Review

BEEINDRUCKEND ↔ ERSCHRECKEND

Wie soll man einen Film beschreiben, der unter den widrigsten und schrecklichsten Umständen entstanden, die man sich vorstellen kann? Wie soll man einen Film beschreiben, den es eigentlich in dieser Form gar nicht geben dürfte? Wie soll man einen Film beschreiben, der, so wie er nun vorliegt, ein Produkt des Zufalls ist? Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht einfach. Schließlich beschreibt dieser Film eines der furchtbarsten Ereignisse der letzten Jahre, jenes Ereignis, welches sich nächste Woche zum sechsten Mal jähren wird: Den Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, der 3003 Menschen das Leben gekostet hat. Sicherlich noch tragischer als die Terroranschläge in New York war in den letzten Jahren vielleicht nur die Tsunami - Katastrophe im Indische Ozean an Weihnachten 2004, welche etwa 230000 Menschleben gefordert hat. Der bedeutende Unterschied zwischen beiden Ereignissen ist nur, dass es sich bei dem einen um ein nicht zu beeinflussendes Schicksal, ein Naturereignis gehandelt hat und bei dem anderen um einen von Menschenhand eiskalt hinterrücks geplanten Anschlag. Der hier vorliegende Film „11. September - Die Letzten Stunden im World Trade Center" von und mit Jules und Gédéon Naudet wurde bereits im Jahr 2002 veröffentlicht.

Kann man nun so einen Film mit den Adjektiven gut, schön oder zauberhaft beschreiben? Wohl eher nicht! Wie sollte nun eine Review sein, die sich mit dieser erschreckend beeindruckenden (oder beeindruckend erschreckenden) Dokumentation beschäftigt: nicht pathetisch aber auch nichts beschönigend; objektiv aber keine reine Aneinanderreihung von Fakten. Eines ist klar: Man kann bei der Bewertung von „11. September - Die Letzten Stunden im World Trade Center" nicht denselben Maßstab bezüglich Handlung, Ausstattung, schauspielerische Leistung (?!?), Kamera anwenden, wie bei einem normalen Kinofilm, der zwar wie Oliver Stones „Word Trade Center" (2006) mit Nicolas Cage oder anderen diversen TV-Produktionen zu dieser Thematik.

An sich wollten die beiden Brüder Jules und Gédéon Naudet nur eine Dokumentation über den Berufsstart eines jungen New Yorker Feuerwehrmanns machen und begannen damit bereits Ende Juni 2001. Dies klingt prinzipiell eher wenig spektakulär. Und so gestaltet sich die erste halbe Stunde (bzw. die ersten Wochen als Feuerwehrmann des Rekruten Tony Benetatos) der Dokumentation auch eher langatmig und etwas zäh, denn nichts Aufregendes (außer dem tragischen Tod eines Jungen Feuerwehrmanns) geschieht - wenngleich es auch eindrucksvolle Einblicke in den Alltag einer Feuerwehr in New York gibt. Die knapp zwei Stunden andauernde Dokumentation nimmt erst richtig Fahrt auf (und dann im wahrsten Sinne des Wortes gewaltig) als Jules ein merkwürdiges Geräusch bzw. überlauten Flugzeuglärm über sich hört während er gerade die Feuerwehrleute bei einem Gasalarm in der nähe des World Trade Centers filmt.

Was dann geschieht ist hinlänglich bekannt. Deshalb möchte ich darauf auch gar nicht explizit bis ins kleinste Detail eingehen. Jules Naudet schafft es gerade noch seine Kamera bereit zu machen und als einer der wenigen zu filmen, wie das erste Flugzeug um 8.46Uhr Ortszeit in den Nordturm der beiden Türme kracht. Diese zwölf Sekunden Film des Einschlags machten diese DVD finanziell erst möglich, denn Naudet verkauftet diese Szene separat an den Fernsehsender. Von nun an darf man Augenzeuge bei einer der schlimmsten Katastrophen der letzten Zeit. Ohne zu wissen, was überhaupt geschehen ist, springen die Feuerwehrmänner in ihre Autos und rasen in Richtung World Trade Center, denn dort steigt bereits Rauch auf. Jules Naudet hält mit der Kamera die ganze Zeit voll drauf, auch als in der Lobby des WTC die Feuerwehren ihre Kommandozentralen einrichten. Im Laufe des Films sieht man, wie sich die anfängliche Ungläubigkeit bei allen Leuten in blankes Entsetzen wandelt, spätestens als sie bemerken, wie sich lebendige Menschen von den obersten Stockwerken lieber in den Tod stürzen, als sich den Flammen zu ergeben.

Man ist ständig mitten im Geschehen, denn die Kamera weicht den Feuerwehrmännern nicht von der Stelle. Die DVD zeigt alle Bilder ungeschönt. Authentischer hätte man keine Dokumentation herstellen können. Dies liegt auch daran, dass die Kamera (logischerweise) oftmals wackelt, da natürlich auf der Schulter un nicht mit Hilfe eines Stativs gefilmt wird. Ebenso gibt es auch manchmal Aussetzer beim Bild und man hört nur noch Stimmen der anwesenden Feuerwehrmänner und das Krachen der gerade einstürzenden Türme. Gerade in diesen Momenten ist das Bild dann grau bzw. schwarz und man sieht als Zuschauer die Hand des Kameramanns über die Linse wischen, der verzweifelt versucht die Geschehnisse festzuhalten. Beim Betrachten des Films fiebert (als die Feuerwehrmännern mit über 60 Pfund Gewicht auf dem Rücken mehr als 80 Stockwerke hinauflaufen müssen, da kein Lift mehr funktionsfähig ist) und leidet unweigerlich mit den Feuerwehrmännern mit, besonders als sie versuchen den leblosen Körpers ihres Freundes und Feuerwehrseelsorgers Kaplan Mychal Judge zu bergen.

Die Dokumentation lebt von den verschiedenen Blickwinkeln. Denn während Jules innerhalb des WTC in der Lobby filmt, ist sein Bruder Gédéon außerhalb des Gebäudes. Er filmt das Szenario zum Teil von der Feuerwache aus, zu der immer wieder Feuerwehrmännern stoßen, um nach ihren Kollegen zu sehen. Man sieht die Sorgen ob der Unwissenheit und Ungläubigkeit in ihren Gesichtern. Als sich Gédéon von der Feuerwache auf dem Weg zum Einsatzort macht, filmt er zufällig wie das zweite Flugzeug in den Südturm stürzte. Da die DVD auch eine sehr gute deutsche Tonspur enthält und man nicht gezwungen ist Untertitel mit zu lesen, bekommt man auch mit, wie sich die beiden Brüder umeinander sorgen. Eingestreut in die Ereignisse sind Interviews von Augenzeugen von der Strasse sowie von Feuerwehrmännern, die ihre Gefühle und Eindrücke eindrucksvoll schildern. Besonders eindrucksvoll und wohltuend sind die ausnahmslos besonnenen und nachdenklichen Worte der Überlebenden, die sich nicht selbst als Helden darstellen, sondern wissen, dass sie ihr Leben dem Schicksal und dem Glück verdanken zu haben.

FAZIT:

Auch wenn die DVD gegen Ende etwas zu pathetisch wirkt, als man überlebende Passanten und Feuerwehrmänner dick von Staub und Dreck bedeckt, getragen von Herz zereissender Musik, umherwanken sieht, ist dennoch ein äußerst eindrucksvolles Dokument eines tragischen historischen Ereignisses. Etwas zu lang sind meines Erachtens auch die Interviews am Ende des Film geraten, sowie die Wiedersehensszenen in der Feuerwache. Dennoch, wer sich - besonders jetzt, wo sich die Ereignisse zum sechsten Mal jähren - mit dieser Thematik beschäftigen möchte, wird nicht umhin kommen, sich diese besondere Dokumentation zu Gemüte zu führen. Ihr darf man in jedem Fall mehr glauben schenken als irgendwelchen pseudo-authentischen TV- oder Hollywood - Produktionen. Einige Szenen sind zwar sehr schwer verdaulich und nichts für schwache Nerven, aber die Wahrheit ist eben manchmal nur sehr schwer zu ertragen. Die Dokumentation ist absolut sehenswert, auch wenn die ersten Minuten etwas zu lang geraten sind.

(8,5/ 10 Punkten)

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