Von der Kunst, sich durchzumogeln (VDKSD)
Normaler Weise akzeptiere ich die Besetzung der Hauptrollen. In diesem Fall scheint sie mir den ganzen Film zu vermiesen. Aber wenn es nur die Besetzung allein wäre!
Den flachen Film sollen z.B. „wunderschöne“ Impressionen von New York aufpeppen. Am Anfang sehen wir schon mal eine ganze Menge davon. Und die Hauptfigur rennt zielstrebig durch's Bild. Ganz anders der Text dazu: im Off gibt eine Stimme „tiefschürfend“ gemeinte Weisheiten zum Besten, die „philosophisch“ klingen und uns die völlige Antriebslosigkeit des „Helden“ George verkaufen sollen. Ein eilender Antriebsloser... da geht’s schon los mit dem Quatsch. In rasch abgespultem Blabla ist die Rede von „ewigen“ Dingen („Seit Anbeginn der Zeitrechnung“), Tod („Jeden Tag sterben 160.000 Menschen auf der Welt“) und Einsamkeit („Wir alle sterben allein“), und natürlich der Sinnfrage („Warum sollte ich dann mein Leben mit Arbeit verbringen?“ ... „Für eine Illusion?“ ... „Ich habe Besseres mit meiner Zeit zu tun“). Doch was hat er „Besseres“ zu tun? Er „tut“ jedenfalls nichts. Und die runtergeratterte Existenzkrise klingt wie auswendig gelernt, mehr behauptet als real.
Genau: bei genauerem Überlegen, wozu der Film einem erst hinterher Zeit lässt, fällt seine eitle Pose rasch auseinander. Seine Sinnkrise klingt vor allem aufgesetzt, läppisch und einfältig. Damit man aber nicht Zum Überlegen kommt, geht diese Krise möglichst flott auf uns nieder: „Wortkotze“, wie es in „Mean Girls“ heisst, einem der weit besseren Teenie-Filme. Da es aber so schnell auf mich einprasselte, kam bei mir nur die rationale Übersetzung an: „Hoppla, der Ich-Erzähler soll scheinbar irgendwie ein extrem tiefschürfender, nachdenklicher Typ sein.“ Im Gegensatz zu diesem gewollten Eindruck kam dann jedoch seine erste Großaufnahme wie ein Schock: dieses unbedarfte Milchgesicht („Kreisch! Der Kleine Nick!“) soll zu „tiefen Gedanken“ fähig sein? Darf er überhaupt schon allein auf's Klo?!?
Dass seine Gedanken alles andere als „tiefsinnig“ sind, fällt dann beim ersten Überlegen auf: es sind Fragen, und eine Auswahl von Antworten müsste jeden nachdenklichen Menschen, also auch ihn, sofort anspringen. Nicht jedoch George. Er verharrt in banaler Einfalt, in seiner Weigerung, weiter zu denken. Und er hat zwar angeblich „besseres zu tun“, davon sehen wir aber nichts. Er „tut“ noch nicht einmal nachdenken. Er äußert einige Sätze, die wie ein „Gedanke“ klingen, zieht rasch eine Folgerung, und richtet sich für sein weiteres Leben in der Untätigkeit ein. Anders als der Film die Figur „Sally“ sagen läßt, denkt er nämlich nicht „zuviel“, sondern zu wenig. Das „Zuviel“ wird nur behauptet.
Dass er sein eigenes Geschwätz nicht anhört, ist ein Problem des Milchgesichts – aber auch für mich. Die Figur wirkt, als interessiere sie sich noch nicht einmal für ihre eigene Fragen – also auch nicht für das Leben oder seine Umgebung. So wie Freddie Highmore (der Schauspieler) aussieht, spielt, durch die Straßen läuft, mit anderen spricht, interessiert sich die „nachdenkliche“ Figur George nicht einmal für sich selbst. Wie soll er da UNS interessieren? (Durch den Widerspruch? Ja, hat dann doch funktioniert! – Diese Review beweist das.) Sein grundlos fröhliches Dauergrinsen, trotz dieses verbal geäußerten Überdrusses, ist ebenso fehl am Platz wie sein Kindergesicht, dem solche desillusionierten Behauptungen entspringen sollen. Identifikationsfläche? Wer die gefunden hat, soll sich melden.
Doch es kommt noch schlimmer: das Drehbuch schreibt ihm trotz seiner Weltabgewandtheit extreme Beliebtheit zu, und das auch noch, obwohl er alle Leute unhöflich und unverschämt behandelt. Fast, als mögen sie ihn um so mehr, je asozialer er sich benimmt. (Da versucht ein Autor wohl, seine Wunschträume von allgemeiner Beliebtheit in der Figur „George“ Gestalt annehmen zu lassen. Ich muss an den bitterbösen, todtraurigen YOUNG ADULT [Autorin: Diablo Cody] denken, wo Mavis [Charlize Theron] die Illusionen ihres Lebens in Kitsch-Romanen wahr werden lässt. VDKSD ist in genau der gleichen Phase hängengeblieben.)
Zugleich wirkt Freddie Highmores „George“, als merke er sein asoziales Auftreten nicht: er äußert es so beliebig, so zufällig, wie er atmet. Und niemand nimmt Anstoß daran, ob er den Rektor duzt, nach billigsten Lügen klingende Ausreden in den Raum stellt, das Love Interest beleidigt (schweigen, wenn sie seine Nähe sucht, ihr im nächsten Moment wegen ihrer Offenheit den Laufpass geben und danach ihre Anrufe ignorieren, das wurde ins Drehbuch konstruiert, um überhaupt irgendeine Art von „Drama“ zu installieren, ist aber der totale Quatsch). Vielleicht haben es die Autoren selbst nicht registriert; „George“ merkt es jedenfalls nicht. Dafür müsste er ja seine Beziehung zur Umwelt reflektieren – doch seine tief bohrende Bedenklichkeit findet nur auf einer angeklatschten Tonspur statt. Auch in der Nonsensszene „nach der Trennung“ (George fühlt sich einsam; eigentlich doch genau das, worum er sich mit seiner ungehobelten Art immer bemühte) schlägt dann die Indie-Film-Mucke wieder gnadenlos zu und uns den Sinn um die Ohren (in dem Fall Leonard Cohen, dessen Song auch noch geklaut wurde aus PUMP UP THE VOLUME, der Mutter aller „Teenage Angst“-Filme). So dass auch der dümmste Zuschauer merkt: George „leidet“.
Das verquere Drehbuch belohnt Georges tramplige Unverschämtheit noch: alle fördern ihn, suchen seine Nähe, loben sein Gekritzel, geben ihm Aufträge, schützen ihn, schwärmen für ihn, suchen „zwei Stunden“ lang nach ihm, zerren ihn aus seiner Kotze – und diese anderen, die seine Nähe suchen, sind dann auch noch ausgerechnet obszön reiche, allgemein „beliebte“ und „erfolgreiche“ Jugendliche, die in jeder normalen Geschichte 1000 „bessere“ Dinge vorhaben, als nach linkischen Losern zu suchen, um mit ihnen abzuhängen. Typen wie „George“ dienen da bestenfalls als Hofnarren, doch VDKSD lässt George zum totalen Guru der „In-Group“ werden, die ihn geradezu vergötternd anhimmelt – wieder so ein Wunschtraum des Autors.
Dass so ein fehlbesetzter Blender wie George dann auch noch falsch inszeniert ist... unbedarftes Grinsen, forschen Gang nannte ich schon. Und warum z.B. muss er Sally beim Absondern seiner Nihilismen unverwandt anstarren? Würde er seine populär abgeklärten Sentenzen ernst meinen, so wären ihm alles egal, inklusive ihrer Reaktionen. Und warum zappelt er so beim Reden? Es passiert entnervten Schauspielern, dass sie absichtlich schlecht spielen, um endlich die Aufmerksamkeit des Regisseurs zu wecken.Vielleicht war das so ein Fall. Und wahrscheinlich war die Regie zu sehr damit beschäftigt, den Film als Wunscherfüllungsmechanismus eigener Bedürfnisse zu bestaunen, dass so banale Nebensachen wie der Hauptdarsteller übersehen wurden.
PS: Hoppla, ich merke, dass ich oben auf einigen wenigen Themen herumgeritten bin, dafür aber extrem, und auch Wiederholungen nicht gescheut habe. Wie dieser besessene Wanderprediger in der Fußgängerzone kreiste ich in Endlosschleife um irgendwelche persönlichen Obsessionen von mir. Deutet das etwa auf mangelnde Selbstreflexion?! Will ich etwa selbst wie George, oder seine Autoren sein? Peinlich!?