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  "Lemonade Mouth - Die Geschichte einer Band“: Die Widersprüche dieser Geschichte liessen mich nicht ruhen.


Denn Achtung: LM ist wieder eines dieser berüchtigten Feelgood-Filmchen aus der Disney-Traumfabrik! Voll der üblichen Kennzeichen: Gesten statt Geist; billige Optik; Drehen in Eile (Regen im Sonnenschein); liebliche Darsteller symbolisieren mit dem Holzhammer tiefe Gefühle; ein vorhersagbares Drehbuch hakt bekannte Klischees ab; Musik streckt die Handlung; Drehort: Eine Highschool in der verbauten US-amerikanischen Wüste (New Mexico).


Doch obwohl so viel gegen LM spricht, so erzählt LM zugleich von sozialen Werten und Freundschaft, dass ethnische Herkunft keine Rolle spielt, von Hilfe für die Schwachen und vom Versuch, in einer saturierten Welt, eingezwängt von etablierten Eliten, sich das Recht auf einen eigenen Weg zu ertrotzen. Laut wird „Revolution“ gerufen - für die angestrebte Zielgruppe ist LM erfrischend radikal - doch formal bleibt alles beim Alten – oder ist sogar erlogen. (*)


Wir sind im Jahr 2010, wo das System sich seine Gegner als Hofnarren hält, wo der Markt sich jede Subkultur einverleibt und Gegenwehr dem Kapitalismus zeigt, wo er Kreide fressen muss, um länger an der Macht zu bleiben. In 2010 sind viele Tabus gefallen. Es lässt sich verbinden, was früher unvereinbar erschien (und unnennbar): Rebellion gegen und Verherrlichung des westlichen Materialismus gehen Hand in Hand. Einerseits erleben wir Stoff für Kritik: Dysfunktionale Patchworkfamilien, Gräben zwischen den Generationen, Ausgrenzung, kultur- und bildungsfeindliche Schuldirektoren, anti-intellektuellen Kulturkampf, Korrumpierung des Bildungswesens durch private Softdrinkkonzerne.


Andererseits bleibt der American Way of Life unberührt und bildet den Hintergrund jedes Bildes, das Ziel jeder Geschichte: die Hackordnung, auch wenn Loser in ihr aufsteigen können; jedem Kind sein Handy; in übermotorisierten Autos fährt die obere Mittelklasse die Kids zur Schule; die neoliberale Behauptung „Dein Schicksal liegt in Deiner Hand: Du kannst alles erreichen, wenn Du es nur richtig versuchst“ reicht bis in die Songtexte (**); der Erfolg (z.B. Lieder einzustudieren) gelingt ohne Mühe (**); Höhepunkt des Films ist ein Fest der Konkurrenz: Der Kampf gegen andere Bands beim „Rising Star“-Wettbewerb. (Doch dieser Wettbewerb wird durch die Solidarität und Hilfe konterkariert: Sowohl Scott als auch das Publikum unterstützen die scheiternde Band LM!)


Also feiert LM gleichzeitig einerseits soziale Fähigkeiten, andererseits unbedingten Individualismus: Der Zusammenhalt in der Band „machte uns zu besten Freunden“, man tritt füreinander ein, spuckt Limonade, um Freunden zu helfen und macht aus Solidarität bei der Band mit; doch zugleich „ist jede/r was Besonderes“.


Aber schon im Moment des Schreibens frage ich mich, und bin selbst ein Produkt dieser Zivilisation: „So what?!“ - „Was ist falsch daran, sein Anders-Sein zu leben, sein Selbst zu finden und gleichzeitig für das Glück und die Befreiung der anderen zu kämpfen?“ Und ich antworte mir: „Doch, das ist natürlich richtig! Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“


So wird der Film eben zu einem „Feelgood-Movie“, der einen zugleich skeptisch und beglückt zurückläßt – natürlich bin ich glücklich, wenn das Drehbuch alle fünf Kids in Reihe mit ihren jeweiligen Eltern versöhnt, zugleich zu „Stars“ macht und die peinliche „Konkurrenz“-Band (mit ihren aggressiv-egozentrischen Texten) auf die Plätze verweist. New Mexiko findet die Superstars!


Ausführlich findet sich der Inhalt auf Wikipedia (Achtung, dort sind Fehler! Der Text ist nicht von mir!). In Kürze handelt es sich um die im Teenie-Genre beliebte Geschichte: „Fünf Loser, alle mit Stress daheim, werden Freunde. Gegen diverse Widerstände. Durch Gründung einer fabelhaften Band. Happy End. Aufgepeppt durch schrille Lehrerfiguren und viele ausgespielte Songs.“


Genau, „High School Musical“, „Glee“ und „Breakfast Club“ lassen grüßen (und nicht nur der Drummer in LM sieht aus aus wie sein Pendant John Bender [Judd Nelson] im „Breakfast Club“, der Mutter als Teenie-Filme). Aber letztlich sind ja praktisch alle Geschichten schon mal erzählt worden (inzwischen sogar die eines stotternden Königs, der wortreich einen Krieg erklären soll); die Wiederholung vertrauter Muster (inkl. Happy End) beruhigt den Betrachter; und das ist schließlich auch die Funktion des „Disney Channels“, der diesen Film als „Original Movie“ (d.h. eigentlich: Für's Fernsehen) mit der Freigabe ab 0 Jahren produziert hat.


Auch die auffallende Inklusion revolutionärer Attitüde ist keine Seltenheit im Teenie-Genre (schon seit „The Blackboard Jungle“, „The Wild Angels“ oder „The Wild One“). Nicht nur Stellas T-Shirts propagieren Veganismus und freie Meinungsäußerung („Question authority“), sie selbst und die schmissigen Lieder schreien das so laut raus, dass der Direktor während des Schulkonzerts den Strom abdreht; und schließlich wird die Band wegen einer Sitzblockade verhaftet, mit der sie den Abtransport des Bio-Limonade-Automaten verhindern will, der immerhin für das „Lemonade“ in ihrem Namen verantwortlich ist. Auch die nach dem Konzertabbruch an den Schulwänden auftauchenden Solidaritätsbekundungen könnten direkt aus „Pump up the volume“ („Hart auf Sendung“) stammen („The Truth is a Virus“), dem archetypischen Revolutions-Epos unter den Teenie-Filmen. LM ist gründlich abgekupfert, vielleicht sogar gut gemeint, zugleich atmet es aber auch den Ruch grünwaschender Heuchlerei.


Letztlich fehlt LM der Geist der Rebellion (der sich z.B. in Richard Linklaters „School of Rock“ findet). Mehr Schein als Sein. (*) Das revolutionäre Aufbegehren (die Gründung der Band während des Nachsitzens) führt doch „nur“ zu einem Auftritt im Madison Square Garden, wo das Gitarrenspiel der Mädels sexy Outfit und Tanzschrittchen gewichen ist. Sieht so die Selbstfreiung aus? (Zugegeben, wir sind bei Disney, nicht bei Larry Clarks „Kids“ in „Ken Park“.)


Wir dürfen auf die Fortsetzung gespannt sein: Vielleicht dann immerhin erst ab 6 Jahren? Vielleicht doch/noch revolutionär(er)?!? Und Teil III dann gar mit den ersten Küssen? Wird die Revolution weitergehen? Oder das System triumphieren? Wird Rock'n Roll weiterleben? Und Punk nicht sterben? Werden die Kids, vom Erfolg verdorben, an der Nadel hängen, endlos shoppen und Lindsay Lohan imitieren? Ich bin gespannt!


Am besten sollten wir die Fortsetzung selbst drehen, dann klappt's auch mit der Weltrevolution.


(*) Am schlimmsten, tödlichsten ist für LM, wenn die Musiknummern so offensichtlich erstunken und erlogen sind: Wenn die Musik offensichtlich nicht am Ort der Szene spielt, wenn die Kids aus dem Stand, ohne Absprache, aufwendig produzierte Songs anstimmen, wenn keiner beim Livekonzert ins Mikro singt: Das ist genau der Schwindel, den das Drehbuch die Kids im Film verdammen läßt.

Und wo die Ehrlichkeit fehlt, da herrscht Heuchelei.


(**) Jetzt fantasiere ich noch wilder drauflos: Haben wir es bei dieser (neoliberalen Fantasie einer) Schöpfung des eigenen Schicksals, mit diesem teils anstrengungslosen Erfolg aus dem Nichts, sogar mit einer Art Verherrlichung des „Kreationismus“ zu tun, den der Film auf der vordergründigen Ebene ausspart, der in dieses Milieu aber passen würde?


„Kreationismus“ behauptet immerhin eine kurzfristige, nicht evolutionäre, Schöpfung aus dem Nichts, bzw. die plötzliche Entstehung von Ordnung aus zuvor existierendem Chaos. Zum Direktor täte „K“ übrigens auch passen: Er unterdrückt sowohl selbständiges Denken als auch die Naturwissenschaften. Aber seine Einstellung zu „K“ bleibt uns verschlossen. Vielleicht wollte sich Disney nicht mit der religiösen Rechten anlegen.


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