Review
von Alex Kiensch
Die Hausfrau und Mutter Karin (Bibi Andersson) trifft zufällig den Archäologen David (Elliott Gould). Nach anfänglichem Zögern lässt sie sich auf eine stürmische Affäre mit ihm ein, um der Eheroutine mit ihrem Mann (Max von Sydow) zu entkommen. Doch auf Dauer kann die Dreiecksbeziehung nicht funktionieren...
Die US-schwedische Co-Produktion markiert in gewisser Weise den Übergang von Ingmar Bergmans frühem Schaffen zu seinem Spätwerk. So ist „Berührungen" trotz zahlreicher typischer Bergman-Elemente sowohl inhaltlicher (die intensive Psycho-Studie einer Frau und ihrer unterdrückten Emotionen) als auch formaler Natur (einige seiner Stammschauspieler Andersson und von Sydow, Kameramann Sven Nykvist, zahlreiche intime Großaufnahmen auf Gesichter und wiederholte Kameraspiele mit dem Einsatz von Spiegeln) ein insgesamt wirklich außergewöhnliches Werk in seinem Oeuvre.
Zum Beispiel durch den Einsatz von Farbe, dem sich Bergman nach seinem Misserfolg mit „Ach, diese Frauen" ja lange Jahre verweigerte. Aber nicht nur die Farbdramaturgie, sondern vor allem die Beleuchtung macht „Berührungen" so ungewöhnlich für den schwedischen Meisterregisseur: Trotz der ernsten Handlung vermittelt der Film insgesamt ein eher positives Lebensgefühl, hervorgerufen durch lichtdurchflutete Bilder, helle Wohnungen mit weißen Wänden und weite Räume, in denen sich die Figuren leicht und unbeschwert bewegen können. Keine Spur von den verwinkelten, mittelalterlich engen Räumen uralter Hütten aus den meisten seiner früheren Filme. Auch der verspielte Score, der sich beinahe in Micky-Mousing-Manier an den aktuellen Gefühlszuständen der Protagonisten orientiert und so immer wieder fröhlich-quirlig vor sich hin trällert, fällt auf. Hinzu kommen vor allem in der ersten Hälfte einige interessante Schnittexperimente, die Figuren beinahe fließend in unterschiedliche Szenen hineingleiten lassen - so verlässt Andersson in einer Szene nach links das Bild und kommt durch den Cut quasi im selben Augenblick von links wieder herein. Das alles macht „Berührungen" zu einem formal spannenden Stück, das auch nach mehrmaligem Sehen noch Details entdecken lässt.
Faszinierenderweise passt diese beinahe verspielte Inszenierung aber hervorragend zu der eher ernsten, mitunter düsteren Handlung. Die Psycho-Studie einer Frau, die erst durch die Begegnung mit dem Außergewöhnlichen merkt, wie sehr sie ihr eigenes Leben langweilt, ist (wie üblich) äußerst komplex und vielschichtig angelegt. Die Beziehung zu ihrem Mann etwa ist keinesfalls unglücklich - man kann den beiden Partnern im Umgang miteinander höchstens etwas zu viel Routine vorwerfen; die Liebe fehlt deshalb keinesfalls. Gerade das macht den inneren Konflikt dann aber umso intensiver und schwieriger und hält auch den Zuschauer über die gesamte Laufzeit bei der Stange. Von allen drei zentralen Darstellern wird das hervorragend gespielt, wobei neben Andersson vor allem Gould durch die Extrovertiertheit seines Charakters hervorsticht. Andererseits dürfte die größte Gänsehautszene ganz klar von Sydow gehören - als er in unendlicher Ruhe mit seinem Kontrahenten spricht und erklärt, dass er ihre Affäre entdeckt hat, und dabei unendlich traurig und trostlos aussieht. Eine in ihrer großen Ruhe ungeheuer intensive Szene!
„Berührungen" entpuppt sich bei näherem Hinsehen trotz einiger formaler Besonderheiten als typisches Bergman-Werk. In wohlkomponierten, klaren Bildern und gestochen scharfen Dialogen entwirft er ein Seelen-Drama von enormer Tiefe und Komplexität, das alle Figuren gleichermaßen ernst nimmt und ihnen Wohlwollen und Verständnis entgegen bringt. So bleibt es letztlich am Zuschauer, die moralischen Dilemmata der Agierenden zu bewerten. Bergman selbst zeigt und analysiert nur, und das mit der ihm eigenen Meisterschaft. Ein emotionales, kluges Werk, das bei aller Helligkeit und Fröhlichkeit der Bilder Raum lässt für die schwierigen Seiten des Menschseins - ein weiterer großer Wurf.