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Der Koreakrieg ist ein in unseren Breitengraden wenig bekannter, heute fast vergessener Konflikt der 1950er Jahre. Da er der erste Stellvertreterkrieg zwischen autoritärem Ostblock und überwiegend demokratischem Westen war, wäre das Wissen um seine Hintergründe eigentlich überaus zentral für das Verständnis des zum Glück nie völlig eskalierten Dualismus der damaligen Gegner in Ost und West. Dass dieser schlimme und äußerst verlustreiche Krieg heute kaum noch wahrgenommen wird, hat zwei Gründe. Erstens liefert der zehn Jahre später entbrannte Vietnamkrieg ungleich mehr Bildmaterial, Oral History, politisch Brisantes und militärisch Interessantes, was allerdings erst in Kombination mit einem weiteren Umstand, dem zweiten Grund nämlich, letztendlich den Ausschlag gibt: Die USA haben den späteren Krieg in Südostasien als ersten und (bisher) einzigen in ihrer Geschichte verloren. Der Koreakrieg, der ebenfalls Hunderttausende amerikanischer Soldaten im Kampf gegen den Kommunismus sah, wurde zwar nicht zur völligen Zufriedenheit abgeschlossen, aber doch letztendlich erfolgreich über die Bühne gebracht.

Am 25. Juni 1950 überfiel das kommunistische Nordkorea völkerrechtswidrig den nichtkommunistischen Süden des Landes. Der Nordteil war nur wenige Jahre zuvor im Zuge des Zurückdrängens der Japaner von der Sowjetunion besetzt, der Südteil von den Amerikanern befreit worden. Nur fünf Jahre nach Kriegsende brach sich nun das Aggressions- und Expansionspotential des Kommunismus östlicher Prägung wenig unzweideutig Bahn. Die UNO reagierte und eilte unter Führung der USA den bedrängten Südkoreanern zur Hilfe. Bald griff auch China in den Konflikt ein, was nicht wenige der damaligen Zeitgenossen schon als Beginn eines Dritten Weltkrieges betrachteten. Sie sollten sich gottlob irren. Im Gegensatz zum späteren Vietnamkrieg jedoch wurden die Amerikaner dabei von der überwiegenden Mehrheit der Südkoreaner als Befreier zunächst von den Japanern, dann von der rücksichtslosen Diktatur der nordkoreanischen Kommunisten begrüßt. Auch dieser Umstand eignet sich in einer Zeit, in der so mancher Feuilletonist gern gegen die USA zu Felde zieht, wenig dazu, den Amerikanern an den Karren zu fahren. Nichtsdestotrotz starben im Koreakrieg nicht nur 36.000 US-Soldaten, sondern auch 400.000 Chinesen, 500.000 Mann koreanisches Militärpersonal und 3.000.000 Zivilisten. Schon beim Überfall auf den antikommunistischen Süden kam es zu weltweit Aufmerksamkeit erregenden Menschenrechtsverletzungen durch Truppen des Nordens. Nichtkommunisten sollte gnadenlos der Rückhalt in der Bevölkerung und die Möglichkeit zum Aufbegehren entzogen werden. Und dieses Ansinnen wurde mit der der nordkoreanischen Regierung heute noch eigenen Kaltblütigkeit umgesetzt. Die Bildungsschicht des unterjochten Südens und seine geistige Elite wurde - noch vor dem Eintreffen der Amerikaner - schnellstmöglich und unbarmherzig verfolgt und ermordet. Die USA warfen dafür nicht weniger entschlossen im Gegenzug vier Mal so viel Napalm ab wie später im Vietnamkrieg und zerstörten die nordkoreanischen Städte ebenso gründlich wie die deutschen wenige Jahre zuvor. Als am 27. Juli 1953 der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, blieb die Grenze am 38. Breitengrad bis heute zementiert. Erst wir Nachgeborenen werden (hoffentlich) erleben, dass sie fällt. Ein Friedensvertrag existiert im Übrigen bis jetzt nicht, was genau genommen bedeutet - und Nordkorea betont das immer wieder gerne -, dass sich beide Länder noch immer im Kriegszustand befinden. Aus dieser Angst heraus - vor allem angesichts des nordkoreanischen Atomwaffenarsenals - versucht die Filmindustrie Südkoreas zunehmend, versöhnliche Filme zu drehen, den Verwandten im Norden sozusagen die Hand zu reichen. Die würden auch vermutlich nur allzu gern in einen Dialog treten, doch schlägt das Regime im Norden noch heute jedes Angebot einer Annäherung in beinahe kindischem Trotz aus.

Bereits der Referenzstreifen „Brotherhood - Wenn Brüder aufeinander schießen" (2004) erregte unter Asiafilm-Liebhabern großes Aufsehen und brachte erstmals das Thema „Koreakrieg" auch dem westlichen Publikum inhaltlich etwas näher. Regisseur Kang Je-gyu inszenierte sein Monumentalwerk dabei mit stetem Blick auf Steven Spielbergs „Soldat James Ryan" (1998). Sowohl in dramaturgischer Hinsicht als auch kameratechnisch fungierte Spielbergs Film um den zu rettenden letzten der fünf in Frankreich gelandeten Brüder als Vorbild. Heraus kam dabei ein schwer Zeitgeist atmendes und aufgrund dessen inhaltlich recht wildes Werk über zwei vom Krieg getrennte und wieder zueinander findende Brüder. „Brotherhood" ist allerdings im Gegensatz zum hollywoodschen Vorbild nicht nur vorgeblich, sondern tatsächlich pazifistisch motiviert. „Warum schießen Brüder aufeinander" fragt schon der deutsche Titel. Vor acht Jahren sollte also schon einmal mit dem Medium Film Frieden und Versöhnung zwischen den beiden Teilen Koreas angemahnt werden, allerdings auf inszenatorisch höherem Niveau als bei dieser Abhandlung des Koreakriegs.

Diesmal dienen nicht zwei Brüder als Aufhänger zur Bebilderung des Konflikts vor sechzig Jahren, sondern ein Hügel. Der wechselt nämlich in bizarrer Regelmäßigkeit den Besitzer. Mal weht die nordkoreanische, mal die südkoreanische Flagge auf seinem Gipfel. Wir Europäer kennen solch ein merkwürdiges Schauspiel aus dem Ersten Weltkrieg. Der Hügel im Film wird im Verlaufe von Jahren zu einer Fleischmühle, die Freund und Feind, Tote und Verwundete unter sich begräbt und je nach Wetter und Jahreszeit zögerlich wieder freigibt. Daneben, drüber und drunter tummeln sich dann Hunderte von Uniformierten im Kriegssetting.

In dieses Szenario wird nun eine Kompanie südkoreanischer Soldaten geworfen, die nach dem typischen Strickmuster des Asiafilms ihre jeweiligen Rollen ohne besondere Überraschungen ausfüllen. Der laienhafte, aber ewig besserwisserische Vorgesetzte bleibt der laienhafte, aber ewig besserwisserische Vorgesetzte, der Unerschrockene bleibt der Unerschrockene, die Heulsuse die Heulsuse und so weiter. Auch was die Story selbst angeht, bleiben Überraschungen oder gar Handlungsbrüche, wie sie uns „Brotherhood" noch präsentierte, diesmal aus. Mit der ersten Minute Film ist klar, wie die Sache für fast alle Beteiligten ausgeht. Dabei wird etwas weniger opulent und bildgewaltig erschossen, erstochen, überlebt und gestorben als im Vorgänger. Das Niveau der Inszenierung eines „Private Ryan" streift nur der 2004er Koreakriegsbeitrag - „The Front Line" ist hier deutlich unter ferner liefen einzuordnen. Überhaupt sehen wir zwar in nicht wenigen Filmminuten Kampfhandlungen und wildes Geballere, doch wird wesentlich mehr Filmzeit auf das - leider oft wenig unterhaltsame und dialog- sowie übersetzungstechnisch nicht eben makellos dargebrachte - Gerede, Gemecker, Geheule und Gesinge der armen Frontschweine verwendet. Und genau hier trägt Regisseur Jang Hoon leider zu dick auf. In jeder fünften Minute Film wird allein für sich, offen vor den Kameraden, untertänig unter der Nase des Vorgesetzten oder mit allen zusammen im Chor geheult. So gerechtfertigt es ist, auch die Schattenseiten des Krieges nach den eigentlichen Kampfhandlungen zu thematisieren, so anstrengend ist es dennoch, ohne Unterlass Wehklagen, Weinen und Gefühlsduselei filmisch in den Vordergrund gestellt zu sehen. Man hätte „The Front Line" etwas sarkastisch auch „Das große Weinen" nennen können. Nun mag asiatisches Kino zwar überhaupt einen Tick theatralischer zu Werke gehen, doch übertreibt es Jang Hoon - zumindest für amerikanische und selbst europäische Gemüter - maßlos. Die manische Weinerlichkeit im Film verheddert sich zu sehr im reinen Selbstzweck. Wenn die Figuren in ihren Gefühlsausbrüchen zu Karikaturen degenerieren, kann das weder im Sinne des potentiellen Publikums noch des Regisseurs sein. Hier entgleitet Jang Hoon sein Werk aufgrund mangelnder Griffigkeit und viel zu oberflächlicher Inszenierung. Das hätte nicht sein müssen, denn das Fernziel, die Verdammung des Krieges, ließe sich auch mit weniger neurotischem Geflenne wunderbar vermitteln.

Der Rest des Films verläuft in ähnlichen Bahnen wie schon „Brotherhood" einige Jahre zuvor. Die Koreaner stehen erneut im Mittelpunkt, die ausländischen Streitkräfte spielen wieder praktisch keine Rolle. Amerikaner und Chinesen werden nur der Vollständigkeit halber beim Durchwinken erwähnt - ein, angesichts des durch die UNO-Truppen völlig veränderten Kriegsverlaufs, merkwürdiger Umstand. Man kann nur vermuten (oder muss Koreaexperte sein, um sagen zu können), warum der Fokus derart starr auf Einheimische gelegt bleibt. Vermutlich weiß man im Südkorea des neuen Jahrtausends nicht so recht, was man denn nun von der Rolle der Amerikaner im letzten Krieg halten soll. Natürlich haben sie die Menschen im Süden vor einer barbarischen Diktatur und vor ausuferndem Massenmord gerettet. Danke dafür! Allerdings stehen sie einer Versöhnung mit den Brüdern im Norden doch irgendwie im Weg. Auch heute noch! Und da die Frage des amerikanischen Engagements in Südkorea eine offenbar prekäre ist, lässt man sie besser offen. Von gerechtfertigter Dankbarkeit gegenüber der UNO fehlt im Film jedenfalls jede Spur. Fast möchte man sich als hilfloses Opfer ausländischer Intervention präsentieren. Zwar wird der Kalte Krieg mit keinem Wort erwähnt, das Thema „Stellvertreterkrieg" nie angeschnitten, doch ist dieses Motiv latent vorhanden.

"The Front Line" wird, wie das in Europa üblich ist, als koreanische Produktion jovial behandelt werden. Einem koreanischen Film verzeiht man es irgendwie, dass es mit der Inszenierung holpert oder dass das Ganze eigentlich vor triefender Theatralik nicht vor die Kamera, sondern auf eine Bühne müsste. Man mag sich dann über ein, zwei nette Ideen freuen, wie dem Tausch von Waren in einer im Boden versenkten Kiste, die wechselseitig mit Leckereien befüllt und nach der nächsten Zurückeroberung durch den Feind in kulinarischem Hochgenuss geleert wird, doch sind das, wenn man ganz ehrlich ist, nur wenige Lichtblicke in einem ansonsten tränengetrübten Film. „Wir kämpfen nicht gegen die Roten. Wir kämpfen gegen den Krieg selbst", so die versöhnliche Botschaft aus dem Jahre 2011. Mit der damaligen Realität nach dem Überfall des Nordens auf den Süden hat das zwar überhaupt nichts mehr zu tun, aber Historienfilme sagen eben stets viel mehr über ihre Entstehungszeit aus als über die von ihnen bebilderten historischen Zusammenhänge.

Für die insgesamt völlig überspannte Inszenierung mag hier ein letztes Beispiel dann aber auch genügen: *Spoiler* Nachdem der Waffenstillstand bereits ausgesprochen wurde und eigentlich nur noch in Kraft treten muss, soll besagter Hügel ein letztes Mal erobert werden. All das Blut, das Leid und die Tränen zuvor wären umsonst gewesen, bliebe das Fleckchen Erde beim Neustellen der Uhren in der Hand des Feindes. Also treten alle Beteiligten, von Heulkrämpfen geschüttelt, einen letzten Opfergang an. Wie es das launenhafte Schicksal aber so will, sterben nun wirklich (fast) alle bisher unversehrten Veteranen. Was der Krieg in den vergangenen drei Jahren nicht geschafft hat, vollbringt er nun in einer halben Stunde. Die letzten beiden Überlebenden sind natürlich ausgerechnet die kommandierenden Offiziere der beiden Konfliktparteien, die, in einen Unterschlupf gekrabbelt, gemeinsam eine letzte Zigarette rauchen und sich dann ihrem jeweiligen Schicksal ergeben. *Spoiler Ende* Kitschiger geht es zwar nun wirklich nicht, aber da man eben von einer asiatischen Produktion irgendwie nicht mehr erwartet, übt man Nachsicht. Dennoch drängt sich nach zwei Stunden Trübsal - und dem ein oder anderen inzwischen erschienenen, auch objektiv hervorragenden koreanischen Film - die Frage auf: Warum eigentlich?

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