Vater und erwachsene Tochter leben zusammen, die Mutter ist längst verstorben. Die Tochter wird bald heiraten. Dann gibt es da einen Brief der Mutter, den der Vater jahrelang vor seiner Tochter geheim gehalten hat. Als diese den Brief findet und öffnet, erfährt sie die Wahrheit über die Familienbande...und plötzlich stehen jahrelange, verbotene Sehnsüchte in einem neuen Licht da...
Dekalog, Vier behandelt das heikle Thema sexueller Gefühle zwischen Eltern und Kindern. Eine Tochter, die Berührungen ihres Vaters genießt und sich mehr erhofft...Kieslowski lässt dieses Tabuthema nicht einfach so stehen, sondern fügt ihm durch die späte Erkenntnis, dass der Vater gar nicht der leibliche ist, sondern plötzlich bloß "ein älterer Mann", für den die Tochter sexuelle Gefühle empfindet, philosophische Tiefe hinzu. Prinzip- und moralische Fragen werden aufgeworfen. Doch die Geschichte ist noch komplizierter, schließlich gibt die Tochter zu, die "Wahrheit", die im Brief stand, nur als Vorwand für eine Legitimation für etwaige sexuelle Handlungen missbraucht zu haben. Und am Ende wendet sich das Blatt erneut, wenn auch nicht eindeutig verifizierbar.
Der Vater ist in diesem Stück als Figur noch interessanter als die verbitterte, tragisch verliebte Tochter, da seine Reaktion auf die Wahrheit, dass seine vermeintliche Tochter eine junge, schöne Frau ist, die etwas von ihm will, nicht männlich-triebgesteuert, sondern väterlich-schützend ausfällt. Hier steuert der polnische Meister mit seinem Autor sehr geschickt drohenden Klischee-Felsen eines einzementierten Männlichkeitsbildes entgegen.
Kieslowski breitet in Teil Vier auf mehreren Ebenen seine Reflexion über das Gebot "Du sollst Vater und Mutter ehren!" aus: es geht um Fragen der Moral, der Sexualitität, der verschiedenen Formen von Liebe, der Wahrheit und auch um das Geschichten erzählen an sich, das Spiel mit den Erwartungen und Gefühlen des Zusehers.
Letzteres setzt der polnische Filmemacher aber nicht platt um, wie es 2 Dekaden später, im zeitgenössischen Kino durch das standardisierte Verwenden platter finaler Twists längst Usus geworden ist, sondern er arbeitet stets subtil und stilvoll, wie es sich für einen Meister gehört.
Dekalog, Vier ist ein kurzer Film, der auf mehreren Ebenen fasziniert und nach und nach eine Tiefe offenbart, die lange beschäftigen kann.
Daher gemeinsam mit dem rätselhaften 2. Film der bisher wertvollste Teil der Reihe.