Freunde verfilmter Theaterstücke dürfen derzeit ein wahrlich vorzügliches Kinoprogramm genießen: Nur wenige Wochen, nachdem David Cronenbergs “Eine Dunkle Begierde” mit der leidenschaftlichen Liaison zwischen Sigmund Freuds Zögling und dessen Patientin überzeugen konnte, bringt Roman Polanski die Leinwandversion von “Der Gott des Gemetzels” in die Lichtspielhäuser. Während ersterer Streifen allein schon durch die malerischen Schauplätze und Requisiten von der Filmauswertung profitiert, fragt man sich bei Letzterem zunächst zweifelnd: Kann ein derartig reduziertes Werk, dessen Handlung lediglich aus einem 4-Personen-Gespräch in einer Wohnung besteht, auch im Kinoformat begeistern? Die Antwort ist ein glasklares “Ja“. Die gewitzten Dialoge und genialen Darsteller garantieren ein vergnügliches Filmerlebnis der etwas anderen Art.
Der 11-jährige Zachary hat seinem Klassenkameraden Ethan mit einem Stock ins Gesicht geschlagen, woraufhin der Junge zwei Zähne verlor. Die Eltern des Opfers, Penelope (Jodie Foster) und Michael (John C. Reilly), laden die des Täters, Alan (Christoph Waltz) sowie Nancy (Kate Winslet), zu einem klärenden Gespräch ein. Nach dem Verfassen einer Stellungnahme werden auf verständnisvolle Weise Entschuldigungen ausgesprochen und angenommen. Je länger die beiden Ehepaare jedoch beisammen sind und ihren Konversationen folgen, umso offensichtlicher werden die Differenzen zwischen den Meinungen, moralischen Ansichten und generellen Weltanschauungen der einzelnen Individuen. Bald schon eskaliert die angespannte Lage und mündet in einem schonungslosen Streit, bei dem jeder für sich selbst kämpft…
Roman Polanski entfernt sich mit seiner Bloßstellung des Spießbürgertums augenscheinlich nicht allzu weit von der Theatervorlage: Auch die Leinwandadaption präsentiert sich als örtlich wie auch zeitlich äußerst begrenztes Kammerspiel, dass irgendwo zwischen Drama, Komödie und Satire einzuordnen ist. Das eher actionorientierte Blockbusterpublikum, welches schon bei dem Gedanken an ein rund 75 minütiges Streitgespräch in Echtzeit (nein, viel länger ist der komplette Streifen nicht) zu gähnen beginnt, soll hier ganz klar nicht angesprochen werden. Etwas anspruchsvollere Filmliebhaber dürfen sich indes auf einen vergnüglichen Zwist freuen, dessen spritzige Dialoge eine Bühne für glanzvolle Schauspielerleistungen bieten. Dass man eben jene auch geboten bekommt, wird durch eine erstklassige Darstellerriege sichergestellt.
Vor allem Christoph Waltz darf unter Beweis stellen, dass seine geniale Vorstellung in Tarantinos Kriegsgroteske “Inglourious Basterds” kein glücklicher Einzelfall war. Von Anfang an kann er mit seiner prägnanten Erscheinung die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sei es nun durch seine akribische Wortklauberei oder die penetrante Fixierung auf sein Handy respektive seinen Job als Rechtsanwalt - der Österreicher wird immer wieder in den Mittelpunkt gerückt. Auch wenn manch einem die egozentrische Art seiner Figur unsympathisch erscheinen mag, so ist sein Alan bei genauerer Betrachtung doch der charakterlich ehrenwerteste, weil schlicht ehrlichste Teilnehmer der Gesprächsrunde. Da wird auch gern mal festgestellt, dass der eigene Sohn ein Wahnsinniger und die Welt von Brutalität beherrscht sei - herrlich, mit welch trockenem Humor diese strittigen Meinungen von Waltz vermittelt werden.
Das gnadenlos offene Aussprechen dieser Ansichten stößt anfangs nur auf wenig Gegenliebe: Gekünstelte Höflichkeit steht beim Rest der Gruppe auf dem Programm. Sobald dieser vorgetäuschte Anstand dem verbalen Schlagabtausch weicht, können auch die weiteren Charaktere ein zumeist interessantes Profil entwickeln. Nur wenige Nuancen hinter Waltz einzustufen ist die hervorragende Show von Jodie Foster, deren auf den ersten Blick starke, sich schlussendlich aber doch zerbrechlich zeigende Penelope mit ihrer naiven Vorstellung eines sich respektierenden Kollektivs ein Stück weit verloren wirkt in der modernen Gesellschaft. Ihr Partner Michael, von John C. Reilly charismatisch verkörpert, offenbart sich nach seinen anfänglichen Schlichtungsversuchen hingegen als gänzlich gelangweilter Ehemann, der sich nun mit großem Genuss der Rolle des unsensiblen Arschlochs hingibt. Kaum sind die Normen der Nettigkeit abgelegt, schon fühlt er sich Alan näher und verbündet sich mit dem wortgewandeten Anwalt, welcher sich mit Freude an der eskalierenden Lage labt.
Generell findet man nie irgendwelche klar definierten Fronten vor, jeder muss sich hier seiner eigenen Haut erwehren - wem der Zuschauer letztlich seine Sympathien schenkt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Schade, dass Kate Winslet bei diesem Kampf etwas untergeht. Auch wenn ihre Taten immer wieder als Motor für die Handlung dienen, mangelt es ihrer Nancy an mitreißenden Charakterzügen. Ebenfalls zwiespältig darf der plötzliche Schluss aufgenommen werden: Die abrupte Art, mit der die Auseinandersetzung endet, mag etwas unelegant wirken, ist gleichzeitig aber nur konsequent. Dass eine derartig wirr und aggressiv geführte Diskussion unter Gesprächspartnern, die sich teils wie Kinder benehmen, zu keinem befriedigenden Ergebnis kommt, erscheint nur folgerichtig - hier regiert halt der namensgebende Gott des Gemetzels. Gekrönt wird dieser Kleinkrieg von einer wunderbaren Schlusssequenz, welche die gesamte Chose schließlich ad absurdum führt.
Fazit: Zwei Ehepaare liefern sich einen heftigen Streit, der vor Witz und dramatischer Ehrlichkeit nur so sprüht: Wer sich für ein solch reduziertes Setting begeistern kann, der bekommt mit Polanskis Dialogfeuerwerk ein mitreißendes Duell geboten. “Der Gott des Gemetzels” besticht durch größtenteils tolle Figuren, die von glänzenden Darstellern, allen voran dem genialen Christoph Waltz, zum Leben erweckt werden. Theater in Kinoform - ein ebenso andersartiges wie vergnügliches Erlebnis.
8/10