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  „Our Idiot Brother" hat brauchbare Ansätze, versandet aber kläglich im Mittelmaß des einschlägigen Indie-Biedermeier-Mischmaschs. Die hochkarätige Besetzung kann weder das unausgegorene Drehbuch, die klischeehaft gezeichneten Figuren, noch die mäßig getimte Inszenierung von Regisseur Jesse Peretz kompensieren. Neben einigen gelungenen Szenen bleibt vor allem im Gedächtnis, dass der schön erdachte Protagonist unnötigerweise zum Nebendarsteller seines eigenen Films degradiert wird. Ob das wirklich Absicht gewesen ist?

Nachdem der gutmütige Neo-Hippie Ned Rochlin (Paul Rudd) eine kurze Haftstrafe verbüßt hat, quartiert er sich arbeits- und mittellos nacheinander bei seinen drei Schwestern Miranda (Elisabeth Banks), Natalie (Zooey Deschanel) und Liz (Emily Mortimer) ein. Seine allzu offenherzige und mitunter tollpatschige Art beschwört einige Katastrophen herauf und wirbelt das mehr oder weniger geordnete Leben der drei Mittdreißiger gründlich durcheinander. Schon bald stellen sich alle die Frage: Wie werde ich meinen idiotischen Bruder wieder los?


„Our Idiot Brother" beschreitet die weitestgehend ausgetrampelten Pfade jener vollkommen harmlosen Crowdpleaser-Komödien, deren halbherzige Indie-Attitüde sich darin genügt, eine möglichst große Anzahl an skurrilen Familienmitgliedern zu versammeln und einem etablierten Hollywoodstar eine Bühne zu bieten, um gegen sein Image anspielen zu können  - diese vermeindliche Metamorphose beschränkt sich dann freilich meistens darauf, einen Vollbart zur Schau zu stellen oder sich wahlweise eine Nerdbrille aufzusetzen. Der stets präsente Indie-Soundtrack gaukelt Tiefe vor, während das Drehbuch in Wahrheit genauso formelhaft ist, wie jenes Hollywoodkino, von dem es sich eigentlich abzugrenzen vorgibt. Mit diesen Konzept, das mehr Marketingansatz, denn künstlerische Vision ist, feierten sogenannte kleine-feine Filme wie „Winter Passing",  (2005),"Little Miss Sunshine" (2006), „King of California" (2007), „Dan - Mitten im Leben" (2007), „Happy-Go-Lucky" (2008), „Sunshine Cleaning" (2008), oder  in jüngster Zeit beachtliche Erfolge.

Doch damit tut man „Our Idiot Brother" im Speziellen und der Mainstream-Indiekomödien im Allgemeinen Unrecht. Diese Filme können durchaus eine Menge Spaß bringen und auf dem Papier bietet „Our Idiot Brother" auch alles, was dafür nötig ist. Leider krankt das Drehbuch an vielen pointenfreien Dialogen und Szenen sowie - und das ist am schlimmsten- an akuter Vorhersehbarkeit. Denn natürlich darf jede der drei Schwestern den treudoofen Ned zunächst leidenschaftlich hassen lernen, um sich Ende einzugestehen, dass er dann ja doch irgendwie ihr Leben bereichert hat. In der geballten Dreierkonstruktion mit Elisabeth Banks, Zooey Deschanel und Emily Mortimer wirkt das nicht nur reichlich umständlich konstruiert, sondern auch unnötig redundant. Zudem müssen die drei Aktricen Rollen ausfüllen, die in ihrer Klischeehaftigkeit kaum zu überbieten sind. Die hippe, aber erfolglose Standcomedian Natalie ist natürlich mindestens bisexuell und vollkommen neurotisch. Die Societyreporterin Miranda würde für eine gute Story alles tun und ist natürlich vollkommen neurotisch. Die Ehe von Hausmutter Liz ist mal sowas von eingeschlafen und sie ist natürlich vollkommen...bieder. So bleibt es Paul Rudd als titelgebender Idiot vorbehalten, das überraschende Element in dieser Familienkomödie zu geben. Und das gelingt auch weitestgehend. Paul Rudd, der im großen Rest seiner übrigen Filme eher mit den Zwängen seines angepassten Spießbürgerlebens zu kämpfen hat, als unterbelichteten Hippie zu besetzen, ist sicherlich der größte Coup von „Our Idiot Brother". Nie etwas Böses ahnend und stets etwas begriffsstutzig, geht er grundsätzlich vom besten im Menschen aus. Das führt beispielsweise zu einigen lustigen, nichtkonfrontativen Konfrontationen mit dem neuen Lebenspartner seiner Ex-Hippiefreundin, die zu den Highlights des Films gehören. Als eine Art Lebowski-light ist er quasi die lammfromme Version eines schwarzen Schafs der Familie Rochlin und damit der Katalysator für die gesamte Handlung.


Leider aber eben auch nicht mehr. Diese schön erdachte Figur bleibt letztlich extrem unter ihren Möglichkeiten, weil ihr -bis auf einem gelungenen Wutausbruch, der den emotionalen Höhepunkt des Film darstellt und den zweiten Akt beschließt, keinerlei Entwicklung zugestanden wird. Die Hauptfigur wird lediglich dazu eingesetzt, die Storylines der Nebenfiguren zu beeinflussen - eine gravierende Fehlkonstruktion, die dazu führt, dass der gutherzige Hippie im Verlauf der Geschichte einen Großteil seiner Anziehungskraft einbüßt. Hinzu kommt, dass der Film selten so witzig ist wie es sein könnte. Die komödiantischen Einlagen kranken an einem miesen Timing und die Tonalität schwankt unentschlossen zwischen bittersüß und infantil unkoordiniert hin und her. Bezeichnend, dass selbst ein so begabtes Comedyensemble, das in kleineren Rollen durch Rashida Jones, Steve Coogan und Adam Scott ergänzt wird, größtenteils machtlos gegen die halbgare Inszenierung anspielt. Das Drehbuch wirkt sehr episodenhaft und einzelne Szenen fügen sich mitunter schwer in die Gesamthandlung. Sei es der anfängliche Drogendeal, der Ned eine kurze Haftstraße einbringt, die Begegnung mit einem Swingerpärchen, oder das öffentliche Geldzählen in der U-Bahn - Szenen die für sich recht gut funktionieren, wirken doch wie Fremdkörper innerhalb der Handlung. Einzig bei dem Scharadespiele-Abend mit seiner Familie zeigt Regisseur Jesse Peretz, dass er das Große im Kleinen inszenieren kann. Hier entwickelt der Film eine Intensität und eine Energie, die vorab schmerzlich vermisst wird.

So bleibt „Our Idiot Brother" zwar nicht als echte Ressourcenverschwendung im Gedächtnis, bleibt aber wegen der netten stark unter seinen Möglichkeiten. Das reicht immerhin noch für einen DVD-Abend ohne große Erwartungen, wer sich von der illustren Besetzung und dem witzigen Trailer mehr verspricht, dürfte aber enttäuscht werden.


Daran werde ich mich lange erinnern: Neds platzt beim Scharadespielen im Kreise seiner genervten Familienmitglieder effektvoll der Kragen.

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