"Dispara!" ist ein herausragend langatmiges und zähes Drama, dem es über weite Strecken nicht gelingt, das emotionale Potential der Handlung auf den Zuschauer zu übertragen. Das Review enthält leichte Spoiler auf allgemeiner Inhaltsebene.
Inhalt: Der Journalist Marco (Banderas) lernt die Zirkusartistin und Kunstschützin Ana (Neri) kennen und lieben. Ana wird eines Tages von drei Männern brutal vergewaltigt und übt im Anschluß an die Tat auf drastische Weise Rache für die Mißhandlung.
Gleich mehrfach wirbt die deutsche MCP DVD Veröffentlichung auf dem Cover mit dem markigen Spruch "Denn wer Gewalt säht, wird Gewalt ernten" für Sauras Film und verweist somit unverhohlen auf den deutschen Titel von Peckinpahs Skandalfilm "Straw Dogs" und die inhaltliche Nähe zu einer der wohl berüchtigsten und kontroversesten Vergewaltigungsszenen der Filmgeschichte. Dabei handelt es sich um einen eher irreführenden Verweis, da beide Filme in Aussage noch Wirkung kaum etwas gemeinsam haben. Wer also aufgrund dieser Assoziation und der Inhaltsangabe falsche Erwartungen aufbaut, darf sich zurecht verladen fühlen. Und: "Dispara!" ist definitiv auch kein klassisches Rape & Revenge Movie. Die entsprechenden Darstellungen bleiben auf einen Bruchteil des Filmes beschränkt.
Positiv ist zunächst die Leistung der beiden Hauptdarsteller hervorzuheben, die zumindest anfangs ein realistisches und glaubwürdiges Bild ihrer Figuren vermitteln, sowie die bodenständige Milieuzeichnung, die sich einmal angenehm von der bunten, glänzenden Seifenblasenoptik diverser Hollywoodproduktionen unterscheidet. Immerhin verzichtet der Film auch auf ein im gegebenen Kontext unglaubwürdiges Happy End.
Dramaturgisch jedoch ist der Film eine einzige Katastrophe und auch storytechnisch bewegt sich das Drama auf sehr, sehr dünnem Eis, welches den Film niemals über 105 lange Minuten trägt. Gut die Hälfte der Spielzeit benötigt der Film für die Einführung und das Anbandeln der beiden Hauptdarsteller miteinander. Die Vergewaltigung und Anas Rache an ihren Peinigern werden schließlich in angenehm wenigen Minuten abgehandelt. Der Film benötigt somit fast eine Stunde, nur um die Ereignisse abzubilden, die dem Zuschauer bereits aufgrund der Inhaltsangabe bekannt sind. Im Grunde hätte dafür eine Viertelstunde gereicht. Nun schließt sich aber noch eine weitere Stunde an, die, stilistisch im Gewand eines Roadmovies, Anas finalen Leidensweg bis hin zum bitteren Ende nachzeichnet.
Somit werden die wenigen Entwicklungen der ersten Filmhälfte (sprich: die Beziehungskiste zwischen Marco und Ana) weitgehend belanglos, da sich der Film bis zum Ende hin Anas traurigem Schicksal widmet. Inszenatorisch wird dies etappenweise abgehandelt, indem einzelne Stationen angefahren werden, die nicht unbedingt schlüssig zum Finale hin führen. Insbesondere das Ende ist selbst unter dem Gesichtspunkt der vorhergegangenen Ereignisse recht haarsträubend und konstruiert. So werden zum Ende noch einmal Figuren in die Handlung eingeführt, die eigentlich ein Schild auf der Stirn mit der Aufschrift "rein funktional" tragen sollten. Deren Verhaltensweisen sind zudem sehr unlogisch, was nicht (wie bei Ana) durch die vorhergegangenen Ereignisse gerechtfertigt wird.
Zugunsten der Spannung erlaubt sich die Inszenierung nun auch einige Patzer, welche die Glaubwürdigkeit der Handlung insgesamt in Frage stellen. Tatsächliche Spannung kommt dennoch nicht auf. Fazit: Selbst die schnöde Kurzweil auf Unterhaltungsebene kommt deutlich zu kurz. Bleibt also lediglich die Frage nach dem Mehrwert, den der Film durch eine möglicherweise anspruchsvolle Auseinandersetzung mit einem sehr heiklen Thema für sich in Anspruch nehmen kann.
Jedoch gelingt es dem Film auch nicht, die Ausnahmesituation und Folgewirkung der Vergewaltigung adequat spürbar zu machen, wodurch die Aktionen und Motivationen von Ana bis hin zum tragischen Ende für den unbeteiligten Beobachter zwar trügerisch nachvollziehbar scheinen, sich emotional jedoch nicht auf ihn übertragen. So entsteht eine Distanz zu den Ereignissen, wodurch ein echtes Mitleiden oder Mitempfinden schwer fällt und Verständnis für das Opfer eher auf einer nüchtern-rationalen Ebene entsteht. Dadurch werden aber nicht das Trauma, das Leid und die Verzweiflung nach der furchtbaren Tat begreifbar, sondern lediglich oberflächliche Begründungen für Anas Verhalten geliefert und somit für ihr Scheitern, die erlittenen Verletzungen physisch und psychisch irgendwie überstehen zu können.
Ergo erweitert der Film nicht den Horizont des Zuschauers, der (hoffentlich) glücklicherweise niemals am eigenen Leib den Horror einer entsprechenden Ausnahmesituation erfahren musste, sondern bestätigt nur das vermeintliche Verständnis der Situation eines Gewaltopfers - ein Verständnis, das sich in mehr oder weniger abgedroschenen Schlagworten und Bildmustern erschöpft. Das allmähliche Zerbrechen eines Menschen als Reaktion auf die Traumatisierung durch extreme Gewalt. Die tatsächliche Entfremdung des Opfers aber, das die vertraute, heile Welt für immer verlässt, wird dadurch weder spürbar, noch begreifbar.
Als reine Unterhaltung ist "Dispara!" ein überwiegend langweiliger und somit überflüssiger Beitrag. Als Auseinandersetzung mit sehr ernsten und schwierigen Themen (Vergewaltigung, Selbstjustiz) ist der Film schlicht unbefriedigend, da nichtssagend. Daher: 3,5 / 10 Punkten (wobei ein halber Punkt als Bonus für das mutige, weil hoffnungslose Ende zu verstehen ist).