Eines der letzten großen Monumentalepen der Filmgeschichte, eine Biographie über Indiens geistigen Führer Mohandas K. Gandhi, inszenierte Sir Richard Attenborough Anfang der 80er. Nach etlichen Jahren der Recherche, Zeitzeugeninterviews und Genehmigungsersuchungen für Drehorte kam dann 1982 „Gandhi“ in die Kinos und setzte neue Maßstäbe für Filmbiographien.
Attenboroughs Film gibt sich über alle Maßen Mühe, ein wirklichkeitsgetreues Bild Gandhis auf die Leinwand zu bringen: Einen prinzipientreuen Menschen, der energisch und ohne Gewalt für die Sache seines Volkes kämpft, nämlich der Unabhängigkeit seines Heimatlandes Indien von der englischen Kolonialmacht. Doch wie in der Realität ist es auch im Film ein langer Weg bis dahin, ohne dass entscheidende historische Überlieferungen verändert wurden. Den Stoff gab die Geschichte vor und er ist es auch wert, seinen Weg auf die Leinwand zu finden.
Von Anfang an zeigt Attenborough einen Menschen Gandhi, der von seinen Prinzipien und Vorstellungen keinen Millimeter abweicht. Das fängt beim Missachten eines Aufenthaltsverbotes in einem Erste-Klasse-Abteil eines Zuges an und hört beim Fasten gegen den Krieg auf. Und immer hat Gandhi nur das Ziel eines friedvollen Miteinanders der Menschheit und die Gleichberechtigung und Unabhängigkeit seiner indischen Bevölkerung vor Augen, was aufgrund seiner konsequenten Linie 1947 tatsächlich wahr wird. Attenborough begeht zum Glück nicht den Fehler, Gandhi als den Heilsbringer schlechthin darzustellen, obwohl er ohne Zweifel unvorstellbare Dienste für die Menschen geleistet hat, sondern zeigt auch einen Sturkopf, der selten Kompromisse eingeht. Zudem werden auch die Schattenseiten seiner Ideale von Unabhängigkeit gezeigt, als nach der Aufhebung der Kolonialherrschaft ein Glaubenskrieg unter Moslems und Hindus ausbricht.
Ein Film wie „Gandhi“, der ausschließlich das Wirken seiner Hauptfigur in den Vordergrund stellt, lebt natürlich vom Darsteller dieser, und da ist den Produzenten wirklich einer der besten Griffe der Filmgeschichte gelungen. Ben Kingsley spielt nicht Gandhi, er ist Gandhi. Neben dem Übernehmen von Aussprache (O-Ton empfohlen, obwohl die Synchronisation sehr gut gelungen ist), Mimik, Gestik und Laufstil ist die Ähnlichkeit mit dem Vorbild verblüffend, auch weil Kingsley sich über Wochen hat bräunen lassen. Zudem bringt er das Charisma mit, das für die Darstellung einer politisch so wichtigen Person dringend notwendig ist.
In Nebenrollen geben sich Stars wie Martin Sheen („Apocalypse Now“, „Wall Street“), der renommierte Theaterschauspieler John Gielgud („Der Elefantenmensch“) oder Trevor Howard („Meuterei auf der Bounty“) ein Stelldichein. Bemerkenswert hierbei ist die Ähnlichkeit diverser Darsteller mit historischen Persönlichkeiten, vor allem die der indischen Minister.
Über 20 Millionen Dollar hat „Gandhi“ gekostet und nach nur 5 Minuten weiß man, warum: Die Begräbnisszene zu Beginn hat mit ihren 400 000 Statisten Kinogeschichte geschrieben und lässt einen erschaudern, bedenkt man, dass dieser ganze Aufwand nur für einen Film betrieben wurde. Auch ansonsten glänzt „Gandhi“ mit detailgetreuer Ausstattung und atemberaubenden Massenszenen, die so manchen im digitalen Zeitalter entstandenen Film alt aussehen lassen. Dennoch nehmen die Schauwerte nicht überhand, Attenboroughs Film ist überwiegend ruhig inszeniert und verlangt bei einer Laufzeit von knappen drei Stunden auch die Aufmerksamkeit und eine gehörige Portion Sitzfleisch der Zuschauer, die sich aber kaum durch langweilige Szenen kämpfen müssen.
Die filmische Umsetzung wird der historischen Bedeutung des Stoffes auf jeden Fall gerecht: „Gandhi“ ist eine der am sorgfältigsten recherchierten und brillant umgesetztesten Filmbiographien, die je hervorgebracht wurden, mit einem großartigen Ben Kingsley in der Rolle seines Lebens. Ein Leinwanddenkmal für einen bemerkenswerten Mann, über den Albert Einstein einmal gesagt hat: „Künftige Generationen werden kaum glauben können, dass ein Mensch wie er in Fleisch und Blut auf dieser Erde gewandelt ist.“