*** Die folgende Kritik enthält Spoiler über den Handlungsverlauf ***
Am Himmel der Tag Deutschland 2012
Wir sind in Berlin. Es geht um die junge Studentin Lara. Sie wohnt mit Nora zusammen. Beide studieren dasselbe Fach. Sie verbindet eine Freundschaft, manchmal wohl auch etwas mehr. Das Leben nimmt die Hauptprotagonistin Lara nicht so schwer. Neben Studium bleibt viel Zeit zum Feiern. Die Ausgangslage ist also schnell erzählt und nicht sonderlich innovativ, aber es wird besser.
Auf einer Party erkennt Lara ihren Dozenten wieder. Erst verwundert, kommt sie mit ihm ins Gespräch. Der Film vermittelt den Eindruck, dass Lara sehr an ihm interessiert ist und er gleichwohl nicht abgeneigt. Doch es kommt anders. Beide verlieren sich aus den Augen. Lara, bereits trinkend, nimmt daraufhin im Club MDMA und ist auf der Suche. Sie wird fündig in einem Barkeeper und hat mit ihm ungeschützten Sex. Währenddessen sich Nora und der Dozent näher kommen.
Soweit so gut. Natürlich kehrt sie zermatscht und schlafbedürftig zu sich nach Hause zurück. Nachdem etwas Zeit vergangen ist, verspürt Lara Schmerzen im Unterleib. Sie geht zu einer Gynäkologin. Die spricht aus, was für Lara undenkbar ist: sie ist schwanger.
Bisher hörte sich das alles sehr konventionell und arg vorhersehbar an. Stimmt auch. Für das Drehbuch wird es wohl auch keine Preise vom Himmel regnen, aber die Schauspieler machen wirklich das Beste daraus. Sie agieren authentisch und haben Format. Sie sind nicht auswechselbar, wie man es erst von dem Plot erwarten mag, zumal der auch noch ein paar Wendungen zu bieten hat, wobei diese nicht allzu spektakulär ausfallen. Um zurückzukommen, der Film wird durch seine Darsteller getragen. Und dieses Gewicht stemmen sie gut.
Lara durchgeht nach dem Wissen um ihre Schwangerschaft ein Wechselbad der Gefühle. Sie vertraut sich zuerst ihrer Freundin Nora. Nora ist direkt begeistert, bei Lara dauert es länger, bis sie sich mit diesem Gedanken zurechtfinden mag. Ein Kind zur Welt zu bringen, würde den Abbruch ihres bisherigen, recht bequemen Lebenswandels bedeuten. Darin besteht auch die Spannung des Films diesen Prozess zu schildern.
Langsam wird aus der Post-Pubertierenden eine Frau, die sich einer Verantwortung bewusst wird und sich dazu entscheidet diese auch wahrzunehmen. Symbolisch ausgedrückt in Form des Wegkippens diverser Schnapsflaschen. Sie beschließt ein neues Leben anzufangen, trotz oder gerader wegen der nicht so guten Prognosen. Sie verfügt über kein eigenes geregeltes Einkommen und hat keinen Kontakt zum Vater. Doch diesen Hindernissen begegnet sie mit Esprit und freudiger Initiative. Sie bereitet alles vor für ihr kommendes Kind. Es stellt sich bei Lara ein Glücksgefühl ein. Sie ist zufrieden.
Zu der Zeit freuen wir uns als Zuschauer über die recht schnell erfolgte, aber gut bebilderte und gespielte Wandlung der einstigen Clubgängerin zur werdenden Mutter. Man freut sich mit ihr. Doch es muss noch etwas passieren: das Kind ist nicht gesund. Es treten Komplikationen während der Schwangerschaft auf. Das Kind ist tot im Mutterbauch, doch Lara will dies nicht akzeptieren.
Ab dem Zeitpunkt hat der Film tatsächlich das Prädikat „Drama“ verdient. Lara hatte sich durch Bestellung einer Wiege, aber auch durch ihr Auftreten und Handeln ganz der kommenden Muterrolle verschrieben. Nun kommt plötzlich dieser Hieb und sie taumelt, aufgrund seiner Wirkung. Sie wirkt wie betäubt, ja sogar geistesabwesend. Sie kann diese Nachricht nicht verarbeiten. Für sie bricht eine Welt zusammen. Die angeratene Operation, um das tote Kind zu entnehmen, nimmt sie nicht wahr. Stattdessen besucht sie ihre Eltern. Diese haben selber enorme Beziehungsprobleme, machen allerdings auf heile Welt. Sie fühlt sich dort sehr verloren und einsam, obwohl Feierstimmung im Hause vorherrscht. Sie ist nicht im Moment und kann sich niemandem mitteilen. Auch der Freundin Nora erzählt sie nichts von dem toten Kind in ihrem Bauch.
Diese innere Zerrissenheit zwischen Illusion und Wahrheit, zwischen erwartetem Glück und tatsächlicher Trauer wird recht eindrucksvoll durch die Hauptdarstellerin Aylin Tezel präsentiert.
Lara will ihr neu gefundenes Glück, ihren neuen und vielleicht ersten richtigen Lebenssinn nicht verlieren. Sie klammert sich daran, baut eine Krippe auf. Doch das Ende ist unabwendbar. Bevor es dazu kommt, besucht Lara den gemeinsamen Dozenten von ihr und Nora, den sie bereits auf der ursächlichen Party näher kennen gelernt hatte. Zwischenzeitlich sind Nora und dieser zusammen gekommen. Sie betrinkt sich in dem Rahmen, fragt den Dozenten, warum er nicht auf ihr Werben eingegangen ist, sie sagt, in dem Falle wäre alles besser gekommen und bedrängt ihn. Dieser lehnt ab und sie bricht im Anschluss zusammen. Die Realitätsverkennung hat ein Ende. Das tote Baby wird aus ihr herausgeholt.
Der Pluspunkt an dem Film sind die natürlichen und ungezwungenen Darsteller des Films. Allesamt nicht sehr bekannt in Kinoproduktionen. Sie haben sichtlich Freude an ihrem Spiel und setzen die vom Drehbuch gesetzten Maßstäbe toll um. Ohne sie wäre der Film nicht einmal halb so gut. Lara und ihre Verwandlung wird glaubhaft inszeniert. Auch diese Wandlung erfährt einen runden Rahmen, der es dem Zuschauer ermöglicht daran teilzuhaben und Empathie für den Werdegang von Lara zu entwickeln.
Der Film krankt jedoch an seine Ambitionen. Er will zu viel und das in einer doch kurzen Spielzeit. Einige Handlungspassagen, wie dem mit dem etwas sonderlichen Mieter im gleichen Haus, erscheinen mir als überflüssig. Zwar mag dies Laras Suche nach echter Nähe verdeutlichen, doch wird diesem Handlungsstrang zu viel Zeit bemessen. Darüber hinaus finde ich das Beziehungsspiel zwischen Nora und dem Dozenten etwas überladen. Dem Film hätte an einigen Stellen die Ruhe gut getan, zu dem er am Ende findet. Am Anfang wirkt die Schilderung auch etwas hektisch, wobei niemals der Faden verloren wirkt. Es sind also keine klare Punkte, die das Filmvergnügen erheblich stören. Trotzdem hätte eine umfassendere Beschäftigung mit Laras Wandel nicht geschadet. Es bleibt ein berührender, ernstzunehmender, schmucker Film, der seine Hauptfigur alles andere als anmaßend in Szene setzt.
8/10