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„Coriolanus“ von William Shakespeare ist eine spröde, widerständige Tragödie voller unangenehmer Einsichten und unbeantworteter Fragen, und die Verfilmung von Ralph Fiennes geht in dieser Hinsicht kaum Kompromisse ein. Ganz so wie das Stück ist der Film ein hartes Stück Arbeit für den Zuschauer, der einen zunächst erfolgreichen Kriegshelden begleitet, der sich jedoch bei der Bewältigung bald folgender Konflikte durch Verschlossenheit, Sturheit und Unfähigkeit zum Kompromiß einer empathischen Anteilnahme oder gar Identifizierung beinahe komplett verweigert. Und dennoch werden die Motive und Handlungen des Antihelden Coriolanus ganz allmählich zumindest nachvollziehbar. Der Moment allerdings, in welchem er schließlich eine wahrhaftige, genuin menschliche Regung offenbart – dieser bewußte Moment bedeutet seinen Untergang.

Daß „Coriolanus“ zu den weniger bekannten, selten aufgeführten und nun erstmals aufwendig fürs Kino verfilmten Stücken Shakespeares gehört (erwähnt sei noch die TV-Produktion der BBC aus dem Jahre 1984), kann nicht allein am problematischen Wesen der Hauptfigur oder an ihrem gnadenlosen Rachefeldzug gegen das eigene Volk liegen. Denkt man etwa an Macbeth oder Richard III., so sind diese nicht minder abstoßenden Charaktere wesentlich erfolgreicher in den Bühnen- und Filmadaptionen ihrer Missetaten. Vielleicht ist es das entlegene Szenario im alten Rom, das weder mit historischen Persönlichkeiten wie Julius Caesar noch mit augenfälligen Parallelen zur Politik oder Geschichte des englischen Königreiches aufwartet. Oder es ist das inzwischen schwierige Hineinfinden in das moralische Wertesystem der antiken virtutes, innerhalb welchem der übermäßige Stolz des Coriolanus seine Hauptverfehlung ist und den Dreh- und Angelpunkt der Handlung bildet.
Ein Umstand jedoch trägt ganz sicher zur mangelnden Popularität des Stückes, vor allem in unseren Tagen, bei: Die kritische Darstellung der Funktionsweise der Demokratie, hier freilich in der römischen Ausprägung samt ihrer spezifischen Trennung zwischen Plebejern und Patriziern, die aber durchaus Rückschlüsse und Parallelen zu heutigen demokratischen Modellen und Mechanismen anbietet. Es sind nämlich das Volk und die von ihm gewählten Volkstribunen, die dem erfolgreichen Feldherren Caius Martius, genannt Coriolanus, nachdem er Rom vor den feindlichen Volskern verteidigt hat, die angestrebte innenpolitische Karriere als Konsul unmöglich machen. In aller Deutlichkeit und Drastik werden die Schwachpunkte des römischen Regierungssystems vorgeführt: Die Wankelmütigkeit und Rachsucht des Pöbels, der Opportunismus und die Niedertracht seiner Vertreter, der Volkstribunen, die Gefahr der Destabilisierung, ja des Zusammenbruchs jeder politischen Ordnung durch aus einer aufgeheizten Stimmung heraus getroffene Entscheidungen. Die Verbannung des so dringend benötigten, da überaus fähigen Generals Coriolanus rührt einzig aus dem kalkuliert geschürten Volksaufruhr und dem gezielt gestreuten Gerücht, er wolle sich zum Tyrann aufschwingen und damit die Demokratie abschaffen – ironischerweise führt dann gerade die Verbannung dazu, daß Roms Macht alsbald im Staub bzw. in den Händen ihrer Feinde liegt.
Diese Darstellung mag einst, in Zeiten der noch nicht konstitutionellen Monarchie in England, als Bestätigung der Gefahren eines demokratischen Modells gewirkt und gleichzeitig mahnend vor Augen geführt haben, wie wichtig die kluge und effektive Lenkung von Volksmassen und -meinungen ist. Sie hält allerdings auch heutigen Verhältnissen einen Spiegel vor, dessen kritische Reflexionen nicht so einfach von der Hand zu weisen sind. Wie sehr die genannten Aspekte auch weiterhin als neuralgische Punkte zeitgenössischer demokratischer Systeme fortbestehen, zeigt der „Coriolanus“-Film von Hauptdarsteller und – erstmalig – Regisseur Ralph Fiennes und Drehbuchautor John Logan („Gladiator“).

Ihnen ist das Verlegen des Geschehens aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert in eine wiedererkennbare Gegenwart bis in die Details hinein gelungen: In Rom (oder dem Ort, der sich selbst so nennt, wie es auf einem Zwischentitel heißt) ist eine Metropole westeuropäischen Zuschnitts auszumachen, deren Bürger, genauer Plebejer, unter der Last der Sparmaßnahmen der Regierung ächzen. Sie machen im Patrizier Caius Martius ihren Feind aus, da er ihre Protestmärsche mit polizeilicher Gewalt niederhält und aus seiner Verachtung ihnen gegenüber keinen Hehl macht. Moderne Massenmedien, speziell TV-Nachrichten, dominieren den Alltag und filtern die Ereignisse, die öffentliche Meinungsbildung findet über die nur allzu bekannten, speziell darauf ausgerichteten Fernsehformate statt. Die vom schmutzigen Guerillakrieg der Volsker gezeichnete Umgebung Roms erinnert nicht von ungefähr an die Balkankriege der 1990er Jahre: Tatsächlich wurde Serbien und Montenegro gedreht, auch die Mehrheit der Nebenrollen und Statisten rekrutierte sich aus Einheimischen. Militärisch hochgerüstete Römer stehen den irregulär und partisanenhaft kämpfenden Volskern gegenüber und müssen im entbehrungsreichen Häuserkampf gegen Sprengfallen und Heckenschützen ankommen., zivile Opfer werden ohne viel Aufhebens in Kauf genommen.
Entsprechend den Darstellungskonventionen moderner Kriegsberichterstattung ist die Bildgestaltung des gesamten Films von einer stets unruhigen Handkamera geprägt, die nah an den Protagonisten bleibt und deren unmittelbarer, authentischer Gestus gelegentlich durch beschleunigende Jump Cuts verstärkt wird. Dergestalt verschwimmen die auf Augenhöhe gehaltenen, farblich leicht desaturierten Bilder mit den immer wieder eingespielten offiziellen TV-Berichten und bieten dem Zuschauer die Möglichkeit, bezüglich der medialen Vermittlung von Kriegsgeschehen die eigenen Sehgewohnheiten und -erwartungen zu reflektieren. Dieser Anspruch auf (einen eben doch auch manipulierten) Realismus wird durch den sehr sparsamen Einsatz von Filmmusik noch unterstrichen.

Für die Figurenzeichnung insbesondere des Caius Martius, der seit seinem Sieg bei der Stadt Corioles den Ehrennamen Coriolanus führt, setzen Fiennes und Logan auf den konsequenten Schritt der Psychologisierung, wie sie bei Shakespeare weder vorgesehen noch erforderlich war, für einen heutigen Zugang jedoch vonnöten und, wie in diesem Falle, fruchtbringend ist. Nach wie vor ist Coriolanus ein geborener Soldat und Truppenführer, der nie etwas anderes gelernt oder betrieben hat, eine unfehlbare Tötungsmaschine, die sich im zivilen Leben Roms immer unwohl und fehl am Platze fühlt. Dies um so mehr, als Coriolanus sich quasi ausschließlich auf Betreiben seiner ehrgeizigen Mutter hin um das Amt des Konsuls bewirbt und sich damit einer Reihe von vorgeschriebenen Ritualen unterwerfen muß, die ihm zutiefst zuwider sind (etwa das öffentliche Präsentieren seiner Wunden oder das Bitten um die nötigen Wahlstimmen bei den Plebejern) und zudem seinem Selbstverständnis als höhergeborenem, unabhängigen Patrizier entgegenstehen. Hier verwandeln Fiennes und Logan den Wesenszug des Stolzes, wie er bei Shakespeare dominiert, in eine tiefgreifende emotionale Verkümmerung des Coriolanus und seine schiere Unfähigkeit, an den Verstellungs- und Täuschungspraktiken des demokratischen Apparates teilzunehmen. Diese Disposition führt zu einer Art übergreifendem sozialen Kommunikationsdefizit, das dem Feldherrn außerhalb der militärischen Sphäre zu eigen ist, nicht unähnlich der fehlenden Empathiefähigkeit von Menschen, die unter dem Asperger-Syndrom leiden. Ralph Fiennes spielt den Coriolanus entsprechend als Getriebenen, der von der Komplexität des ihm fremden politischen Betriebes eingeschüchtert ist, und greift dabei auf ein Arsenal von Ausdrucksmöglichkeiten zurück, wie er es ganz ähnlich bereits in David Cronenbergs „Spider“ (2002) eingesetzt hat. – Es soll dabei nicht verschwiegen werden, daß das große Manko des Films aus eben dieser Psychologisierung des Helden erwächst: Die Darstellung seiner Wandlung vom Römer zum Rächer in der zweiten Filmhälfte beansprucht viel zu viel Zeit, zumal nach dem atemlos inszenierten Sieg bei Corioles und dem Ansteigen der Spannung während Martius’ zunehmenden innenpolitischen Verstrickungen.
Die einzige Person, die mit der speziellen Persönlichkeitsstruktur Coriolanus’ umzugehen und sie zu steuern weiß, ist seine Mutter Volumnia, gespielt von der (wieder einmal) überaus beeindruckenden Vanessa Redgrave. Bis zum Schluß versucht sie, mit Ehrfurcht gebietender Präsenz und tiefer, gutturaler Stimme auf die Handlungen ihres Sohnes Einfluß zu nehmen, da sie beinahe fanatisch auf seinen Erfolg fixiert ist. Den beiden ist im Film ein eindeutig ödipal konnotierter Moment eingeräumt, der die ohnehin kaum zu Wort kommende Ehefrau Virgilia unmißverständlich zur Familienangehörigen zweiten Ranges macht. Neben dem für Außenstehende undurchdringlichem Mutter-Sohn-Verhältnis verblassen alle weiteren Figuren zu Randerscheinungen, die keine Chance haben, am Innenleben des Coriolanus Anteil zu haben: Selbst der langjährige Freund der Familie und erfahrene Politiker Menenius Agrippa (Brian Cox) muß einsehen, daß er mit seiner Redegewandtheit zwar aufgebrachte Bürger zur Ruhe bringen, aber nicht zu Coriolanus vordringen kann, wenn der sich jeder Kommunikation verschließt. Die Rolle des Aufidius (Gerard Butler), Befehlshaber der Volsker und langjähriger Erzfeind von Coriolanus, ist in mancher Hinsicht undankbar, denn er ist nur eine dienstbare Marionette im Racheplan des Römers gegen die Stadt, die ihn verstoßen hat. Trotzdem schaffen es Fiennes und Logan, ihn genau als das zu charakterisieren, was Coriolanus nicht ist: Ein charismatischer, volksnaher, beliebter Anführer, dem seine Leute aus Begeisterung und nicht aus Furcht folgen. Die beiden anderen Gegenspieler von Caius Martius, die römischen Volkstribunen, werden zwar durchaus klischeehaft, aber effektiv als diejenigen Vertreter des politischen oberen Mittelfeldes portraitiert, wie man sie aus dem Alltagsgeschäft von europäischen und anderen Regierungen kennt: Anzugtragende, berechnende und bewegliche Machtstrategen, deren vorrangiges und einziges Ziel es ist, „das Spiel zu spielen“.

Daß in „Coriolanus“ die Übersetzung politischer Gepflogenheiten aus dem alten Rom in unsere Zeit so überraschend gut funktioniert, daß Menschenmassen oder -meuten ihrer unberechenbaren Eigendynamik folgen (so Elias Canetti), daß schließlich damals wie heute das gesellschaftliche Scheitern eines in seinen Fähigkeiten unersetzlichen Mannes allein daraus erwachsen kann, daß er nicht willens oder fähig ist, die letztlich rein formalen Spielregeln der demokratischen Konsensfindung einzuhalten – diese Tatsachen führen vor Augen, wie gründlich Shakespeares Werk nicht nur heute, sondern bereits zu seinen Lebzeiten das Wesen und die Schwächen gesellschaftlicher Systeme ausloten konnte (die „theoretische Abschaffung des Adels“, die sich laut Peter Sloterdijks „Die Verachtung der Massen“ erst in den Schriften Thomas Hobbes’ ankündigt, wird bei Shakespeare in den Ressentiments der Plebejer gegen das Patriziat schon vorweggenommen). Man kann in „Coriolanus“ die ganz persönliche Tragödie eines Einzelgängers sehen, aber auch, und die Gewichtung liegt hier beim Zuschauer, das Versagen eines für gezielte Manipulationen anfälligen Herrschaftssystems. Da ihr erzählerisches Interesse durchaus der Durchdringung des unzugänglichen Charakters der Titelfigur gilt, rücken Fiennes und Logan die demokratiekritischen Untertöne nicht explizit ins Zentrum ihrer Verfilmung, passen sie aber geschickt den veränderten Rahmenbedingungen unserer Zeit an, so daß sie ihre Wirkung auf den aufmerksamen Zuschauer nicht verfehlen können.

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