"Du sollst keine anderen Götter neben mir haben". So lautet eines der 10 Gebote. Der polnische Meisterregisseur Krzysztof Kieslowski machte sich daran, über jedes einzelne der 10 Gebote einen Film zu drehen. Am bekanntesten dürften seine Langversionen von "Ein kurzer Film über das Töten" und "Ein kurzer Film über die Liebe" sein.
Im hier vorliegenden Kurzfilm (die zehn Teile des Dekalogs dauern jeweils 50 - 55 Minuten) behandelt er oben beschriebenes Gebot. Was der Betrachter des Films gleich eingehend wissen sollte: Kieslowski behält es sich vor, das Gebot (so auch in manch anderen Teilen) relativ offen und frei zu gestalten. Heißt, die Gebote werden oft relativ weiträumig umschrieben, so dass sie zwar schon noch auf den Sinn des Gebotes per se zutreffen, jedoch spiegelt die jeweilige Story nicht komplett den Wortlaut des Gebotes wieder.
Hierbei geht es um einen allein erziehenden Vater, gleichzeitig Wissenschaftler, und seinen Sohn, der sich schon ziemlich für das Schaffen seines Vaters interessiert und sich auch schon relativ gut mit dem Computer und sich darauf befindlichen Programmen auskennt. Das Verhältnis zu seinem Vater ist ein sehr offenes, herzhaftes, wobei der Elternteil sehr engstirnig und rational ist.
Denn er, Wissenschaftler wie er ist, meint alles mit eben jener erklären zu können. Als der Sohn ihn über den Tod ausfragt, was der Tod ist, er bedeutet, dann entgegnet ihm sein Vater mit der einfachsten aller Antworten. Das Herz höre auf zu schlagen, dadurch würden die Organe nicht versorgt etc. ... Er beruft sich auf den menschlichen Körper, seine Anatomie und die medizinischen Prozesse, die mit dem Tod korrelieren. Dabei wollte der Sohn doch vielmehr eine freiere, emotionalere Antwort hören, losgelöst von allen Fachbüchern. Er wollte quasi eine Art philosophische Antwort, ohne zu diesem Zeitpunkt seines Lebens etwas über die Philosophie zu wissen.
Seine Tante, bei der er ab und zu zum Essen eingeladen ist und die hin und wieder auf ihn aufpasst, ist hingegen die Philosophin, die Poetin, die Religiöse, die ihrem Neffen die Dinge zwischen den Zeilen erklärt, die ihm die Augen für Dinge öffnet, die vielleicht nirgends nachzulesen, nirgends fundiert sind. Dinge, die auch jeder Mensch anders sehen und interpretieren kann.
Als der Sohn letztendlich Schlittschuhlaufen möchte und der Vater mit Hilfe seines Computers und den Temperaturen der letzten Tage berechnet, wie viel Masse der hiesige See auszuhalten mag, gibt ihm der Vater grünes Licht. Mit fatalen Folgen.
Fast Kieslowski-typisch stammen die Protagonisten alle aus relativ heruntergekommenen, alten Wohnblöcken, die Story spielt sich auch größtenteils in der Gegend darum ab. Kieslowski schafft es, innerhalb der knapp 60 Minuten eine unheimliche Spannung zu erzeugen. Trotz - oder vielleicht gerade deswegen - weniger Dialoge und typischer Bildersprache entsteht wirklich eine tolle Atmosphäre, alleine die Sequenz vom Verschwinden des Kindes bis zu seinem Auffinden raubt einem auf eine ganz eigene Art den Atem. Der Zuschauer ahnt schon längst, was geschehen ist, doch Kieslowski hält die Kamera auf den Vater, wie er alle für ihn plausiblen Möglichkeiten durchkaut, er bei einer Nachbarin sucht, seine Schwester fragt. Das sind quälend lange Minuten, in denen man dem Protagonisten am Liebsten sagen möchte, wo er denn eigentlich zu suchen habe. Doch dieser lebt in seiner Welt und möchte sich alles rational erklären. Für ihn ist es ausgeschlossen, dass es nebst der Welt der Wissenschaften, des Fundierten, etwas weniger Greifbares, weniger Konkretes gibt: das Schicksal.
Und das ist das, was uns Kieslowski hiermit sagen möchte. Er verzichtet dabei jedoch auf ein plumpes "Wissenschaften (in diesem Fall Physik bzw. Mathe) sind doof" und "Gott ist der einzig Wahre", sondern er möchte mit seinem Dekalog-Erstling nur aufzeigen, dass jeder auch über den eigenen Tellerrand (Gott) schauen sollte. Dass nicht alles rational erklärbar ist, sondern dass man auch den eigenen Verstand einschalten sollte, dass man vielleicht oft mehr mit dem Herz als mit dem Kopf denken sollte.
Das ist Kieslowski wiedermal überzeugend gelungen.
8,5/10 Punkte