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Der schwedische Spionage-Thriller „Menschenjagd" ist ein kleines Kuriosum der Filmgeschichte: In einer seiner wenigen Auftragsarbeiten weicht der spätere Meisterregisseur Ingmar Bergman von seinen üblichen Topoi (den inneren Verwerfungen des menschlichen Seins in all seinen Formen) ab und erzählt eine recht geradlinige - und leider auch konventionelle - Geschichte um eine geheime Nazi-Gruppe, die in einem fiktiven Land kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Jagd nach abtrünnigen und verräterischen Emigranten ist.

Der wohl einzige Kriminalfilm in Bergmans Karriere weicht nicht nur von seinen üblichen Themen ab. Auch inszenatorisch ist er kaum als Bergman-Film zu erkennen: Die Kamera bleibt unspektakulär und fängt das Geschehen in professionelle, doch zu keinem Zeitpunkt originelle Bilder ein; der Score wirkt an vielen Stellen bemüht dramatisch und erzeugt eine typische Krimi-Atmosphäre der 40er- und 50er-Jahre; und die Schauspieler bleiben in den meisten Szenen wenig überzeugend und viel zu steif. Nur in zwei Sequenzen - einem grausamen Dialog zwischen zwei Ehepartnern und einem ironisch geführten Streit um eine Waffe zwischen Nazi-Agent und Polizist - scheint ein wenig von Bergmans gewohnter Schauspielerführung und Dialogstärke durch. Auch die tragische Geschichte der unverhofft zur Hauptfigur werdenden Vera, die einen Nazi-Agenten geheiratet hat, damit dieser ihre Eltern beschützt, lässt hin und wieder Spuren von tiefgründiger Lebens- und Schicksalsphilosophie durchschimmern.

Doch insgesamt bleibt „Menschenjagd" ein weitestgehend durchschnittlicher Agentenreißer. Das liegt neben der wenig beeindruckenden formalen Inszenierung auch und vor allem an der zu gemächlich voranschreitenden Story. Die erste Filmhälfte ist geprägt durch zahlreiche Dialoge und viele dicht nacheinander eingeführte Figuren, deren Identität und Verhältnis untereinander lange recht unklar bleibt, was sowohl dem Spannungsfluss als auch dem Verständnis des Zuschauers keine Hilfe ist. Wenn sich der Film dem Schluss nähert, gibt es dann etwas mehr Oberflächen-Aktion, die allerdings selbst für ihre Entstehungszeit ziemlich unspektakulär bleibt - eine benommene Chaos-Autofahrt, einige kleine Verfolgungsjagden, ein kurzer Faustkampf, eine Schiffsdurchsuchung. Selbst die Verhörszenen durch brutale Nazi-Agenten bleiben lahm, weil die behauptete Folter eben nur behauptet und in keiner Weise inszeniert wird. So wird der Film zu einem austauschbaren Agenten-Krimi-Vehikel, das seine politische Unterfütterung nur in wenigen Szenen ganz kurz anreißt - wenn mehrfach wiederholt wird, dass die skandinavische Bevölkerung sich in dem gefährlichen Irrglauben wiege, „hier könne so etwas nicht geschehen" - und das von der formalen wie inhaltlichen Intensität etwa eines Fritz Lang-Nazi-Spionage-Films ganz weit weg bleibt.

Es gibt einige wenige erwähnenswerte Höhepunkte, neben den bereits erwähnten Dialogszenen etwa eine drastisch endende Verfolgungsjagd zu Fuß, doch insgesamt breitet sich hier nach einiger Zeit gähnende Langeweile aus, was auch an der nicht immer geglückten Auflösung mysteriöser Figuren und ihrer Verhältnisse zueinander liegt. Insgesamt fällt es dem Zuschauer recht schwer, in der etwas wirr konstruierten Geschichte den Überblick zu gewinnen. Dazu kommen dann die zu langatmige Dramaturgie und die wenig fesselnde Inszenierung.

„Menschenjagd" ist ein klarer Beweis dafür, dass Bergman sich lieber auf keine Genre-Experimente einlassen sollte - oder wenn, wie etwa in seinem späteren „Die Stunde des Wolfs", dann nur mit Schwerpunkt auf seinem Stammgenre, dem Seelen-Drama. Für Liebhaber ist der Streifen immerhin eine kleine Skurrilität, für echte Spannung und Unterhaltung, ganz zu schweigen von Politik- oder Gesellschaftskritik, reicht es hier aber bei weitem nicht.

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