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Mit ihrem Kurzfilm "Rita" lieferten die beiden italienischen Regisseure und Drehbuchautoren Antonio Piazza und Fabio Grassadonia (mehr oder weniger bekannt für ihr mehrfach ausgezeichnetes Drehbuch zu dem italienischen Fernsehfilm "Salvo") 2009 ein zwar fast schon minimalistisch gestaltetes, mit seiner überzeugenden Bildsprache aber um so intensiveres Stückchen Filmkunst ab, welches, so möchte ich als nur-ab-und-zu-Kurzfilm-Gucker behaupten, im europäischen Lowest-Budget-Kurzfilm-Milieu heraussticht wie kaum ein zweiter in den letzten Jahren entstandener Film dieser Art.

Zur Handlung: Rita ist ein etwa zehnjähriges Mädchen und von Geburt an blind. Sie leidet sehr unter ihrer Mutter, die ihre Tochter aus Vorsicht wie ein rohes Ei behandelt sehen möchte und so in ihrer Erziehung tyrannische, diktatorische Züge annimmt. Dabei will Rita nicht in die biederen Kleider gesteckt werden, die ihre Mutter vorsieht, sie möchte kein Blumenmädchen sein - was sie möchte, ist schwimmen zu lernen und diesen Sommer ans Meer zu fahren. Als ihre Mutter eines Tages gerade einkaufen ist, steht plötzlich ein fremder Junge, ein Dieb auf der Flucht, in der Wohnung, der sie ohne groß zu Zögern mitnimmt - in Richtung Meer.

Soweit so einfach also der Plot: "Rita" zieht seine Wirkung nicht aus komplexen Strukturen, sondern aus seiner Machart, aus seiner ruhigen, langsamen Erzählweise und der Metaphorik seiner Bilder. So ist in weiten Teilen des Films hauptsächlich nur Ritas Gesicht zu sehen, frontal, in Nahaufnahme. Wunderbar gespielt von der zehnjährigen Amateurin Marta Palermo, selber seit ihrer Geburt blind und dementsprechend - auch nach eigener Aussage - bis zu einem gewissen Grad der Charakter Rita in persona, erwecken diese Bilder eines Gesichtes mit minimalistisch gehaltener Mimik einen Eindruck der Beengung, der Einschränkung, vor allem wenn die Hände der Mutter ins Bild kommen und an Ritas Kleid herumzupfen und -zerren: Piazza und Grassadonia zeigen uns nicht nur ein blindes Mädchen, sie versuchen auch mit allen Mitteln, uns die Möglichkeit zu geben, uns in die Welt des blinden, eingesperrten Mädchens hineinzufühlen und vermitteln durch das eingeschränkte Sichtfeld, das sich nur auf die Reaktionen des Mädchens konzentriert, ein Gefühl der Hilflosigkeit, der Abhängigkeit - in unserem Fall von Kamera, Schnitt und Ton, im übertragenen Sinne natürlich von Ritas Mutter.
Ein Wegrücken von der beengenden Perspektive bietet "Rita" dementsprechend auch erst, als die Protagonistin ihrer Freiheit Stück für Stück näher kommt, bis hin zu erlösenden Totalen und Halbtotalen, als Rita dann endlich im Meer schwimmt, zusammen mit dem fremden Jungen - ob dieser allerdings real oder nur ein innerer Antrieb, ein Hirngespinst oder ein anderes (Wunsch-) Ich Ritas ist, lassen die Regisseure offen. So fragt Rita, als sie im Wasser ist und sich selbstständig über Wasser halten kann, nach seinem Namen, stellt sich selber mit ihrem vor, bekommt aber keine Antwort. Wir Zuschauer, die wir über das Privileg zu sehen verfügen, wissen, dass er nicht mehr da ist. War er von Anfang nur an ein innerer Antrieb Ritas, ein Spiel ihrer Psyche? Oder war er real und lässt sie, auf dem Meer schwimmend, ohne Orientierung, in welche Richtung sich das rettende Ufer befindet, im Stich? Wir wissen es nicht.

So ist "Rita" aufgrund seiner eindrucksvollen, sehr metaphorischen Bilder (übrigens eingefangen vom deutschen Kameramann Olaf Hirschberg), der überlegten, ruhigen und zurückhaltenden Inszenierung sowie seiner mehr als überzeugenden Hauptdarstellerin Marta Palermo ein Kurzfilm, der beeindruckt und dem ruhig deutlich mehr Aufmerksamkeit zukommen dürfte.

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