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„Schlimmer hätt’s net komme könne.“

Am Nikolaustag des Jahres 1992 packte der Süddeutsche Rundfunk einen neuen „Tatort“-Ermittler in die Stiefel: Dietz-Werner Steck („Gaudi in der Lederhose“) mimte fortan bis in Jahr 2007 25 Episoden lang den Stuttgarter Kommissar Ernst Bienzle. Das Besondere an diesem „Tatort“-Zweig ist, dass er auf Romanen Felix Hubys basiert, die ab der zweiten Hälfte der 1970er publiziert worden. Bei diesem Fall handelt es sich jedoch um ein Originaldrehbuch, das Huby zusammen mit Dieter de Lazzer verfasste und erst zwei Jahre später als Taschenbuchprosa veröffentlicht wurde. Mit der Regie betraute man Peter Adam („Tatort: Das Mädchen auf der Treppe“), der damit seinen siebten und letzten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe leistete.

„Sind Sie noch ganz wach?“

Kommissar Bienzle ermittelt gegen den Wirtschaftsanwalt Dr. Dreher (Hanns Zischler, „Hitlerjunge Salomon“), der mittels Gammelfleisch-Reimporten EG-Subventionsbetrug begeht, dabei ordentlich absahnt und Klienten, die seine diesbezügliche Expertise in Anspruch nehmen, kräftig zur Kasse bittet. Drehers korrupte Machenschaften reichen bis weit in politische Kreise hinein. Doch die Kontrolle eines verdächtigen Lkw an der Grenze eskaliert, als einer der Fahrer eine Waffe zückt und Bienzles Kollege Gächter (Rüdiger Wandel, „Der Geschichtenerzähler“) ihn sogleich erschießt. Der andere Fahrer kann fliehen. Bienzle bleibt dran und trifft in diesem Zuge seinen Jugendfreund Paul Stricker (Rüdiger Vogler, „Bis ans Ende der Welt“) wieder, der mittlerweile als Fleischgroßhändler tätig und einer von Drehers Klienten ist. Pikanterweise ist Dreher mit Strickers Tochter Cordula (Christina Plate, „Manni, der Libero“) liiert. Als Dreher Paul Stricker seine Rechnung – inklusive Schweigegeld – präsentiert, fällt dieser aus allen Wolken. Doch Dreher will sein Geld. Bienzle wiederum will Dreher endlich das Handwerk legen und wird, wie es der Zufall so will, vom nichtsahnenden Stricker zum alljährlichen Reh-Essen eingeladen, einem feierlichen Bankett, zu dem u.a. die ganze korrupte Mischpoke geladen ist. Die Einladung kommt Bienzle sehr gelegen…

„Junge, Junge, ist ja wie im Kino!“

Wer die Inhaltsangabe nicht kennt, muss zunächst aufmerksam sein, denn Adam gestaltete den Auftakt eher unübersichtlich: Drei Männer im Dampfbad führen irgendetwas im Schilde und Dr. Dreher und Cordula Stricker werden als Liebespärchen eingeführt, während er irgendetwas von Frachtbriefen erzählt, bevor es zur tödlichen Lkw-Kontrolle kommt. Anschließend arbeitet Adam den Bezug zwischen Dreher und Paul Stricker heraus, langsam, mit Bedacht, bis es Klick macht – und man mit ekelhaften, blutigen Fleischereibildern konfrontiert wird. Anschließend kommt Bienzle (von dem man in diesem seinem Debüt beiläufig erfährt, dass er zwar liiert, aber nicht verheiratet ist) wieder ins Spiel, konfrontiert Dreher mit seinem Verdacht und trifft Paul Stricker, womit Kommissar Zufall sein bester Kollege wird.

Was von Dreher zu halten ist, wird allerspätestens dann klar, als er Stricker, also dem Vater seiner Freundin, mit Erpressung droht. Alle, die bis hierhin aufmerksam dabeigeblieben sind, belohnt dieser „Tatort“, indem er die Sleaze-Schublade öffnet: Paul Stricker nimmt Dienstleistungen einer Domina (Cornelia Corba, „Ein Schloss am Wörthersee“) – in Lederkluft und oben ohne – in Anspruch und ahnt nicht, dass seine Tochter im selben Studio arbeitet, die entsetzt reagiert, als sie sieht, wie sich ihr Vater nackt auspeitschen lässt. Eine herrliche Sequenz – wenn auch nicht frei von Klischees –, die Strickers titelgebende Biedermann-Fassade endgültig einreißt.

Ein paar Gänge zurück schalten Adam und sein Team mit dem spießigen Reh-Essen, für das Bienzle Berufliches und Privates miteinander verbindet, indem er mit seiner Lebensgefährtin Hannelore (Rita Russek, „Aus dem Leben der Marionetten“) dort aufschlägt. Dieser Teil zieht sich dramaturgisch etwas und ist reichlich dialoglastig ausgefallen, wobei zumindest zeitweise Untertitel angebracht gewesen wären – zumindest für Nichtschwaben. Gefühlt spielt sich die halbe Episode auf dieser Feier ab, auf der es bis zum deftigen Ende immer schlimmer zugeht.

Neben dem Blick hinter die spießbürgerliche Fassade der Strickers inklusive nackter Tatsachen und peinlicher Situationen unterhält dieser „Tatort“ mit den verschiedenen Abstufungen der Verkommenheit, auf denen Paul Stricker noch besser wegkommt als Dreher, der zudem Cordula schlecht behandelt und von einem Korruptionsgeflecht gepampert wird – Kritik am Politzirkus also inklusive. Schön auch die sprechenden Namen: Dr. Dreher dreht Dinger, Stricker verstrickt sich in sie. Der tödliche Schuss aus der Polizeipistole zu Beginn wirkt jedoch aufgesetzt, als erfolge er vor allem deshalb, weil (vermeintlich) jeder „Tatort“ mit einem Toten beginnen müsse. Unbeholfen erscheint dann auch der halbherzige Versuch, zu suggerieren, der Schütze leide unter den Folgen seiner Entscheidung. Bienzle bleibt bei diesem ersten Kennenlernen mit dem „Tatort“-Publikum eher zurückhaltend und lässt sich noch nicht sonderlich griffig charakterisieren. Gut gelungen aber sind die Neo-noir-Ingredienzien und der nie ausgesprochene, aber wenig subtile Kontrast zwischen Tierblut und Gammelfleisch auf der einen und dem piekfeinen, bonzigen Reh-Schmaus auf der anderen Seite. Vielleicht hat dieser „Tatort“ den einen oder anderen ja seinerzeit zum Vegetarier gemacht…

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