Schon die ersten Aufnahmen der unglaublichen Zerstörungen nach japanischen Tsunami-Katastrophe bilden mit der atonalen Musik und den traumartigen Bildern eine verstörende Mischung. HIMIZU lebt wie die meisten Filme von Regisseur Sono von seinen gezielten Kontrasten zwischen emotionaler Wucht, Melancholie, Obszönität zum einen und einer hohen formalen und künstlerischen Ästhetik zum anderen. Es ist oft eine gewollte Tortur für den Zuschauer, denn die Stimmungen wechseln oft im Minutentakt. Ich möchte HIMIZU trotz der großartigen Eigenschaften nur für Asiafilm erfahrene Seher empfehlen. Der spezielle Mix aus den ruhigen Bildern und dem typischen japanischen Overacting wird nicht jedermanns Sache sein.
Damit ist gemeint, dass die oft völlig abrupt ablaufenden Ausbrüche von Emotionalität, überbordender Freude, spontaner fast comichafter Gewalt und die kontrastierende übersteigerte Höflichkeit ein spezielles Konzert und eine Stimmung bilden, welche bei unerfahrenen Sehern für Irritation sorgen kann und wird. Dazu kommt oft noch eine extreme Überzeichnung von Charakteren. Zu fremd ist den meisten von uns das, was in HIMIZU die Regel zwischen diesen Extremen ist. In der drastischen Coming-of-Age Geschichte des jungen Yuichi gerät dieser aufgrund seines bedrückenden Umfeldes zwischen interesselosen bis gewalttätigen Eltern und Lehrern in eine tiefe Depression und Angst vor den Ungewissheiten der Zukunft.
Er spürt nur Hass und Gewalt in seiner Nähe. Dies geht nicht spurlos an ihm vorbei und auch er weiß sich oft nur noch mit Gewalt zu helfen… HIMIZU ist die Verfilmung eines Mangas von 2001 in dem Regisseur Sono die akuellen Ereignisse des Tsunamis in Japan als erster Filmemachen in großem Stil kurzfristig noch dramaturgisch aufgenommen hat mit dem Ziel, die Perspektivlosigkeit der Geschichte noch zu verstärken. Dies ist für mich die einzige stilistische Entscheidung die ich nicht für glücklich halte. Die soziale Aussichtslosigkeit der Situation ist schon groß genug, es bedarf nicht noch zusätzlich einer äußeren Katastrophe. Aber sie findet auch mehr im Hintergrund statt und stört nicht.
Schauspielerisch ist HIMIZU so intensiv dass man sich manchmal in einer Dokumentation wähnt. Dies gilt insbesondere für die beiden jungen Darsteller, die trotz aller Gegensätze für eine hohe Identifikation beim Zuschauer sorgen auch wenn Regisseur positive Gefühle für eine Person immer wieder durch unangenehme Szenen bewusst zu zerstören versucht. Es gibt unzählige Schlägereien im Laufe der Handlung. Oft herrscht ein bösartiger bis zynischer Humor vor der alle Gefühlsebenen anspricht. HIMIZU provoziert durch seine Szenen und ist laut, roh und brutal und hinterlässt alles andere als ein befriedigendes Gefühl nach dem Sehen.
Er inszeniert derbste Kritik an der Gewalt zwischen den Generationen, der Perspektivlosigkeit des ganzen Landes, Rassismus und Atompolitik und kaum ein Thema wird ausgelassen. Als ob dies nicht genug wäre an depressiven Themen wälzt er sich und seine Darsteller sogar noch im frischen nationalen Trauma des Tsunamis. Shion Sono Werke sind Kennern als Filmperlen bekannt. Von dem dystopischen SUICIDE CIRLE bis zum dem schockierenden GUILTY OF ROMANCE als Abschluss der sogenannten "Hass-Trilogie gilt er als der Kultregisseur mit der klarsten filmischen Handschrift. HIMIZU ist eine zerstörerische Geschichte ohne Ausweg im Gewand eines klassischen Konzerts…
7,5/10 Punkten