Ein alter Bettler, der gegen Bezahlung für die Leute betet, und seine blinde Ehefrau haben ihre beiden zwölfjährigen Zwillingstöchter Zahra und Massoumeh seid deren Geburt im Haus eingesperrt gehalten. Die Kinder haben nie mit gleichaltrigen spielen oder zur Schule gehen können, sind unterernährt, ungewaschen, körperlich unterentwickelt und kaum der Sprache mächtig. Die Nachbarn machen das Sozialamt darauf aufmerksam, die Mädchen werden ihren Eltern weggenommen und erst wieder zurückgegeben, als diese versprechen, besser für sie zu sorgen.
Ein paar Tage später schaut eine Sozialarbeiterin vorbei, muss aber feststellen, dass die Kinder wieder eingesperrt sind. Sie fackelt nicht lange rum: Die Mädchen lässt sie frei, die Eltern hingegen sperrt sie ein. Es mag etwas gedankenlos sein, Zahra und Massoumeh einfach so ohne Aufsicht auf die Strasse zu lassen, aber den beiden passiert ja nichts, stattdessen erfreuen sie sich an ihrer Freiheit und lernen trotz ihrer Unerfahrenheit in zwischenmenschlicher Kommunikation Freunde kennen…
Am Anfang des Filmes steht die „Befreiung“ der beiden Mädchen, die dem Zuschauer durch den Blickwinkel eines Kamerateams näher gebracht wird. Die „billigen“ Video-Bilder geben dem Ganzen etwas sehr Unmittelbares und Dokumentarisches, umso mehr macht die Situation dieser gestörten Familie Eindruck: Der uralte Vater; die blinde Mutter, die ihr Gesicht den ganzen Film über hinter einem Kopftuch versteckt und ihre Umgebung mit Beschimpfungen eindeckt; die beiden Mädchen, die nur wenige Worte beherrschen und Probleme mit der Motorik haben. Dazu noch die teils beunruhigende Tonspur (unverständliches Gemurmel, schräger Gesang) und schon stellt sich ein ungutes Gefühl im Bauch ein…
Als die Kinder aber wieder ihren Eltern zurückgegeben werden, wechselt der Streifen vom Aldi-Camcorder auf, naja, richtiges Filmmaterial ist das auch nicht, sondern immer noch Video oder DV, aber es sieht zumindest teurer, filmischer aus. Auch an die Protagonisten gewöhnt man sich zusehends, wie man sie näher kennen lernt: Die Eltern sind auf den zweiten Blick keine Monster, sondern schlicht und einfach überfordert: Der gebrechliche alte Vater kriegt in seinem Zustand keinen Job und ist den ganzen Tag unterwegs, um seine Familie zu versorgen. Heisst aber auch, dass er nicht auf seine Töchter aufpassen kann; und da er grosse Angst hat, dass diese von irgendeinem Jungen angefasst und dadurch „entehrt“ werden, sperrt er sie halt ein. (Hier zeigt sich an ihm aber auch ein Anflug von religiösem Fanatismus.)
Die blinde Mutter hingegen, welche auf die Mädchen aufpassen könnte, verkriecht sich vor der Aussenwelt, die ihr so feindlich erscheint, wie sie darauf reagiert. Und behält ihre Töchter bei sich in ihrer „Höhle“.
Was die zwei Zahra und Massoumeh antun, ist also nachvollziehbar, wenn auch nicht entschuldbar. Und der eine oder andere mag sogar Mitleid kriegen mit dem Vater, als dieser in der Zeitung liest (der Fall erweckt die Aufmerksamkeit des ganzen Landes), dass er seine Töchter angekettet hätte (was tatsächlich nicht stimmt), und daraufhin in Tränen ausbricht. Oder mit der Mutter, als diese am Ende ganz alleine dasteht und durch die Strasse irrt.
Hoffnung besteht aber vielleicht auch für sie: Sie greift nach einem Apfel, den ein Junge vor ihrer Nase an einer Angel baumeln lässt, wie zuvor eine ihrer Töchter. Äpfel tauchen im Film immer als Wunschobjekt auf; ein Symbol für das Streben nach der Freiheit, nach den „Verlockungen“ der Aussenwelt? (In der Familie selbst gab es zuvor nur Reis oder Fladenbrot.)
Ein etwas kryptischeres Symbol sind für mich die beiden Spiegel, die Massoumeh und Zahra von der Sozialarbeiterin geschenkt bekommen. Sowohl die beiden Mädchen als auch ihre Eltern sehen wir immer wieder mal in diesen Spiegeln eingefangen. Soll das vielleicht das (sprichwörtliche der Mädchen und das übertragene, psychische der Eltern) Eingesperrtsein präsentieren (auch die Gitter und das Tor zum Hof des Hauses weisen auf dieses hin)? Das Erkennen der eigenen Situation?
Aber verlieren wir uns nicht in interpretatorischem Geplänkel, kommen wir zur Inszenierung, die sich, abgesehen vom erwähnten Film-im-Film-Anfang, vornehm zurück hält; sowohl Kameraführung als auch Soundtrack (Filmmusik gibt es kaum, und wenn, dann ist sie meist aus der Handlung heraus motiviert) fallen nicht gross auf. Überhaupt ist der Streifen fortgeschritten unspektakulär und schlägt ein seeehr gemächliches Tempo an: Immer wieder werden uns auch banalste Abläufe ewig lange gezeigt und Szenen über Minuten ausgewalzt, ob nun die Mädchen nach dem Apfel greifen, der Vater versucht, die Gitterstäbe zu durchsägen, oder eines der Mädchen versucht, das Schloss zu öffnen. Regisseurin Samira Makhmalbaf (die hiermit übrigens ihren ersten Langspielfilm ablieferte, damit sogleich international grossen Erfolg hatte – zumindest bei den Kritikern – und heute als grosse Nummer der zweifellos sehr bedeutenden Iranischen Filmproduktion gilt. Sie ist übrigens die Tochter von Mohsen Makhmalbaf, Regisseur von BICYCLERAN oder DIE REISE NACH KANDAHAR) hätte sich durchaus mal etwas beeilen dürfen, so verkommt der Film teilweise zu einer einzigen verdammten Geduldsprobe. So gut gelungen oder anerkennenswert der Rest auch sein mag: Wenn dem Zuschauer beim Gucken sämtliche Füsse einschlafen, läuft etwas falsch…
Tja, was bleibt vom Tage übrig? Die Story ist eindrücklich, die Schauspieler sind glaubwürdig, einen Exotik-Bonus gibt es auch (der Iran ist doch eine recht fremde Welt) und immerhin hat der Film auf internationalen Festivals eine Menge Preise abgesahnt. Aber: Trotz alledem ist der Streifen ein bis zwei Spuren zu unspektakulär und auf jeden Fall um einiges zu langweilig. Schade…