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Der geschiedene Andreas Winkelmann (Max von Sydow) lebt zurückgezogen auf einer spärlich bewohnten Insel. Eines Tages begegnet er der traumatisierten Anna (Liv Ullmann) - der Beginn einer komplizierten Beziehung zwischen ihm, ihr und ihrem befreundeten Ehepaar Eva (Bibi Andersson) und Elis (Erland Josephson). Verschärft werden die mit der Zeit aufbrechenden Konflikte durch einen grausamen Tierquäler, der auf der Insel sein Unwesen treibt.

Der Abschluss von Ingmar Bergmans Faröer-Trilogie ist eines seiner stärksten und intensivsten Werke: Mit streng geführter Kamera seines langjährigen Stammkameramanns Sven Nykvist, ausgefeilter Licht- und Farbdramaturgie, die das Geschehen in ausgeblichene Farben taucht, und einem quasi nicht vorhandenen Score, dessen minimalistischer Einsatz die quälende Atmosphäre ungeheuer intensiviert, verwandelt er seinen zweiten Farbfilm nach „Ach, diese Frauen" in ein stellenweise atemberaubend fesselndes Psycho-Kammerspiel, in dem nach und nach die seelischen Verwundungen und Verwerfungen seiner Agierenden bloßgelegt werden.

„Passion" wird dabei vor allem durch zwei Elemente definiert: tiefe Stille und lange, anspruchsvolle Dialoge. Immer wieder beobachtet man die Figuren bei ihren schweigenden Handlungen - etwa gleich zu Beginn, wenn Andreas an seinem beschädigten Dach arbeitet und bis auf einen kurzen Erzählerkommentar aus dem Off mehrere Minuten nichts zu hören ist. Diese wiederholten Sequenzen der Stille, die durch den beinahe völligen Musikverzicht noch verstärkt werden, wechseln ab mit langen Dialogpassagen, in denen Bergman seine größte Stärke genial ausspielt. Aus kurzen, realistisch kargen Gesprächen zwischen Inselbewohnern werden philosophisch-elitäre Diskussionen am Essenstisch zwischen den vier Bekannten und schließlich schmerzhaft offene Geständnisse und Streitereien, in denen die Agierenden rücksichtslos ihre eigenen und gegenseitigen Traumata offenlegen. Das vollzieht sich immer wieder in enormen Nahaufnahmen, bei denen die Gesichter der Sprechenden mitunter bildfüllend zu sehen sind - was wiederum nur dank der hervorragenden Darstellerleistungen funktioniert. Ob von Sydow, Ullmann, Andersson oder Josephson - die vier Darstellenden, die mehrfach mit Bergman gedreht haben, geben hier einige ihrer besten und intensivsten Leistungen. Mit ausgefeiltem Mimikspiel, in dem jede noch so kleine Regung Hinweise auf die verborgenen psychischen Verformungen gibt, wecken sie ihre vom Leben angeschlagenen Figuren zum Leben. Dadurch werden ganz verschiedene Szenen gleichermaßen atemberaubend intensiv - etwa eine vor knisternder Spannung schier explodierende Verführungsszene oder zum Ende hin drastisch eskalierende Streit- und Kampfsequenzen. Mehrfach kann der Zuschauer hier wahrlich das Atmen vergessen.

Darüber hinaus zeigt Bergman hier wie nur in den besten seiner Filme, wie brillant er sämtliche Ebenen filmischer Erzählung zu einer nahezu perfekten Einheit verbinden kann. Viele Szenen gewinnen vor allem deshalb eine so ungeheuerliche Intensität, weil sie gleichzeitig auf mehreren Ebenen ablaufen: Intensive Dialoge zwischen stark geführten Darstellenden werden in streng durchkomponierte Bilder eingefangen, deren Farb- und vor allem Lichtgestaltung auf bildästhetischer Ebene oft genug metaphorische Rückschlüsse auf die Seelenlandschaft der Charaktere zulässt. Und so still und langsam der Film auch inszeniert ist, schockiert er mitunter durch plötzlich hereinbrechende Eskalationen, etwa unvorhersehbare Bilder einer blutig massakrierten Schafherde oder die finalen Duelle zwischen Andreas und Anna.

Eine weitere metaphysische Ebene wird dabei eröffnet, indem alle vier Hauptdarstellenden die fiktive Handlung unterbrechen, um in kurzen Monologen über ihre Figuren zu reflektieren - eine Durchbrechung der vierten Wand und ein Spiel mit filmischer Fiktion, wie sie Bergman etwa auch in „Persona" radikal inszeniert hatte. Und nicht zuletzt fesselt das Werk auch einmal mehr mit seiner so schwermütigen wie tiefgründigen Erkundung gescheiterter Lebensentwürfe. Alle Figuren in „Passion" finden sich in der Mitte ihres Lebenswegs in einer Wildnis wieder, die sie nie erkunden wollten und aus der sie keinen konstruktiven Ausweg zu finden vermögen. Die gegenseitigen Verletzungen, das wird klar, werden als hilflose Akte der Aggression aufgrund eigener Angst und Schmerzen ausgeführt. Die subtile Art, auf die dabei jede der Figuren als nicht unbedingt umfassender Sympathieträger inszeniert wird, ist tief beeindruckend. Allein in tiefenpsychologischer Hinsicht gibt es hier unendlich viel auszuloten.

„Passion" ist mit seinen brillanten Darstellern und Darstellerinnen, einer sich langsam aufbauenden, aber immer wieder drastisch eskalierenden und tieftraurigen Geschichte, bei aller Einfachheit des ländlich-ärmlichen Settings hochästhetischen Bildkompositionen und enorm packenden Dialogduellen einer der intensivsten, zeitweise atemberaubend spannenden Filme Ingmar Bergmans und ein tief berührendes Meisterwerk über den Schmerz, die Trauer und die Traumata tragischer Lebensentwicklungen. Ein unbestreitbarer Höhepunkt in Bergmans an Höhepunkten nicht armem Oeuvre.

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