein gewisser Antoine begraben sein soll. Das Grab sei leer, erklärt der Onkel dem schweigsamen Jungen, und der Mann, der laut der Inschrift achtzig Jahre geworden sein soll, habe davon nur vierzig erlebt. Grund dafür sei der Umstand gewesen, dass Antoine nur jeden zweiten Tag existierte. Über einen langen Zeitraum hinweg, denn immer wieder zeigen uns Zwischenschnitte den Onkel und den Enkel in den verschiedensten Situationen und Landschaften, erzählt der Onkel nun seinem Enkel und den Zuschauern die tragische Geschichte Antoines, der ein Leben ohne Gestern und ohne Morgen führte, sich jede zweite Nacht exakt Schlag zwölf in Luft auflöste und einen Tag später an genau der gleichen Stelle wieder auftauchte. Sein Schicksal verhindert, dass er seine Wohnung allzu oft verlässt, Einsamkeit und Isolation haben sich eingestellt, Jobs, bei denen man sich nur jeden zweiten Tag sehen lassen kann, gibt es kaum, und an die Liebe traut er sich schon gar nicht heran. Bis ihm eines Tages Clémentine begegnet, der er als Erstes anvertraut, was mit ihm nicht stimmt. Antoine und Clémentine kommen zusammen und zunächst arrangieren sich die beiden mit ihrer Situation. Doch nach spätestens zwei Jahren haben sich innerhalb der Beziehung schwarze Wolken angesammelt. Er steckt noch immer in der Anfangsphase ihrer Liebe, da für ihn ja erst ein Jahr verging, während Clémentine nach zwei Jahren einen gewissen Überdruss zu verspüren scheint. Sie beginnt eine Affäre mit dem Onkel, der dadurch überhaupt erst von Antoines Schicksal erfährt, und lässt sich von Freunden, denen sie ihre Misere anvertraut, dazu verleiten, Antoine einfach daran zu hindern, wieder aufzutauchen: zu seinem, zu ihrem und zum Wohl ihrer Liebe. Nachdem er sich in ihrem gemeinsamen Bett auflöste, stapelt sie alte Zeitungen auf ihm, verkauft die Wohnung, zieht aus Paris weg. Antoine wird für tot gehalten. Sein Grab muss ohne Leichnam auskommen. Erst über ein Jahr später werden Abrissarbeiten an dem Gebäude vorgenommen und die Zeitungen geraten ins Rutschen… 

Sicherlich mag die Story von LES JOURS OÙ JE N’EXISTE PAS auf den ersten Blick mindestens befremdlich, wenn nicht sogar albern klingen, und unter gewissen Umständen hätte der Film wohl leicht einen lächerlichen Touch bekommen können, allerdings handhabt Jean-Charles Fitoussi die Thematik auf eine unnachahmliche Weise, lässt seinen Film, trotz oder gerade wegen seiner unvergleichlichen Geschichte, zu einem zweistündigen Essay werden, in dem er sich auf völlig unaufdringliche Weise mit Grundfragen der Philosophie beschäftigt, eine mehr als traurige Liebesgeschichte erzählt und nicht zuletzt eine ganz eigene Welt schafft. LES JOURS OÙ JE N’EXISTE PAS ist wohl genau das, was man einen Kunstfilm nennen könnte. Gesprochen wird wenig, es gibt unzählige Szenen, die sich in einer Langsamkeit entwickeln, die die meisten Betrachter abschrecken wird, die Story schleppt sich mühsam voran und kommt vollkommen ohne Momente aus, die die grenzenlose Ruhe, die der Film ausstrahlt, auch nur kurz unterbrechen würden. Selten habe ich einen derart stillen Film wie diesen hier gesehen. Setzt überhaupt mal Musik ein, handelt es sich um dezente Klassik, ansonsten kommt es vor, dass die Figuren über weite Strecken hinweg kein Wort sagen, und sich auch der Onkel, der Erzähler aus dem Off, zurückhält. Die Personen in LES JOURS OÙ JE N’EXISTE PAS agieren wie Marmorstatuen, scheinbar leblos, nur selten regt sich die Andeutung eines Gefühls in ihren Gesichtern. Große Gefühle werden bei Fitoussi nicht ausagiert, sondern laufen im Stillen und Verborgenen ab. Im Grunde ist es stets der Erzähler, der die Handlung permanent kommentiert und einen auf die Emotionen der Protagonisten hinweist, die diese nicht imstande sind, auszuleben oder auch nur zu zeigen. Eine tiefe Melancholie durchzieht den Film. Seine Stimmung ist die von traurigen Tagen am Ende des Sommers. Der Film beobachtet seine Figuren dabei jedoch so undramatisch wie möglich, hält weitgehend die Distanz, und überrascht stellenweise mit subtil-amüsanten und schlicht skurrilen Einfällen. Neben seiner schwermütigen Geschichte berührt LES JOURS OÙ JE N’EXISTE PAS auch mit seinen Bildern. Die kommen genauso still daher, drängen sich dem Betrachter nicht auf, wollen ihn nicht erschlagen, und sind von einer zerbrechlichen Schönheit, die umso sprachloser macht. Pure Poesie strahlen vor allem die vielen Landschaftsaufnahmen aus, die scheinbar in verschiedenen Teilen Frankreichs entstanden sind. Die Darsteller spielen zurückhaltend und reduziert, belassen es bei kleinen Gesten, deuten vieles nur an, oder sperren Emotionen gleich ganz aus ihren Gesichtern. 

Sicher kann ich mir aber auch vorstellen, dass die meisten ihre Probleme mit dem Film haben werden, und dass er nicht ohne Grund keinen höheren Bekanntheitsgrad erlangte. Auf LES JOURS OÙ JE N’EXISTE PAS muss man sich einlassen, und mit völlig anderen Erwartungen herangehen als an die meisten anderen Filmen. Mich hat das Werk des mir bislang gänzlich unbekannten Regisseurs Fitoussi auf eine ganz spezielle, eben einzigartige und besondere Weise zutiefst berührt.

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