Review

Für türkische Verhältnisse ist Eskiya ein Phänomen, ein brillant durchdachter komplexer Film, der zwar wie ein einfacher Rachethriller daherkommt, an sich aber weitaus komplexer und intellektueller ist, als man es ihm auf den ersten Blick ansieht.
Gleichzeitig werden Mißstände in der (nicht nur) türkischen Gesellschaft angeprangert und Philosophie und Romantik kommen auch nicht zu kurz.
Untermalt von einer sehr passenden Musik und eigentlich in jeder Szene getragen vom überragenden Sener Sen entwickelt Eskiya eine unglaubliche Eigendynamik und emotionale Wucht, die sogar zweimal einen Höhepunkt findet (das erste ist das Zusammentreffen Barans mit seiner Jugendliebe nach über 35 Jahren).

Dennoch kann man Eskiya nicht als Rachethriller oder -drama bezeichnen, es ist eher die Geschichte eines ehemaligen Bergbanditen, der vor 35 Jahren von seinem besten Freund an die Polzei verraten und verkauft wurde, dem von diesem Verräter die Frau und Hab und Gut entwendet wurden. Nun ist er draußen und sinnt zwar auf Rache, doch mehr hofft er darauf, seine alte Liebe wieder zu finden. In einer Stadt, in der er noch nie war.
Mittlerweile ist er gar nicht mehr in der Lage, sich in einer Stadt, geschweige denn in einem solchen Moloch wie Istanbul wiederzufinden.
Seinen Verräter und mit ihm seine Geliebte wiederzufinden würde ja an ein Wunder grenzen. Manchmal passieren solche kleinen Wunder im Film...
Und Eskiya ist auch gleichzeitig die Geschichte eines alten Mannes, dem nie eigenen Kinder vergönnt waren und seiner langsam aufkeimenden tiefen Quasi-Vater-Sohn-Beziehungs-Freundschaft zu einem jüngeren Mann, dessen Vater im Knast umgekommen ist und der dadurch auf die schiefe Bahn geriet.

Ohne erhobenen Zeigefinger und mit kleinen wunderbaren Gesten werden solche Werte wie Loyalität, Opferbereitschaft, Verrat, Schuld, Sühne, Arroganz, Ignoranz, Gier, Vergebung porträtiert.
Unaufdringlich und fast schon omnipräsent überragt Sener Sen die gesamte Szenerie.

Dieser Film ist ein neuer Klassiker des türkischen Films, der nach den dunklen 80ern und dem schäbigen Anfang der 90er Jahre endlich wieder zu strahlen begann.

Und für viele Nichttürken dürften hierbei sehr viele Nuancen der türkischen Gesellschaft, die hier dargeboten werden gar nicht so sehr auffallen: So kommt Baran beispielsweise aus einer Region, die der Errichtung eines Stausees zum Opfer fiel (nicht unähnlich in China), der Unterschied vom Istanbultürken zum Landtürken, die traditionell-folkloristisch gehaltene Musik, das Nicht-Übermäßige-Vorhandensein der Religion (z.B. als Baran einem sterbenden etwas von Wiedergeburt erzählt erinnert mehr an den Hinduismus oder Buddhismus als an den Islam), die Anprangerung des Polizeiapparates als Marionetten der Reichen und Mächtigen, die Nichtwürdigung der Künsterlgilde, das Anprechen der Problematik des sexuellen Mißbrauchs in der Familie, die Chancenlosigkeit dem sozialen Abstieg zu entkommen, wenn man erst mal auf dem Weg nach unten ist, wie alte markante Werte mittlerweile verloren gegangen sind, dass ein Wort nicht mehr als ein Wort zu nehmen ist, und nicht zuletzt die Scheinheiligkeit der heutigen Gesellschaft.

Eskiya nimmt sich viel vor, droht auch deswegen immer wieder zu scheitern, doch da er angenehm zurückhaltend ist, niemals den Zeigefinger erhebt, sondern diese Themen immer nur anschneidet, sich aber auf seine nicht immer geradlinige Geschichte konzentriert, funktioniert dieser Film auch absolut wunderbar.
Vor allem das allzu konsequente Ende, welches dennoch irgendwie versöhnlich stimmt, ist der Genuß dieses Films absolut wert.


Sollte es tatsächlich Schwachpunkte geben, dann sind sie nur subjektiver Natur, d.h. sind mir negativ aufgestoßen:
Ich empfinde die Besetzung des Cümali als falsch, man hätte jemanden nehmen sollen, der mindestens 5-10 Jahre jünger war. Nicht dass der Schauspieler schlecht spielt, im Gegenteil, er füllt seine Rolle tatsächlich aus, und es gelingt ihm sogar, gegen Sener Sen auf der leinwand zu bestehen, was an sich schon schwer ist. Nur ist er einfach m.E. zu alt für seine Rolle.
(Im Übrigen finde ich, dass er seine letzten Szenen im Film tatsächlich sehr schwach spielt, aber das ist wie gesagt subjektiv).
Und der zweite Schwachpunkt ist die Besetzung von Barans großer Liebe, ich finde ihren Dialekt als zu schlecht und gekünstelt gespielt.
Beides ist aber absolut verkraftbar.

Letztendlich bleibt ein schöner, runder, großer Film, dem man tatsächlich höchstens nur seine offensichtliche kalkulierte und sichtbare Kommerzialität vorwerfen kann, zu sehr kommt dieser Film wie ein Abgesang auf alte Mythen, eher wie eine Fabel als ein realistischer Film daher, in welchem alle Charaktere zwar schon sehr realistisch handeln, aber irgendwie überwiegt doch der schöne märchenhafte Charakter, der einen zu Tränen rühren kann.

Und da muß ich meinem Vorschreiber auch recht geben: Da ist beispielsweise Yol um einiges kraftvoller und größer -überragender.

Dennoch, man muß einen sehr guten Film nicht mit dem Maß aller Dinge vergleichen.

Sehr gute 8 Punkte im allgemeinen (Für Türken sicherlich 9 -10 Punkte)

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