John Boyd wird in das abgelegene Fort Spencer nach Kalifornien versetzt. Der zum Captain beförderte Offizier errang im mexikanisch-amerikanischen Krieg seinen Sieg über einen gegnerischen Stützpunkt auf nicht allzu ehrenhafte Weise, wodurch das Ganze eher einer Bestrafung gleichkommt. In der winterlichen Sierra Nevada sieht er sich nicht nur mit der Abgeschiedenheit, der Kälte und den anderen Bewohnern des Forts konfrontiert, bald taucht ein Priester namens Colqhoun auf. Seine Erzählung von einer Reise, Kannibalismus und Zurückgelassener sorgt für eine Rettungsmission, die ungeahnte Konsequenzen nach sich zieht.
Damals eher zufällig aus der Videothek mitgenommen und umgehend für exzellent befunden, hat der von Antonia Bird inszenierte Mix aus Horror, Western und etwas schwarzem Humor auch nach diversen Sichtungen einen besonderen Platz in meiner persönlichen Filmgeschichte.
„Ravenous“ baut oberflächlich betrachtet einen historischen Horrorfilm mit mythologischem Unterbau auf, der mich seit seinem Erscheinen fasziniert. Nicht nur weil man sich hier an Ereignissen aus dem 19. Jahrhundert orientiert (Stichworte Donner-Party oder Alfred Pecker), sondern weil das filmische Ergebnis aus vielen gelungenen Einzelteilen ein ebenso gelungenes Ganzes ergibt.
Die Geschichte kommt nicht ohne ein paar gut verteilte Wendungen daher und sie weiß ziemlich genau, wie sie ihre Episoden einzuweben hat und über die Lauflänge einsetzt. Die Einführung von Boyd, später die der anderen Charaktere und wiederum die des ein Ereignis auslösenden Colqhoun sind allesamt den Figuren angemessen. Hier und auch in seiner sonstigen Inszenierung pendelt „Ravenous“ zwischen ernsten, atmosphärischen und durchaus witzigen Momenten hin und her. Wobei gerade der teils recht schwarze Humor nie die Stimmung bricht, sondern sie sogar manchmal bitter unterstreicht. Dennoch ist das hier kein todernster Streifen. Aber Bird montiert ihn so geschickt, dass jede Szene wirkt und dazu auch keine überflüssig wirkt.
Und zwischendurch, wenn die Mentalität dieses Landes, sich die Dinge einfach anzueignen, thematisiert wird, dann findet man auch hier noch eine weitere erzählerische Schicht. Ted Griffins Skript lässt immer wieder dezent Kritik einfließen, frei von Referenzen auf den Kapitalismus oder gar den dort betriebenen Kolonialismus ist es nicht. Allerdings bleibt dies unter der Oberfläche, verleiht dem Szenario aber noch etwas mehr Tiefe.
Hinzu kommt die Präsentation in Form von grandiosen Landschaftsaufnahmen. Das Tatra-Gebirge in der Slowakei hielt für diese her und in schönstem Cinemascope bekommt man so manch herrliches Panorama serviert. Diese Bilder verleihen dem Film etwas mehr Größe, die er ansonsten eher nicht aufweist. Was vielleicht auch an dem Budget von knapp 12 Millionen Dollar liegt, ein Blockbuster ist „Ravenous“ sicherlich nicht. Dafür sieht er allerdings dennoch sehr gut aus und das gilt auch für das restliche Design des Forts, außen wie innen. Die Bauten mitsamt der Umgebung schaffen schnell eine ansprechende Atmosphäre und diese zieht sich durch bis zum Ende. Dazu kommen noch einige recht blutige Effekte, der Thematik durchaus angemessen.
Sind die Figuren meist auch nicht übermäßig scharf gezeichnet, so bekommt jede von ihnen doch ihre Eigenheiten mit auf den Weg und macht sie ausreichend individuell. Im Zentrum steht dabei Captain Boyd (Guy Pearce), der kein strahlender Held ist. Das ihm folgende Skript reichert ihn mit der Zeit aber noch etwas an. Der auftauchende Colqhoun (Robert Carlyle) bleibt zwielichtig, Carlyle kann durch den Film hindurch überzeugen und beherrscht sowohl ein exaltiertes als auch ruhiges Spiel. In weiteren Rollen gibt es Jeffrey Jones, der als Colonel Hart die Ambivalenz der Situation, wie sie auch in Boyd wohnt, nochmals herauskehrt. Auch der Rest vom Cast ist mit David Arquette, Neal McDonough oder Sheila Tousey passend besetzt, da gibt es nichts zu meckern.
Was aus diesem gelungenen Gesamten wiederum nochmals heraussticht ist der Score von Michael Nyman und Damon Albarn. Dieser bietet eine eigenwillige und auch großartige musikalische Untermalung, sowohl der Handlung als auch der Szenerie. Dabei kommen Instrumente aus der entsprechenden historischen Zeit zum Einsatz, was einen authentischen Unterbau verpasst. Die Kompositionen sind eigen, bleiben hängen, bieten mit dem quasi-Hauptthema „Boyd's Journey“, dem tonal brechenden „Run“ oder dem atmosphärischen „Saveoursoulissa“ viele Highlights. Der Score geht mit den Bildern eine kongeniale Verbindung ein.
War „Ravenous“ damals auch ein ziemlicher Flop, so hat er für mich seit seinem Erscheinen einen besonderen Platz in meinem Filmherzen. Für seine Bilder, die Figurenzeichnung, den großartigen Score und seinen schwarzen Humor. Und für seine Untertöne, die er immer wieder mal einwebt und die dieses große Fressen auch zu einem Porträt eines Landes in seiner Entstehung machen. In erster Linie ist er in meinen Augen aber einfach ein sehr atmosphärisches und in seinen großartigen Einzelteilen zu einem ebensolchen Ganzen verbundenes Werk.