(Regie: Norman Foster; Drehbuch: Orson Welles & Joseph Cotten; USA 1943; deutsche Fassung; 71 Min.)
Alle paar Jahre sehe ich „Journey Into Fear“ wieder - und frage mich jedes Mal, warum er mich so fasziniert.
Was hervorsticht, sind seine merkwürdigen Widersprüche: der schwärzeste, düsterste Stil, den ich in einem Film kenne, kontrastiert mit einer völlig banalen Geschichte. (Die ist übrigens dennoch so konfus, daß sie einen immer wieder aus der Spannung reißt. Und aufweckt: Fast schon Brechtsches, Episches Theater.) Diese - verwirrende - Geschichte handelt davon, daß ein unbescholtener US-Amerikaner (*) unschädlich gemacht werden soll, ist also eine einzige Bedrohungsphantasie: Doch die Bösewichter handeln extrem umständlich (**) und die Geschichte strotzt zugleich vor, so scheint mir, komödiantisch gemeinten Einlagen.
Die dann doch nicht komisch wirken, sondern seltsam. Deplatziert?! Denn für Komik ist das Licht zu düster und die Geschichte ein zu bedrohlicher Alptraum. Der Effekt ist, daß ich mich ständig wundere: „Was soll das?“ (***). Aber Fragen an einen Film sind schon ein Merkmal für Qualität.
Warum sieht man z.B. Joseph Cotten als Howard Graham minutenlang ein Versteck für seinen Revolver suchen? Der Revolver wird dann sofort von den Widersachern entfernt: Ist die Suche komödiantisch gemeint, oder zeigt sie die völlige Hilflosigkeit des „Helden“, seine Schutzlosigkeit, die den Alptraum verstärkt? Allein diese Suche ist wie ein Alptraum: Eine unwirklich kleine Kabine, wie geschrumpft, die nicht einmal eine Ablage für ein kleines Gepäckstück (den Revolver) bietet: Die unzweckmäßige Kabine wirkt im Film wie ein Gesicht ohne Augen, ein trockener Wasserhahn, ein Tunnel ohne Ende: Ein typisches Alptraumszenario.
So wirkt Grahams gesamte Schiffsreise: Ein undurchschaubares Labyrinth von finsteren, verschachtelten Gängen, Ecken, Winkeln, Treppen und bizarrem Personal. Ununterscheidbar allesamt durch die Dunkelheit des Ortes und in den Gesichtern, die überraschend kommen und gehen, aus dem Dunkel auftauchen und wieder dort verschwinden. Oft sieht man die Augen nicht (****), oft sind nur kleine Flecken des Bildes hell, der große Rest bleibt schwarz. Oder die Kamera fährt ins Schwarze. Die Frage stellt sich: Wozu sieht man, in einem Hollywoodfilm von 1943, Bilder mit so wenig Informationsgehalt, geradezu l’art pour l‘art? Sie erscheinen assoziativ gewürfelt, wieder der Logik eines Traums folgend. Das tun auch die Dialoge und Gesprächsfetzen mit den seltsamen Mitreisenden; deren Erzählungen oder die Annäherungsversuche (falls es welche sind!) der geheimnisvollen Tänzerin in der Leoparden-(!)Haut. Will sie ihn verführen? Oder verspeisen? Oder nur reden?
Die Dialoge mit der Tänzerin werden jedenfalls „romantisch“ inszeniert und widersprechen so einerseits Grahams Status als glücklich verheiratetem Ehemann und andererseits seinem bedrohten Zustand „auf der Flucht“. Diese Episoden finden auch keine Fortsetzung, nur einen Abschied.
Bewußt inszenierte Irritationen? Hinweise auf eine ausführlichere, aber geschnittene Romanze? (*****) Oder Unvermögen des relativ unbekannten Regisseurs Norman Foster? (Der zwar - dank „Journey Into Fear“ - meine und Orson Welles Hochachtung [„Norman Foster, who was a great friend of mine“] genießt, aber sicher nur wenig zum offiziell bekannten Filmkanon beigetragen hat.)
Ein Gutteil der Wirkung von „Journey Into Fear“ verdanken wir jedenfalls Karl Struss, dessen hypnotisches Licht ich nicht genug preisen kann. Diesem Hollywood-Veteranen, geboren 1891, eine Zeitlang ständiger Kameramann von D.W. Griffith, gelingen auch in „Journey Into Fear“ fast schon abstrakte, surreale Bilder und elegante Kamerafahrten, die mich noch jedes Mal in ihren Bann zogen; sie gipfeln in der waagrechten Kranfahrt am Hotelsims entlang, während Graham um sein Leben kämpft und ein gewaltiger Starkregen auf die Beteiligten niederprasselt - schimmernd beleuchtet von Struss, am beeindruckendsten in den Einstellungen aus Obersicht, wo die Regenfäden wie Leuchtspur in den Hintergrund des Bildes perlen.
Darüber hinaus trägt wohl vor allem zu meiner Faszination bei: „Journey Into Fear“ mit seiner Alptraumlogik erinnert durchgehend an das Werk von Franz Kafka (******).
Orson Welles, Co-Autor von „Journey Into Fear“, hat auch Kafkas „Der Prozeß“ verfilmt (allerdings 1962, knapp 20 Jahre später), der mit den Worten beginnt: „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgen verhaftet.“
Solche Überraschungen durch bedrohliche Mächte, die Josef K. im ganzen Roman widerfahren, begleiten auch Howard Graham auf seiner „Journey Into Fear“. Ständig wird er überraschend verhaftet, verschickt, mit dem Tod bedroht, als ansteckend bezichtigt, aus dem Nichts/Dunkel heraus angesprochen und erschreckt. Ständig ist er willenloses Opfer und Objekt einer unerklärlichen Umwelt, selbst wenn sie harmlos ist. Diese Opferrolle teilt er mit den meisten Figuren Kafkas („Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. [...] ‘Was ist mir mir geschehen?‘, dachte er.“). Kafkas Figuren werden, wie Graham, auch gern mal von einer höheren Instanz, einer Autorität verlacht (Graham wird zweimal vom Kapitän laut schallend ausgelacht), vermögen nicht zu kommunizieren (Graham im „Gespräch“ mit dem Kapitän), werden in Diskussionen über den Tod verwickelt, von mysteriösen Frauen in Versuchung geführt und fallen durch ihren naiven Eifer auf.
All diese Punkte erklären vielleicht meine exorbitant hohe Bewertung, zu der schließlich noch die merkwürdigen Schwächen des Films beitragen. Denn oft erregen makellose Filme weniger Aufsehen.
(*) Doch ist der Amerikaner eigentlich unbescholten? Schließlich arbeitet er für eine Waffenfabrik, ist also einer der „Händler des Todes“, die 1943 halfen, halb Europa in Schutt und Asche zu legen. Aber dann (Widerspruch) ist er doch wieder unbescholten, durch seine völlige Naivität (wie sich die US-Amerikaner im Film damals gerne zeichneten, im Unterschied zu den gemein berechnenden Nazi-Bösewichtern) und durch seine Anwesenheit auf der „guten“ Seite, die gegen die bösen Nazis kämpft.
(**) Warum eigentlich wird er nicht einfach umgebracht? Worauf warten die Bösewichte? Warum kann er so ungehindert entkommen? Die Handlung des Films besteht daraus, daß Graham in Gegenwart seiner Feinde in Angst und Schrecken lebt. Seltsamerweise bleibt er so lange verschont, bis er sich aus der Gefahr retten kann. Merkwürdig. Ist das Thema des Films vielleicht: Dasein voller Angst, Bedrohung und Schrecken?
(***) Ich denke, es handelt sich dabei oft um den berüchtigten „kafkaesken“ Humor (zu Kafka siehe weiter unten), der nur wenigen Menschen einleuchtet. Franz Kafka selbst fand z.B. seinen Roman „Der Prozeß“ sehr lustig, worin ihm nur wenige Leser zuzustimmen pflegen.
(****) Musterbeispiel ist natürlich Banat, der beunruhigende kleine Bösewicht, der zu klassischer Musik aus dem Grammophon seine Pistole vorbereitet, eine dickliche Figur mit monströsen Brillengläsern, die immer von irgendwo Licht einfangen, dessen Reflexe ihn augenlos erscheinen lassen, dessen Gesicht obendrein ständig von seiner tiefen Hutkrempe verdeckt wird, der außerdem nie spricht und sich fast nie bewegt, nur schleichend, wie schwebend, Lauerposten einnimmt oder verläßt. Als er gegen Ende in Mrs. Grahams Hotelzimmer die förmliche Geste des Händeschüttelns ausführt, seltsam ungelenk, erschrecke ich: Eine so alltägliche, menschliche Handlung widerspricht seiner ganzen Erscheinung (die danach, im Regen, tatsächlich ihres Gesichtssinns beraubt ist).
(*****) Orson Welles äußert sich über den Schnitt des Studios wie folgt: „That picture was also ruined by the cutting. It was horrible what they did with it [. ..] you could hardly even call it cutting - you know, run through a broken lawnmower [Rasenmäher]“ .
(******) Orson Welles spricht mir mit „I like Kafka very much“ aus der Seele.
Zitate aus „This is Orson Welles“ (Welles/Bogdanovich) und Franz Kafkas Sämtlichen Werken.