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Ein Schauspieler-Trio muss sich wegen einer gewagten Nummer vor einem Untersuchungsrichter verantworten. Begegnen sich die beiden Parteien anfangs noch mit ausgesuchter Höflichkeit, eskaliert bald ein erbitterter Kampf zwischen den Künstlern und dem Richter, aber auch innerhalb der scheinbar so eingeschworenen Truppe. Nach und nach wird klar, dass die freie Existenz der drei am Rande des Zusammenbruchs steht.

Mit "Der Ritus" formulierte Schwedens Meisterregisseur Ingmar Bergman einen bitterbösen Kommentar zum Konflikt zwischen bürgerlicher Lebensweise und dem Streben nach künstlerischer Freiheit. Erstaunlicherweise kommen dabei die Künstler wesentlich schlechter weg als der einfache Bürger, der stur den gesellschaftlichen Konventionen, seinen Befehlen und Vorschriften folgt. Die drei Schauspieler, in ihrer Sucht nach persönlicher und künstlerischer Freiheit, entwickeln sich zu tyrannischen Egomanen, die von neurotischen Schüben und extremer narzisstischer Arroganz geprägt sind und sich einen Spaß daraus machen, einander so verletzend und demütigend wie möglich zu begegnen. Bemüht sich der Richter anfangs wirklich, seine strengen Vorschriften mit einem Höchstmaß an Verständnis und Rücksichtnahme zu kombinieren, begegnen ihm die drei Künstler, jeder auf seine Art, mit höchster Aggressivität: Sebastian, der rücksichtslose, wilde Schauspieler, der ein Verhältnis mit der Frau seines Kollegen hat, greift ihn an und beleidigt ihn aufs Schlimmste; Hans, sein Kollege, bemüht sich um formale Höflichkeit, entblößt sich aber durch einen plumpen Bestechungsversuch; und Thea, die junge Frau, die von allen Männern begehrt wird, gibt die unter Neurosen und Hysterie leidende Dame in Not, unter deren zerbrechlicher Oberfläche aber immer wieder die Kälte durchscheint, mit der sie mit den Männern spielt. Hier zeigt sich die Kunst von ihrer schlimmsten, nämlich von ihrer zerstörerischen und egoistischen Seite.

Dieses wie so oft bei Bergman psychologisch äußerst komplex gestaltete Kammerspiel mit vier Personen entwickelt nach einem etwas irritierenden Start eine ungeheuer intensive Atmosphäre. Zu verdanken ist das einerseits der Besetzung, die ihre Rollen mit so viel Energie und Leidenschaft gibt, dass man bald jeder noch so kleinen Handlung der Figuren gebannt folgt. Auch die schlichte Inszenierung, die mit theaterhaft kargen Kulissen, wenigen Requisiten und nur einer Handvoll Handlungsorten auskommt, lenkt die Konzentration voll auf das Spiel der Agierenden. Zuletzt bleibt auch die Musik äußerst zurückhaltend und wird nur punktuell eingesetzt. Hier beweist Bergman, wie man mit vergleichsweise geringem technischem Aufwand einen fesselnden und immer spannender werdenden Film kreieren kann.

Seine Abrechnung mit fragwürdiger Kunstauffassung, die sogar Alltagsdinge kontrolliert, ist auch permanent mit christlichen Anspielungen und Zitaten durchsetzt. Eine Kunst, so die Erkenntnis, die hier subtil und doch allgegenwärtig zutage tritt, eine Kunst, die mit solchen Mitteln umgesetzt wird und die als Begründung für die Verachtung Andersdenkender missbraucht wird, unterscheidet sich kaum von den Manipulations- und Unterdrückungsmechanismen der Kirche. Bergman, Sohn eines Pfarrers und jahrzehntelang am Theater aktiv, wird wissen, wovon er spricht. In diesem Sinne erlangt auch der unvermittelt hereinbrechende Schluss, in dem die Brutalität und Kaltblütigkeit der drei Künstler noch einmal unterstrichen wird, einen verständlicheren Sinn.

Formal weit von Ingmar Bergmans kühnsten Werken, wie etwa "Persona" oder "Die Stunde des Wolfs" entfernt, entfaltet "Der Ritus" durch seine inhaltliche Stringenz, die psychologische Komplexität und die bis zur Schmerzgrenze intensiv agierenden Darsteller dennoch eine durchgehend dichte Atmosphäre, die in manchen Szenen den Atem stocken lässt. Ein fesselndes, schwieriges, aber unbedingt sehenswertes Meisterstück!

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