Gongschlag für die letzte Runde.
Die "Harry Potter"-Saga geht mit dem ersten Teil der "Heiligtümer des Todes" auf die Zielgerade einer dekadeumspannenden Filmsaga und was einst als kinderfreundliche, aber ungemein einfallsreiche Fantasy begann, ist zu einem düsteren Gefecht zwischen Gut und Böse für die ganze Zaubererwelt geworden.
Joanne K. Rowlings letztes Buch, langerwartet, hatte mit den düsteren und abgründigen Schlußakkorden ganz neue Töne angeschlagen und die gut 600 Seiten waren vollgepackt mit der breitgespannten Auflösung des Konflikts zwischen dem inzwischen zum halbreifen Teenager herangewachsenen Zauberschüler und seinem Gegner Voldemort, dem Sinnbild für böses und rücksichtsloses Machtstreben.
Obwohl längst nicht so lang wie mancher frühere Band der Saga, entschied man sich für die letzte Verfilmung, sie in zwei Filme aufzuteilen, um der Detailfülle des Inhalts und der beteiligten Figuren Herr zu werden und sicher auch, um einen zusätzlichen Dollar zu machen, doch bei aller Kritik am Kommerzstreben muß man, sofern man das Buch gelesen hat, zugeben, daß es auch bei einem dreistündigen Einzelfilm zu einem Stakkatoabhaken von Plot Points geworden wäre.
Da fast alle Figuren, die noch unter den Lebenden weilten, im letzten Buch noch einmal einen Gastauftritt haben, hatte der inzwischen schon abonnierte Hausregisseur David Yates in diesem Fall also mehr Platz für die Figuren und das sich abspielende Drama, angereichert mit dunklen Bildern aus einer finsteren Zeit, schmerzhaften Entscheidungen und einer Menge Figuren, die im Laufe der Story den Löffel abgeben mußten. Großes Drama also.
Für den ersten Teil komprimierte man etwa zwei Drittel des letzten Buches in einen Film, was sich auf den ersten Blick zwar grob anhört, aber letztendlich notwendig war, da die Autorin selbst in ihrem letzten Buch mit ihren üblichen Zeitvorgaben haderte. Waren die übrigen Bücher stets ein Schuljahr umspannend (von Spätsommer bis Frühsommer), fiel der Aufenthalt für die Hauptfiguren Harry, Hermine und Ron in diesem Fall weg, da sie sich auf den Weg machten, den "finsteren Lord" zu Fall zu bringen.
Da aber trotzdem das Zeitfenster unangetastet blieb, ging die Spurensuche, die Verfolgung, das Indizensammeln auf dem Weg zu den aufgesplitteten Seelenstücken des Bösewichts (die Horcruxe) lange Zeit eher zögerlich vonstatten. Neben episodischen Einschüben zu Beginn (die Verabschiedung von den Dursleys, die Volljährigkeit, die beinahe fatale Flucht zu den Weasleys, die Hochzeit, ein Einbruch ins Zaubereiministerium), müssen die drei Hauptfiguren schließlich fliehen und schlagen sich als ungewollte Camper durch, zerbrechen fast an der Isolation und den aufgestauten Gefühlen, trennen und finden sich schließlich wieder, ehe die dunklen Mächte sie schließlich vor die Flinte bekommen.
So gestaltet dieser Film sich als düster-trübe-demoralisierende Geschichte voller dunkler Punkte und bemühter Schattierungen von Durchhaltewillen, Heiterkeit und ansatzhafter Liebesbezeugung. Steve Kloves, der abonnierte Autor für fast alle Verfilmungen, brauchte das Buch für sein Skript praktisch gar nicht einzudampfen, es ging vornehmlich darum, die Substanz zu erhalten, nicht in Details zu ersticken und dafür zu sorgen, daß die Story nicht das Publikum in die gleiche niederschmetternde Depression wie seine Figuren trieb.
Gelungen ist ihm das nur bedingt. Fans der Bücher werden sicher erfreut feststellen, daß die Vorlagentreue diesmal stärker ausgeprägt ist, als in den anderen Fällen, als man die Vorlagen und ihren Detailreichtum manchmal etwas schmerzhaft einkondensieren mußte. Andererseits bringt dies den Nachteil mit sich, daß die Passagen des erzwungenen Nichtstuns, der quälenden Auf-sich-selbst-Zurückgeworfenheit, deutlich mitinszeniert werden mußten.
Das heißt: der Film ist ernst, bleigrau in Farbe und Stimmung, wirkt verzweifelnd und präsentiert kein unglaubliches Wunderland mehr, sondern ordnet fast alle Errungenschaften und Wesenheiten aus den bisherigen Werken neu an. Im Mittelteil bedeutet das aber für den Zuschauer: sehr viel inneres Drama, wenig Aktion, mehr Bezug auf die einzelnen Figuren - das ist inzwischen definitiv nichts mehr, was man Kindern einfach so locker mal zumuten sollte.
Dazu kommt natürlich noch die (möglicherweise etwas dick) aufgetragene diktatorische NS-Symbolik von dem alles unterdrückenden Regime, der ständigen Verfolgung, dem Denunziantentum und der Theorie von der Rassenreinheit der Zauberer.
In Deutschland stößt das eventuell etwas sauer auf, zumindest gibt es der Story das stete Gefühl der Bedrückung mit.
Dagegen stehen wir üblich die alten Werte wie Freundschaft, Liebe und gegenseitiges Vertrauen, was sich aber auch erstmal erkämpft werden muß. So muß man durch Ängste, Verletzungen, Eifersuchtsattacken und Verlassenheit waten, bis die Erlösung erst im zweiten Teil des Films winkt.
Möglicherweise hätte selbst aus dieser schier ausweglosen Stimmung ein anderer Regisseur mehr machen können, aber David Yates ist eben kein Spielberg (vielleicht ist das auch ganz gut so) und bis heute versteht er sich mehr auf persönliche Konflikte denn auf große Bilder. Hatte Yates mit seinem Inszenierungsstil spannungstechnisch schon in den letzten beiden Filmen weitestgehend versagt - zumindest fehlte ihm anders als den Büchern der imposante und raffinierte Funke an den bombastischen Höhe- und Wendepunkten - so kann er die Fehler auch in diesem Film nicht ganz beseitigen.
Ausgehend von einer kongenialen emotionalen Einführung (Abschied vom alten Leben), in der auch die dunkle Seite ihren großen Auftritt hat, mündet alles in einer ersten Spannungssequenz, der Flucht aus dem Dursleyhaus zu den Weasleys. Dort stehen sich Yates' Stärken und Schwächen dicht gegenüber. Erst führt er über ein Dutzend Figuren geschickt auf einmal (wieder) ein, dann präsentiert er dem Publikum optisch raffiniert sieben Potter (Tarnungen, um Verwirrung zu stiften), um die eigentliche Flucht und ein mörderisches Zaubergefecht in den Lüften dann total in den Sand zu setzen. Viel zu kurz, unübersichtlich, unbeeindruckend und nur auf Harry fokussiert, darf sich die FX-Abteilung mit Rauch, Feuer und dem Straßenverkehr austoben, doch das Nacherzählte des Buches darf man auch im Film nicht sehen. Als die Überlebenden schließlich verspätet, vereinzelt und verletzt am Zielort eintreffen, da geht dieser immens spannende und verzweifelte Moment so kläglich und beiläufig in die Hose, das es schon fast eine Vergewaltigung der Spannungskurve ist.
Das soll dann auch das Omen für den restlichen Film sein: wenn es Action gibt, dann ist sie entweder kaum auseinander zu halten oder verliert durch unpraktischen Superzeitlupeneinsatz an dramatischer Stringenz. Gibt es aber große Gefühle und Emotionen, geht Yates enorm in die Breite, aber angesichts der Vorgaben (und der immer noch limitierten darstellerischen Talente von David Radcliffe und Rupert Grint) leider nicht sonderlich gut in die Tiefe. Das hat zur Folge, daß die gefühlsstarken Wortgefechte stets etwas staksig wirken, während die kleinen Inserts (etwa wenn die Todesser den Hogwartsexpress entern) durchaus schnittig funkeln.
Im Mittelteil, nach dem Einbruch ins Ministerium (wo man durchaus noch mehr Bestürzung aus der Situation hätte destillieren können), folgt dann das große Loch der Isolation, die zum Bruch der Freundschaft führt und später wieder zur Zusammenführung. Kloves und Yates machen die große zeitliche Leere wirklich fühlbar, der neue Kameramann Eduardo Serra findet fast apokalyptische Bilder bizarrer Naturverlassenheit wie aus einem Endzeitfilm für die riesige Verlorenheit, doch weniger wäre für den erzählerischen Faden einfach mehr mehr gewesen. Der Film schwelgt in der Isolation und nähert sich dann so eher dem individuellen und weitschweifigen TV-Drama mit beeindruckender Bildgewalt an. Nur einzelne Momente haben dann übergreifende Brillianz, etwa wenn Hermine an der Grenze ihres Schutzzaubers von einem Verfolger "errochen" wird oder Harry in der einsamsten Minute die ebenfalls sitzengelassene Hermine zu einem bemühten Aufmunterungstanz nötigt, um nach diesem nostalgischen Moment der Leichtigkeit wieder in Depression zu verfallen.
Das alles ist echtes Rowlingmaterial in Ton und Stimmung, allein als eigenständiger Film fühlt sich manches davon deplaziert an, wie eine nachträglich veröffentlichte Langfassung.
Später kehrt man dann fast erleichtert zur typischen Kapitelstruktur zurück, inszeniert den Abstecher in Potters Geburtsdorf und zu Xenophilius Lovegood und bietet endlich substanziell wieder etwas an.
Doch auch da wieder Licht und Schatten, denn obwohl der Film schließlich ein optisches Highlight bietet, als das Märchen von den drei Brüdern in einer fast burtonesken Animationssequenz zum Leben erweckt wird, dauert es doch drei Viertel durch den Film, bis man einen Bezug zum Filmtitel überhaupt feststellen kann. Dazu kommt, daß manche kleine Erweiterung, wie die Macht des Horcrux, die dem zweifelnden Ron in einer Rauchvision vorgaukelt, Harry und Hermine hätten was miteinander geradezu genial anmuten, während die gesamte Backstory, Dumbledores Sturz, die Horcruxe und der Weg Voldemorts auf der Suche nach dem Elderstab nur in faserigen Rückblenden angeschnitten werden, mit kaum einer Spur von Erklärung, was es mit den wild montierten Bildern denn nun auf sich haben könnte.
Noch stärker als bisher, ist der Zuschauer von dem Vorwissen aus Büchern oder Filmen abhängig. Keine Vorstellungen, kaum Rückblenden, keine erklärenden Zäsuren, keine Hilfestellungen - Kloves stürzt den Zuschauer ins Geschehen und setzt das Panoptikum auf der Zielgeraden als hinreichend bekannt voraus, versäumt aber, dem reichhaltigen Mehr-Gänge-Festmahl einen Rahmen zu verpassen, der ihm als eigenständiger Film, nicht nur als Serienepisode würdig ist.
Notgedrungen mußte natürlich auch ein Höhepunkt für den ersten Teil her, was bedeutete, daß die Gefangennahme und erneute Flucht aus den Fängen der Todesser herhalten mußte, was im Buch ein erstes Highlight nach einer langen Durststrecke bedeutet. Doch wieder torpediert sich der übereifrige Regisseur selbst: die große Tragik zerschießt er sich wieder durch Zeitlupeneinsatz, stellt genau dann auf Eile, wenn eigentlich Substanz gefordert wäre (die Organisation der Rettung, während Hermine gefoltert wird) und stellt buchgetreu den Tod eines Kameraden heraus, während andere Todesfälle bis dato eher stiefmütterlich mit einem betretenenen Blick quittiert wurden. Es ist ein bemühtes kleines "High" am Ende dieses Films, das aber eben weder mit einem Paukenschlag, noch mit einem echten Schlachtruf endet, sondern eigentlich genauso aussichtsarm wie der ganze Film bis dato.
Und die unkommentierte letzte Szene, in der Voldemort Dumbledores Grab aufbricht (eine der seltenen Szenen, in der der Film mal nicht Harrys Sicht der Dinge schildert), schreit geradezu nach einem fulminanten Voiceover, doch wieder läßt Yates nur die Bilder emotional sprechen, dürfte aber das eine oder andere Fragezeichen (bzw. interessierte Nachlesen) bei manchem Zuschauer auslösen.
Die ganzen Fortschritte, die Identifizierung und Bedeutung der Heiligtümer, das Aufstöbern aller noch ausstehen Horcruxe, die große Schlacht - die erzählerische Substanz der Saga steckt fast völlig im noch kommenden letzten Film, bis zu diesem Punkt war alles noch oder nur persönliches Drama - hier hätte man die Gewichtungen vielleicht etwas verlagern sollen.
"Teil 1" ist damit nicht gescheitert, es ist aber ein unfertiger Film ohne den zweiten Teil, eine sehr emotional-persönliche Exposition, garniert mit ein paar Handlungsepisoden. Es ist wie der Übergangsfilm, für den man den fünften Teil immer gehalten hat, mit beeindruckenden Bildern und groß inszenierten, aber manchmal eben wenig überzeugenden Gefühlen, weil die Behäbigkeit der Vorlage simpel mitinszeniert wurde.
Für Fans ist das vermutlich die reine Vorlagentreue, aber auch die werden belegen, daß HP7 ein enormer gefühlsmäßiger Kraftakt ist und kein Blockbusterhappening, wie es sonst zu erwarten war. Daß man bei Yates geblieben ist, trotz längst erkennbarer Mängel, gerade in Bezug auf die "ganz große Show", muß nun ertragen werden, aber daß dem Mann der kreative Funken unbändiger visueller Großartigkeit und das Timing für den rechten Augenblick leider meistens abgeht, ist ja auch keine Neuigkeit.
HP7 - das ist ein düsteres, intensives Weihnachten mit alten Bekannten, lohnenswert sicher für die Darsteller, mit Abstrichen auch für Befürworter der figuren-betonten Story, aber es ist eben nur ein Teil eines größeren Werks. Nichts, was wirklich universell von sich aus laufen und atmen könnte. Aber welchen Muggel stört das schon, wenn der Vorhang sich erst öffnet. Lumos! (6,5/10)