Die Familie geht Jerry Blake (Terry O'Quinn) über alles. Sie muß perfekt sein, bis ins kleinste Detail, wie aus einem kitschig-bunten Bilderbuch über den ach-so-tollen American Dream. Läuft alles nach seinem Geschmack, ist er der beste Mann, den sich Frau wünschen kann. Bekommt die Wunschvorstellung jedoch Risse und beginnt zu zerbröckeln, zieht Jerry den ultimativen Schlußstrich. So geschehen bei der Familie, die nun regungslos in ihrem Blut liegt. Wie ein Berserker hat er gewütet, das Zimmer ist ein einziges großes Schlachtfeld. Geduscht und rasiert zieht Jerry von dannen, sein zwanghaftes Spiel beginnt von vorne. Auserwählt wurden diesmal die verwitwete Susan (Shelley Hack) und deren Teenager-Tochter Stephanie (Jill Schoelen). Letztere ahnt bald, daß mit dem neuen Herrn im Haus etwas nicht stimmt, während Susan, blind vor Liebe, vom sich anbahnenden Unheil nichts mitbekommt.
Joseph Rubens The Stepfather ist einer der besten und effektivsten Thriller der 1980er-Jahre. Basierend auf dem Fall des wahren Familienmörders John List, der in den Frühsiebzigern Frau und Kinder erschoß und danach spurlos verschwand (wie sich herausstellte, hatte er anderswo ein neues Leben aufgebaut; er wurde erst achtzehn Jahre später gefaßt), macht das von Donald E. Westlake verfaßte Drehbuch von Anfang an Nägel mit Köpfen. Schon nach wenigen Sekunden ist klar, daß der blutbesudelte Jerry Blake etwas Schreckliches getan hat. Einen Blick auf das ganze, grausame Ausmaß des Wahnsinns gewährt uns die Kamera wenige Minuten später. Dieser atemberaubende Schock-Prolog prägt den Film nachhaltig und läßt den Zuschauer nicht mehr los.
Die "neue" Familie ist sympathisch, so daß es leicht fällt, mit ihnen mitzufiebern. Und so wird konsequent an der Suspense-Schraube gezogen, schließlich stellt sich nicht die Frage, ob etwas passieren wird, sondern wann bzw. wie. Terry O'Quinn ist beängstigend gut als der getriebene Psychopath auf der Suche nach Perfektion. Sein frustbedingtes Abreagieren im Keller hat ebenso Gänsehautqualitäten wie seine durchdringenden Blicke in bestimmten Momenten und seine durchaus nachvollziehbare Verwirrung, wenn er sich flüsternd die Frage stellt: "Who am I here?" Jill Schoelen, die eine Duschszene hat und kurz nackig zu sehen ist, ist ebenfalls toll und glaubhaft als der rebellische Teenager, der die freundliche Maske des Stiefvaters zu durchschauen beginnt. Die gut skizzierten Nebenfiguren wie Charles Lanyer als Stephanies Schulpsychiater Dr. Bondurant oder Stephen Shellen als Jim Ogilvie, der Bruder des letzten Mordopfers, tragen das ihre zum Gelingen des Streifens bei. Man kann natürlich darüber diskutieren, inwieweit der parallel laufende Subplot mit Ogilvie nötig ist, aber ich finde diese Abwechslung vom Hauptgeschehen sehr erfrischend, umso mehr, da daraus auch der eine oder andere zusätzliche Schuß Suspense resultiert.
Die oft unvermittelt über die Protagonisten hereinbrechende Gewalt ist brutal, intensiv und schockierend, und das obwohl einiges der Phantasie überlassen wird. Die sich stetig steigernde Spannung entlädt sich am Ende in einem famosen Nägelbeißer-Finale, das diesen packend inszenierten Thriller perfekt abrundet. Die visuelle Umsetzung (der Film wurde großteils 1985 im herbstlichen Vancouver gedreht) und der tolle, die emotionale Wirkung verstärkende Score sind ebenfalls ganz vorzüglich. Auch wenn es unglaublich klingt: es gibt nichts, was ich an The Stepfather auszusetzen hätte.
Information am Rande: die bekannte Melodie, die der Stiefvater nach erledigter Arbeit zufrieden pfeift, nennt sich Gwine to Rune All Night, und 80er-Rock-Göttin Pat Benatar ist mit dem Song Run between the Raindrops kurz auf Stephanies Walkman zu hören. 1989 und 1992 folgten zwei gar nicht mal so schlechte Sequels, und zum Drüberstreuen (ent)ehrte Nelson McCormick The Stepfather 2009 mit einem uninspirierten Durchschnittsremake, auf das man getrost verzichten kann. Das Original ist hingegen großartig. Ganz, ganz großartig.