Regisseur Yim Ho nahm für seinen kleinen aber feinen Film Kitchen die japanische Romanvorlage von Banana Yoshimoto, verlagerte die Geschichte nach Hongkong und änderte auch sonst viel, so dass sein Kitchen fast schon als eigenständiger Film angesehen werden kann. Was bleibt, ist sozusagen ein bisschen Rahmenhandlung, die Film und Buch noch miteinander verbindet.
Als eine erste große Änderung im Film wurde schon die Gewichtigkeit der Hauptpersonen vertauscht. Hier wird die Geschichte aus der Sicht des jungen Frisörs Louie (im Buch Yuichi; gespielt von Jordan Chan) erzählt, der mit seiner Mutter—dem Transvestit Emma (im Buch Eriko; gespielt von Law Kar-Ying)—zusammenlebt und das apathische Mädchen Aggie (im Buch die Ich-Sprecherin Mikage; gespielt von Yasuko Tomita) bei sich aufnimmt, das seit dem Tod ihrer geliebten Großmutter nicht mehr spricht, vor dem Kühlschrank schläft und völlig abwesend vor sich hinstarrt. Diese drei so eigenartigen wie faszinierenden Seelen leben nun zusammen und versuchen sich so eine neue Familie aufzubauen. Als es endlich gelingen mag und sich auch Louie und Aggie langsam näher kommen, gibt es einen weiteren Schicksalsschlag: Emma wird ermordet. Diesmal ist es an Louie zu trauern und den Schmerz des Verlustes zu ertragen, den erst Aggie hat durchleiden müssen. Louie verlässt Hongkong, um zu sich selbst zu finden und findet sich bald schon in der totalen Einsamkeit wieder.
Da ich zuerst das Buch Kitchen kannte, fallen mir natürlich die vielen Veränderungen auf, die Yim Ho in seinem Film gemacht hat. Weil ich aber schon immer der Meinung war, dass Banana Yoshimotos Geschichte noch ziemlich ausbaufähig ist, fielen mir all die Änderungen nicht weiter frevelhaft auf. Wer das Buch aber abgöttisch liebt, den wird die filmische Version womöglich enttäuschen.
Yim Hos Figuren sind in der Tat ein bisschen gewöhnungsbedürftig: Jordan Chan als Louie mit seiner Frisur und den kunterbunten Klamotten entspricht so gar nicht der Vorstellung, die man von seiner Vorlage im Buch erwartet hätte. Auch Aggie, die anfangs nur völlig apathisch und bewegungslos herumsitzt und nachts den Mond fangen geht, später zu einem schüchternen naiven Ding erwacht und noch später eine für Hongkong-Filme typische freche junge Frau wird, ist von der Romanvorlage völlig entfremdet. Transvestit Emma bekommt leider weitaus weniger Gehalt als im Buch, was schade ist, da ihre Rolle im Buch recht zentral stand und die Geschichte eigentlich erst zu etwas Besonderem machte, während sie im Film relativ blass bleibt und auch nicht überaus wichtig ist. Wenigstens hat man ihren Charakter dabei nicht mit allzu vielen Klischees beladen.
Die Schauspieler geben dabei alle gute Leistungen ab und bringen ihre Charaktere glaubwürdig rüber. Wenn man sich dann erst einmal ein bisschen in den Film eingewohnt hat, werden einem auch die anfangs recht seltsamen Figuren sympathisch. In einer kleinen Nebenrolle als bunte eifersüchtige Freundin von Louie kann zudem noch Karen Mok überzeugen.
Kitchen bietet viel furs Herz und furs Auge. Yim Hos künstlerisches Kameraspiel erinnert manchmal fast schon ein bisschen an die Werke von Regie-Kollege Wong Kar-Wai, aber nicht so, um wie ein fader Abklatsch zu wirken, sondern eigenständig. Yim Ho lebt hier seinen eigenen Stil, der gekonnt mit Überblenden, Farben, ungewöhnlichen Blickwinkeln und vor allem schönen verzerrten Spiegelungen experimentiert.
Das kindliche Verhältnis zwischen Louie und Aggie ist ebenfalls gut dargestellt worden, so dass es nur oberflächlich kindisch wirkt, im Grunde aber bis in irgendwelche erotischen Tiefen reicht. Ihre Liebesgeschichte ist dadurch nie plakativ und wird nie schamlos ausgenutzt, sondern ist leise, subtil und auf den allerersten Blick als solche zunächst gar nicht richtig zu erkennen. Gerade das ist es, was Kitchen so schön macht. Es ist ein ernstes, offenes Drama, modern und manchmal ein bisschen lustig. Es nimmt sich Zeit, zwei Stunden nämlich, um eine Geschichte ohne große Handlung zu erzählen—und das funktioniert (meistens). Wenn es mitten drin auch den ein oder anderen kleinen Hänger gibt, so wird Kitchen nicht langweilig und zeichnet schön das Bild zweier junger Menschen, die in einer komischen Welt aufwachsen, in der sie weinen, lachen und glücklich sein können.
Kitchen zeigt in schönen Bildern den ständigen Kampf gegen die Einsamkeit. Wer Banana Yoshimotos Buch kennt, sollte dem Film trotzdem eine reelle Chance geben. Der recht unbekannte Film ist auf keinen Fall schlechter als das Buch, eben nur ganz anders. Im positiven Sinne.