Es ist kein Geheimnis, dass Jean Luc Godard in den 70er Jahren weit prätentiösere, sperrigere, anstrengere und forderndere Filme als zuvor drehte, die gerade in den ersten drei Jahren des Jahrzehnts - 1970 bis 1972, danach folgten zwei Jahre Pause, ehe er mit dem Neubeginn "Numero 2" (1975) wieder neue Verfahrensweisen einsetzte, um in den 80er Jahren zum Spielfilm zurückzukehren - vermehrt auf minimalistische Bildgestaltung und überladene Tonspuren zurückgriffen und die auch viele seiner hartgesottenen Anhänger - etwa Amos Vogel - tendenziell eher enttäuschten - wenn sie die Filme überhaupt zu Gesicht bekommen haben, denn nachdem Godard einem Produzenten eine Ohrfeige zukommen ließ, waren den Kinovorführungen zunächst ein Ende gesetzt (was allerdings ganz und gar Godards Interessen entsprach). Neben der formalen Neuerung fiel der völlige Verzicht auf konventionelle Handlungen ins Auge, denn die Filme behandelten eher als filmische Essays politische, erkenntnistheoretische oder ästhetische Probleme: vor allem "Pravda" (1970), "British Sounds" (1970), "Ostwind" (1970), "Lotte in Italien" (1971) wären da zu nennen.
"Tout va bien" bildet eine erfrischende Ausnahme, und das nicht ohne Grund: Entstanden die vorherigen Projekte als Gemeinschaftsarbeit der von Godard und Gorin gegründeten Group Dziga Vertov, so waren bei "Tout va bien" ausschließlich Gorin und Godard am Werk. Der Tonfall wird wieder lockerer - wenn auch durchweg unnachgiebig spitzzüngig -, das Essayhafte weicht einer - allerdings zersplitterten - Handlung, und die Hauptpersonen werden wieder von charismatischen Stars verkörpert - während die vorherigen Werke bestenfalls Juliet Berto als Kleinstdarstellerin vorzeigen konnten. Yves Montand und Jane Fonda spielen ein Paar, das während und wegen einer Berichterstattung über einen zum Kleinkrieg geratenem Streik in einer Wurstfabrik in Mitleidenschaft gezogen wird. Natürlich bleibt der Einsatz von Stars und höherem Budget nicht unreflektiert: genüsslich listet Godard den Verleib der Produktionsgelder zu Beginn endlos lange auf und kommentiert die Mechanismen der Filmproduktion - Produzenten wollen in der Regel Zuschauer, diese wollen in der Regel Stars, Stars wollen in der Regel Geld und eine konventionelle Story, etc. Natürlich verhält es sich in "Tout va bien" alles etwas anders und die aktiven Linken Montand und Fonda brauchten weder mit gewöhnlicher Handlung, noch einem Starbudget gelockt werden: sie sind Mitstreiter in Godards - und Gorins - Kampf gegen den Mainstreamfilm, dem konventionellen Spielfilm, dem er sich hier - wie in den frühen 60ern - wieder stärker annähert, dabei aber immer auf ironischer Distanz bleibt und seine Mechanismen, seine Manipulationen, seine Tücken und Vorteile im Auge behält, wenn nicht sogar am Rande thematisiert.
Was dann folgt ist eine Art Parodie auf normales Erzählkino: Zuerst wird der - grotesk und äußerst unterhaltsam inszenierte - Streik von allen Betroffenen erläutert, was Godard und Gorin die Gelegenheit bietet, verschiedene Ansichten nebeneinanderzustellen, die sie zumeist nicht werten - der ziemlich verblödet gezeichnete Chef, der als böse Karikatur irgendwo zwischen einem Jacques Tati Film und einem Louis de Funes Film angesiedelt ist, bildet da die Ausnahme -, was den Rezipienten mit einem ungelösten sozialen Problem konfrontiert, während Fonda und Montand ihr Interview verlängern müssen, als sie gemeinsam mit dem Chef von aufgebrachten Arbeitern über Nacht eingeschlossen werden.
Der zweite Teil des Film entlässt das Paar erst in die Freiheit, um dann ihre Beziehung - nicht ohne Spannungen - und ihre Entwicklung zu durchleuchten - Montands Figur hat sich etwas resignierend dem Kommerz gebeugt -, und nebenbei die aktuelle Lage Frankreichs zu betrachten. Auffällig ist, dass Godard seine ganz radikal linke Phase mit einer leicht resignierenden Grundhaltung betrachtet: viele Hoffnungen der Zeit werden als Illusion bloßgelegt, linke Polemik wird ironisch vorgeführt - aber das war ja auch früher bei Godard, etwa in "La Chinoise" (1967), der Fall, wo Godard zu seinen Thesen immer auch Gegenthesen erfindet und humoristisch-leichtfüßig eine grüblerische Selbstkritik ins Spiel bringt -, und es wird hinterfragt, inwieweit damalige 68er-Positionen 1972 noch erforderlich, haltbar und durchsetzbar sind; dabei fungiert Montand offenbar als Alter Ego Godards.
Insgesamt ist der Film sehr zugänglich - trotz der vielen Elemente, die in ihn hineingelegt worden sind. Denn diese werden immerhin um zwei feste Bezugsfiguren herum angelegt, der Film steckt voller Humor - Zwei demonstrierende und von einem Polizisten gehetzte Studenten entdecken plötzlich ihr revolutionäres Potential mit den Worten "Mensch, warum laufen wir eigentlich weg, wir sind doch zu zweit..." und drehen den Spieß um, triste Baustellen und soziale Ungerechtigkeit werden mit dem Chanson "Über Frankreich scheint die Sonne - und alles andere ist unwichtig" gelungen untermalt und auch der Streik zu Beginn liefert nicht nur Platz für Godards Blau, Weiß, Rot, sondern auch für eine vielfältige Ansammlung an Gags - und wird zudem sehr leicht verständlich kommentiert: Die Einführung in die Geschichte läuft ab, wie man es hierzulande aus der "Sendung mit der Maus" kennt - sowas wird einem bei Godard nicht häufig geboten.
Was bleibt ist ein witziges Zeitbild, stilistisch wieder an das Frühwerk anknüpfend und ein weiterer Versuch Godards, dem Film neue, angemessene Formen zu verleihen... Die Sackgasse, die in der "Group Dziga Vertov" Filmen betreten worden war - schwer zugängliche, trockenen-politische Abhandlungen, mit sperrigerÄsthetik, sodass man die Filme gleich mehrfach betrachten und im Kollektiv diskutieren musste - haben Godard und Gorin vermutlich als solche erkannt.
Herausgekommen ist die unterhaltsamste, zugänglichste Godard-Gorin-Zusammenarbeit seit "Vladimir et Rosa" (1970), die eher an den Godard der mittleren 60er Jahre erinnert, als an den Godard der Group Dziga Vertov.
Eine, im Rahmen der Criterion Collection gemeinsam mit "Tout va bien" veröffentlichte Fußnote zu diesem Film, stellt noch der wieder recht sperrige Essayfilm "Letter to Jane" (1972) dar - eine Reflexion über das Medium Film, das Medium Photografie, über (Star-)Kult(/ur) und Politik, über das Wechselspiel von Kunst und Politik im diffusen Feld medialer Vermittlungstechniken. [In der "Godard Edition 2" von Arthaus/Kinowelt fehlt diese lohnenswerte Ergänzung zu "Tour va bien": dennoch dürfte diese empfehlenswerte Box mit den eher selten gesehenen Godards zu den wichtigsten deutschsprachigen Veröffentlichungen des Jahres 2011 gezählt werden - übertroffen vielleicht nur noch von der noch anstehenden und für Jahresende angekündigten absolut-medien-DVD-Edition von Rivettes "Out 1 - Noli me tangere" (1971).]
9/10