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Prämiert mit fünf Oscars, unter anderem für den besten Film und Hauptdarsteller; seinerzeit als weltweite Sensation gefeiert. Das klingt schon einmal viel versprechend! Jedoch belegen Auszeichnungen nur im Ansatz, welche cineastische Perle „Einer flog über das Kuckucksnest“ letztendlich ist.....

Jack Nicholson spielt höchstpersönlich Randle McMurphy, einen Verbrecher, der mit der Hoffnung auf baldige Entlassung Geisteskrankheit vortäuscht. Doch dieses Vorhaben gerät ins Wanken, weil er gegen die autoritären Strukturen in der psychiatrischen Anstalt von Leiterin Ratched (Louise Flechter) rebelliert. Er freundet sich mit den anderen Patienten an und probt schließlich den Aufstand.

Zunächst deutet der Verlauf der Geschichte mehr auf eine Komödie hin, da die Aktionen von McMurphy in der Tat wahre Highlights sind. Dialoge zwischen McMurphy und den Psychologen, Insassen sowie Schwester Ratched verleiten vorerst oftmals zu einem leichten Schmunzeln.
Im weiteren Verlauf dominiert dahingegen immer mehr die Eskalation des Konflikts zwischen McMurphy und Schwester Ratched das Geschehen, weshalb „Einer flog über das Kuckucksnest“ letztendlich ein Stück dramatisches sowie ernsthaftes Kino ist.

Im Grunde wird hier wird ein Abbild der Gesellschaft auf eine Nervenheilanstalt projiziert. McMurphy ist der Rebell, ein emotionaler und intelligenter Mensch, der Konventionen nicht akzeptiert und das tut, wonach ihm ist bzw. was er für richtig hält. Schwester Ratched definiert dagegen, was normal ist und verteidigt die Machtstrukturen. Sie hält die Ordnung aufrecht und kann Störfaktoren wie McMurphy nicht dulden, weil er das Zusammenleben gefährdet. Hier findet das eigentliche Duell in „Einer folg über das Kuckucksnest“ statt.
Im übertragenen Sinn sind die anderen Patienten nichts anderes als ein weiterer Teil der Gesellschaft; Mitläufer, die zwischen beiden Parteien stehen. Klischees werden bei der Darstellung der beeinträchtigten Menschen erfreulicherweise nicht verwendet. Die Betreuten werden nie, auch nicht unterschwellig, als Lachnummern instrumentalisiert oder entwürdigt. Im Prinzip haben sie sogar einen Vorteil gegenüber uns vermeintlich "normalen" Menschen, weil sie größtenteils wissen, dass sie mehr oder weniger beeinträchtigt sind.
Eine gleichermaßen erschreckende Erkenntnis für McMurphy und dem Betrachter ist jene Szene, als offenbart wird, dass die Insassen freiwillig in der Anstalt verweilen.
Sie benötigen Zwang und Autorität, eine Institution, die ihnen gewisse Vorgaben gibt, weil sie unfähig sind selbst zu entscheiden. Dabei gibt ihnen Autorität ein gewisses Maß an Integrität, was ohne „Hilfe“ nicht der Fall wäre. Wie unmenschlich dieser Zwang, diese Regulierung auch ist, ob McMurphy oder Ratched die Autorität ausübt, ist ihnen dabei letztendlich egal.
Diktatur innerhalb einer Demokratie. Klingt absurd, aber ist durch indirekte Zwänge faktisch gegeben.

Der Sympathieträger des Films ist eindeutig McMurphy, obwohl er im eigentlichen Sinne der Betrüger und Verbrecher ist. Er versucht den Insassen ein Stück Freiheit zu geben und das Leben genießen zu lernen. Jack Nicholson übertrifft sich hier wieder einmal selbst, obwohl er, so scheint es, wieder nur seine eigene Person verkörpert. Es ist wirklich einzigartig, wie Nicholson seinem Charakter eine derartige Authentizität verleiht. Mit McMurphy lebt er eine Paraderolle vollends aus.
Den kongenialen Gegenpol bildet Louise Fletcher in Form von Schwester Ratched. Als autoritäre, kühle Leiterin der psychiatrischen Anstalt ist sie unnachahmlich. Es ist erschreckend, wie skrupellos sie den Fremdkörper McMurphy bekämpft.

Mal abgesehen von großartiger Darstellkunst und einem faszinierenden Drehbuch, das übrigens auf einen Roman basiert, erreicht „Einer flog über das Kuckucksnest“ vor allem auch durch die Machart eine unglaubliche Intensität. In jeder Hinsicht wird das Inhaltliche mit visuellen Finessen ergänzt. Beides erscheint symbiotisch. McMurphy wirkt in den kühlen, fast schon steril wirkenden Räumlichkeiten wie ein Lichtblick. Er ist das einzige Individuum in einer unmenschlichen Anstalt, die von Schwester Ratched drakonisch geführt wird. Alle Betreuten sind nicht mehr individuell, sie werden als stereotypen Gestalten betrachtet; behinderte Menschen, die sich fügen müssen. Jede Emotion ist deplatziert und eine Abweichung vom Plan ist nicht erlaubt. Im Kontrast dazu steht der emotionale McMurphy. Immer mehr verblasst sein Glanz in den kühlen Gemäuern der Heilanstalt. Letztendlich wird auch seine Individualität unterdrückt. Aufgrund der verstörenden, monoton dargestellten Schauplätze erreicht die Entwicklung von McMurphy ihre beabsichtigt, melancholische Wirkung, vollends. Das letzte Stück an Perfektion garantieren groteske, undefinierbare Klänge, welche auf die schwere Verdaulichkeit der Thematik, zusätzlich Einfluss haben. Ergänzt mit jederzeit platziert wirkenden Cuts erreicht man auch aus filmtechnischer Sicht einen Grad an Perfektionismus, der mit keiner Auszeichnung der Welt angemessen honoriert werden kann.

Oftmals wird das Gelingen eines Films auf die Darsteller und den Regisseur reduziert, wobei das beste Beispiel für ein grandioses Gemeinschaftsprojekt „Einer flog über das Kuckucksnest“ ist. Ohne die perfekte Zusammenarbeit aller Beteiligten wäre die Achterbahnfahrt der Gefühle, von Humor bis hin zur Melancholie, bei weitem nicht derart imposant. Wahrhaftig ein Meisterwerk, das nie an Aktualität verlieren wird. (10/10)

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