Durchgeknallter Soldat vernascht seine Artgenossen
Story:
1847: Captain John Boyd (Guy Pearce) wird ausgezeichnet, weil er allein ein feindliches Lager erobert hat. Leider währt sein Ruhm nicht lange, denn schon bald wird er in ein entlegenes Fort geschickt. Die Zeit scheint langsam zu vergehen und jeder geht seiner Arbeit nach. Da der Winter aufzieht, hat man nicht viel zu tun. Doch eines Nachts kommt ein Fremder ins Fort und bricht vor ihnen zusammen. Nach der Genesung erzählt er ihnen, dass er von einem Track stammt, der sich im Schnee verirrte. Als ihnen die Nahrung ausging, tötete man sich gegenseitig um Nahrung zu haben. Ein kleiner Trupp macht sich auf die Suche, um die letzten Überlebenden zu finden.
„Ravenous“ ist mehr als nur eine billige „Direct to video“ Produktion. Noch während der Zuschauer einen „Der mit dem Wolf tanzt“ Klon erwartet und der Film gemächlich startet, fragt man sich, was die seltsamen Rückblicke zu bedeuten haben. Als der Fremde im Fort auftaucht auf der Reise eine Wunde anknabbert kommt Spannung auf. Der Zuschauer ist genauso unvorbereitet wie die Soldaten. Daraus entwickelt sich eine spannend Jagd zum Thema: Wie weit geht man um zu überleben? Prickelnd und voller Überraschungen. Ein etwas anderer Film, der düster endet...
Musik:
Selten habe ich so eine kranke und völlig verquere Musik gehört. Sie passt allerdings zum Film und harmoniert mit dem pechschwarzen Humor. Da ziehen die Soldaten schon mal mit übertrieben fröhlicher Musik in ihren Tod. Doch auch unheimliche Situationen werden durch Musik spannend untermalt. Allein schon die Szene in der Hölle ist erstklassig. Die Regisseurin entwickelte hier einen ganz eigenen exotischen Stil. Erfrischend anders.
Atmosphäre:
Nachdem Boyd nun für seine Heldentat gewürdigt wurde, aber mit dem Fleisch beim Essen scheinbar nicht klarkommt, wird er ins Fort verfrachtet. Dort erwartet ihn ein Haufen erlesener Soldaten:
Der Befehlshaber Colonel Hart ist ein älterer, gemütlicher, dicker Mann, der seine Bücher dazu benutzt Nüsse zu knacken. Der Priester Toffler ist ein Hibbelkopf, der zwar das Wort Gottes verbreiten will, obwohl sich niemand im Lager dafür interessiert. Major Knox ist ehemaliger Veterinär und Arzt des Lagers. Da er aber ständig besoffen ist, lässt man sich nur ungern von ihm behandeln. Private Cleaves ist ein fröhlicher, ewig kiffender Soldat, der aber so viel militärisches wie Kojak Haare auf den Kopf hat. Zu guter letzt haben wir noch zwei Indianer und einen Mustersoldaten namens Reich. Der badet in seiner Freizeit ganz gern im Eiswasser und kann auch sonst Rambo Paroli bieten. Irgendwie schafft man es aber sich aus dem Weg zu gehen und keinen Ärger zu verursachen. Für humorige Anspielungen ist gesorgt. Wenn man die einzelnen Personen bei ihren Tätigkeiten (kiffen, schwimmen, saufen) beobachtet, kann man sich das eine oder andere Lächeln nicht verkneifen.
Das Holzfort entwickelt dabei eine ganz eigene Atmosphäre. Die Abgeschiedenheit und ein Schuss Pessimismus ist fast spürbar. Später wirkt es eher wie eine Art Gefängnis. Die Location entwickelt sich genau so wie die Figuren.
Boyd fügt sich problemlos in die Gemeinschaft ein. Mit Rückblicken wird zwischendurch über seine Heldentat berichtet, der er später aber selber für eine Feigheit hält. Mit blutigen Details wird, wie übrigens im ganzen Film, nicht gespart. Schwächeren Leuten könnte teilweise schon mal die Suppe hochkommen.
Als dann aber der Fremde im Ford auftaucht, kommt Zunder in den Film.
Die Story, die der Mann erzählt ist unglaublich: Er erzählt von seinem Track, der im Schnee stecken blieb und Kannibalismus. Verdeutlicht wird das wieder mit blutigen Rückblicken.
Schnell wird das Marschgepäck gepackt und ab geht die Reise. Wieso man keinen Packesel mit nimmt und ob so wenig Proviant für die Reise reicht weiß ich aber nicht. Immerhin ist der Typ 3 Monate durch die Wildnis gestreunt....
Die Landschaftsaufnahmen sind wunderschön. Durch ihre Kahlheit und dem Schnee kommt aber eine bedrohliche, undefinierbare Atmosphäre auf. Selbst als der Fremde nachts eine Wunde anknabbert sind weder die Soldaten, noch der Zuschauer sich sicher, was sie da erwarten könnte. Nach langer Reise kommen sie endlich am Unterschlupf, einer Höhle, an. Die kommenden Minuten gehören zu den besten im Film. Während Reich und Boylin die Höhle erkunden, fällt der Fremde auf einmal über den Rest her und ermordet sie. Reich, der drinnen Unheimliches entdeckt, schwant was da vor sich geht. Doch sie kommen zu spät. Der verrückte Fremde, die Höhle, die beiden Soldaten, die draußen warten: Alles ist irre zusammengeschnitten, so dass der Zuschauer am liebsten selber in Panik ausbrechen möchte.
Boyd und Reich wollen den Kannibalen stellen, wobei Boyd schwer verletzt wird und Reich stirbt. Beide liegen zusammen in einer Erdfalle, aus der Boyd nicht ohne weiteres entkommen kann. Hier stellt sich nun für den Zuschauer und John die Frage: Wie weit darf man gehen, um zu überleben? Verhungert man, oder knabbert man den toten Kollegen neben sich an? Problematisch wird das zusätzlich, weil Boyd eine Antipathie gegen Fleisch hat. Auch beim Einrenken seines offen Bruches fühlt der Zuschauer den Schmerz förmlich mit. Nachdem er einigermaßen genesen ist, kehrt er ins Fort zurück. Doch was ihn da erwartet, solltest du dir selber anschauen...
„Ravenous“ spart nicht mit makabren Details, die stark an den Geschmacksnerven zerren. Menschensuppe ist nicht für jedermanns Augen oder Magen. Die Morde sind extrem blutig und detailliert. Da sich die Brutalität eher aus der Not heraus und nicht wie bei gängigen Horrorfilmen aus Lust entwickelt, wirkt der Film viel reeller und beklemmender. Leider kam die Begründung oder Philosophie des Kannibalismus etwas zu kurz. Der Indianermythos ist eine nette Idee, wäre aber ausbaufähig gewesen. So bleibt ungeklärt, warum alle Kannibalen diese „Gabe“ bekommen (Ich möchte hier nicht spoilern) und warum Boyd diese Antipathie gegen Fleisch hat. Die Rückblicke in die Vergangenheit liefern da nur eine unbefriedigende Lösung. Alles in allem bietet der Film aber schwarzhumorige Unterhaltung ohne Kaffee und Zucker. Wirklich nichts für Zartbesaitete, denn so einen Film gab es bisher garantiert noch nicht. Die meisten Kannibalenfilme beschränken sich auf billigen Splatter. Hier wird aber hinterfragt aus welchem Grund man zum Kannibalen wird, wie weit man gehen kann und vor allem wie man damit leben kann.
Schauspieler:
Eigentlich gefielen mir so ziemlich alle Schauspieler, nur David Arquette bliebt als kiffender Soldat doch unter seinen Möglichkeiten. Da hat man ihn schon in besserer Verfassung gesehen.
Guy Pearce gefiel mir in des als John Boyd sehr gut. Der „fertige“ Soldat, der nicht nur mit seinem Schicksal hadert liefert eine umwerfende Leistung ab. Die vielen Probleme und Facetten kamen gut zur Geltung. Ob das Überwinden Menschenfleisch zu essen oder der Kampf gegen den Fremden, der übermenschliche Kräfte hat (??). Auch das Reindrücken seines Knochens war wirklich beeindruckend. Superleistung!
Starbösewicht Robert Carlyle ist als eiskalter Kannibale ebenfalls überzeugend, ob wohl man ihn anfangs kaum wiedererkennt. Spätestens an den Klippen, als Mann seine „schwarzen“ Augen sieht, läuft es einem eiskalt über den Rücken. Seine geringen Körpermaßen kommen hier kaum zur Geltung. Besonders gefiel mir sein Philosophieren zum Thema Kannibalismus mit Pearce. Seine anfänglich harmloser Eindruck wandelt sich später überraschend in das pure Böse. Kribbelnd!
Fazit:
„Ravenous“ ist ein „etwas anderer“ Film, der mit harten Details und schwarzem Humor aufwarten kann, aber auch mal zum Nachdenken anregt. Auf jeden Fall gute, spannende Unterhaltung ohne Längen. Selbst die Schauspieler konnten mich größtenteils überzeugen. Unbedingt mal angucken, aber bitte nebenbei kein halbes Hähnchen verputzen. Geheimtipp, den ich mir gern mal im Kino angesehen hätte.