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Wann immer in einem kleinen Dorf im finnischen Lappland ein gestandener Mann an einer Lebenskrise scheitert – er endet meist auf einem kleinen Hügel an einem Strick, der am so genannten Baumelbaum bammelt. Kalle ist davon überzeugt, dass auch er so enden wird, bereits sein Ururgroßvater hat sich dort erhängt, und erzählt eine Geschichte, die von drei besten Freunden handelt. Während Kalle mit depressiver Faszination über das Thema Suizid philosophiert, will sein Kumpel Ralle endlich eine feste Beziehung, anstatt immer nur Schmuddelbilder an Spielautomaten anzuhimmeln. Doch eigentlich ist es die Geschichte von Janne, einem Loser, der nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe bekommt. Nach dem bittersüß-schwarzhumorigen Prolog wird klar, egal welche Krisen die drei HELDEN DES POLARKREISES zu bewältigen haben, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie ebenfalls am Baumelbaum enden.

Es sind die letzten Tage des analogen Fernsehens – für jemanden, der in Lappland lebt, kommt das dem Weltuntergang gleich. Bis zum letzten Tag hat es Janne ausgereizt, nun muss er auf Drängen seiner Freundin Inari bis 18:00 Uhr einen Digitalreceiver kaufen – und bekommt dafür 50 Euro auf den Nachttischschrank gelegt. Eine einfache Aufgabe! Wenn da nicht ein Spielautomat und eine Bar wären. Pünktlich 18:10 Uhr hat es Janne dann endgültig versaut. Er steht an einem Freitagabend in Lappland ohne einen Digitalreceiver da. Weil er mit Kalle und Ralle auch noch die 50 Euro seiner Freundin versoffen hat, stellt die ihm ein letztes Ultimatum: sollte Janne bis 9:00 Uhr morgens keinen Digitalreceiver aufgetrieben haben, will sie ihn für immer verlassen.

HELDEN DES POLARKREISES ist ein finnisch-schwedisches Roadmovie. Für gewöhnlich reicht für einen Film dieses Genres ein schlichter Plot wie „...eine Digibox besorgen“ aus – der Weg ist das Ziel. Drei beste Freunde – eine Nacht – alles kann passieren – die Dramaturgie von Roadmovies darf schlicht sein. Essentieller sind die Figuren, deren Selbstfindungs- und Reifeprozesse. Zwar ist das Trio auf den ersten Blick relativ stereotyp gezeichnet: Janne, ein fauler Nichtsnutz mit großem Herz, Ralle, der schüchtern ist und ständig mit seiner Mutter telefoniert und schließlich Kalle, der sarkastische Zyniker und Alkoholiker. Aber es sind frische, finnische Stereotypen, die eben da und da etwas anders sind. Sie verfügen über eine gesunde Gleichgültigkeit gegenüber sämtlichen Widrigkeiten, viel trockenen Humor und Stolz. Vor allem aber sind Janne, Kalle und Ralle echte Freunde, stehen füreinander ein und sind schonungslos ehrlich. Das macht das Trio ungemein sympathisch und gleicht die schlichte Figurenzeichnung unterhaltsam aus.

Gerade mal 12 Stunden Zeit haben Janne, Kalle und Ralle für ihren Trip, eigentlich genug, wenn man nicht gerade in Lappland wohnt. Der nächste Ort mit Elektrofachgeschäft ist 200 Kilometer entfernt. Trotzdem sind die Helden voller Tatendrang, bis ihnen bereits nach wenigen Kilometern der Sprit ausgeht. Glücklicherweise wohnt unweit Mikko, der Exfreund von Inari, ein narzisstischer Angeber und Besitzer zweier Digiboxen. Doch Janne ist zu stolz, um auf Mikkos Angebot einzugehen, die Box sogar umsonst zu bekommen. Es ist umwerfend amüsant, wie sich Erwachsene wie kleine Kinder aufführen, sich prügeln oder in Weinflaschen pinkeln. Was in vergleichbaren Buddy Komödien zuweilen zum Fremdschämen albern wirkt, hat hier eher lakonischen Charme. Am Polarkreis ist es tatsächlich etwas rauer.

Der Weg zur Digibox wird den Dreien in allen Lagen verteufelt erschwert. Nicht nur, dass sie sich als Taxifahrer verdingen müssen, um Kohle aufzutreiben. Sie geraten an ein schwedisches Unterwasserrugbyteam, deren Spielerinnen sich als männermordende Killerlesben entpuppen, liefern sich wilde Verfolgungsjagden mit der finnischen Polizei und fahren sukzessive ihren vollverspoilerten, gelben Ford Sierra zu Schrott. Viel witziger aber sind ihre gelassenen Reaktionen auf alles, was ihnen in der Polarpampa so widerfährt. Selbst, als sie mit ihrem Auto auf dem Dach landen, wird seelenruhig festgestellt, dass so der Alkohol nun wenigstens schneller in den Kopf steigt. Es macht Spaß, den drei Deppen zuzuschauen, wie sie von einer Katastrophe in die nächste schlittern, von ritueller Rentiertötung bis zu Elektroschockbehandlung. Egal, was auch schief geht, irgendwie scheint es sie nicht wirklich zu jucken. Von eigenem Versagen will niemand von den Helden des Polarkreises etwas wissen. Wenn alles verloren scheint, ist ein Schuldiger leicht gefunden: „Wer hat eigentlich beschlossen, dass es auf einmal kein analoges Fernsehen mehr geben soll?!“ Und irgendwo unter den Nordlichtern schwingt der Strick am Baumelbaum.

Schaffen es Janne, Kalle und Ralle, den Digitalreceiver bis Neun bei Inari abzuliefern? Man kann sicher sein, dass bis zur letzten Minute immer wieder Unerwartetes und Witziges passiert. HELDEN DES POLARKREISES hat auch seine melancholischen, ruhigen Momente, aber der Film driftet zu keiner Zeit ins Kitschige ab. Zwar reift jede der Figuren und kommt am Ende seinen Sehnsüchten näher, aber diverse Schmalzklippen werden durchgehend gekonnt umfahren. Die Geschichte der Helden wird mit lakonischer Leichtigkeit erzählt, viel trockenem Humor, dekoriert mit finnischer Schlagermusik und wunderschönen Landschaftsaufnahmen des nördlichen Polarkreises. Es ist ein bisschen so, als hätte Aki Kaurismäki „Ey Mann, wo is mein Auto?“ verfilmt. Dabei ist er eher vergleichbar mit ABSOLUTE GIGANTEN – drei ähnliche Charaktere, eine einzige Nacht und viel bittersüße Melancholie. Wenn am Ende von HELDEN DES POLARKREISES der Bogen zum Baumelbaum geschlossen wird, entlässt einen der Film mit einem Grinsen, man macht sich mit schwermütigem Seufzen ein neues Bier auf und nickt schmunzelnd. Oder wie es Kalle sagen würde, als er sich mit einem Russen im Whirlpool voll laufen lässt: „Auf die scheiß Welt!“ Prost!

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