Der britische Regisseur Alfred Hitchcock hat sich mit seinen Krimi-, Thriller- und Horror-Plots so tief in die Filmgeschichte eingeschrieben wie nur wenige andere Filmemacher. Über Jahrzehnte war er Garant für ebenso kommerziell erfolgreiche wie filmtechnisch und inszenatorisch herausragende Meisterwerke. Die Verfilmung eines Romans von Robert Bloch, der selbst wiederum durch den Grabschänder und Frauenmörder Ed Gein inspiriert war, gilt sogar gemeinhin als Mutter des modernen Slasherfilms und verlieh einem ganzen Thriller-Subgenre den Namen: „Psycho“!
Dass dieser überlebensgroße Kultklassiker auch knapp 65 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch packen und überraschen kann, liegt an vielen Faktoren. Einer dürfte die überaus kluge Dramaturgie sein: Der Film beginnt wie eine handelsübliche Kriminalgeschichte: Eine junge Frau, alleinstehend, aber in eine Affäre mit einem verheirateten Mann verstrickt, stiehlt ihrem Chef 40.000 Dollar – allesamt Elemente, die in der konservativen Gesellschaft des Jahres 1960 schon für sich veritable Aufreger waren – und macht sich mit dem Auto auf und davon. Unterwegs hält sie an Bate's Motel, um zu übernachten – was sich als böser Fehler erweist. Dass die damals hochberühmte Janet Leigh bis zu diesem Punkt als klare Hauptfigur aufgebaut wird, nur um dann nach etwa 45 Minuten in jener über alle Maßen legendären Duschszene aus dem Film auszuscheiden, kann selbst heute noch als radikaler, hochcleverer Schachzug gelten, der unvorbereiteten Zuschauenden den Mund offen stehen lässt. Tatsächlich verweigert sich „Psycho“ konsequent einer einzelnen zentralen Hauptfigur (abgesehen natürlich von Norman Bates), zeigt stattdessen eine ganze Reihe miteinander verknüpfter Charaktere, die nach und nach im Motel absteigen und immer wieder in tödliche Gefahr geraten. Damit erweist sich der Film selbst für heutige Maßstäbe noch als erzählerisch radikaler Bruch mit Hollywood-Traditionen.
Ein weiterer Faktor zur packenden Intensität des Films ist natürlich die brillante Inszenierung. Die Kamera bleibt ruhig, fängt die Handelnden und Ereignisse in klaren Schwarz-Weiß-Bildern ein; auch der Schnittrhythmus ist – typisch für Filme älterer Dekaden – eher langsam, zumindest bis er in jener Duschszene geradezu explodiert; nur der berühmte schrille Score von Komponist Bernard Herrmann sticht von Anfang an heraus und untermalt die Geschehnisse gekonnt oder lädt sie mit enormer Spannung auf. Auch die Beleuchtung erzeugt ein Höchstmaß an Atmosphäre: Wenn etwa Bates und Marion Crane in seinem Zimmer voll ausgestopfter Tiere zu Abend essen und er sie später durch ein Loch in der Wand beobachtet, werden sie konsequent von unten beleuchtet, sodass vor allem in seinem Gesicht bedrohliche Schatten spielen. Das zusammen mit den bis ins Detail stark eingerichteten Settings – die Silhouette jenes mörderischen Hauses in der Wüste ist ebenso ins popkulturelle Gedächtnis eingegangen wie die schrille Schockmusik – erzeugt von dem Moment an, wo das Motel zum Handlungsort wird, eine dichte Atmosphäre der subtilen Bedrohung, die immer wieder in unvorhersehbaren Schockmomenten eskaliert. Ein Meisterstück für die Ewigkeit in Sachen Inszenierung und Erzählweise.
Und dann ist da natürlich noch Anthony Perkins als Norman Bates. Sein unfassbar intensives Spiel zwischen schüchtern-verklemmtem Außenseiter, der durchaus sympathisch wirken kann, und immer bedrohlicherem Mienenspiel bis hin zur völligen Raserei macht ihn zum unantastbaren Mittelpunkt des Films (was auch daran liegt, dass seine Figur mit Abstand am tiefgründigsten charakterisiert wird; alle anderen bleiben eher oberflächlich und wenig interessant, egal wie gut sie gespielt sind). Wenn etwa das gemeinsame Abendessen freundlich beginnt, sich dann jedoch seine Laune zunehmend verfinstert, dann wieder aufhellt und er sich schließlich als Voyeur entpuppt, der die Frau im Nebenzimmer beim Ausziehen beobachtet, ist das ein derart fesselndes Spiel, dass man durchgehend gebannt bleibt. Mit zunehmenden Eskalationsstufen der Handlung steigert sich auch seine finstere Darstellung – wohl kaum jemand kann so düster, ernst und bedrohlich dreinschauen wie Perkins – und das diabolische Grinsen, mit dem er den Film abschließt, ist ein weiteres Bild für die Ewigkeit.
Mit „Psycho“ ist Hitchcock ein völlig zurecht legendärer Klassiker des unheimlichen Films gelungen, der mit grandioser, schnörkelloser Inszenierung, drastischen Gewalt- und Schockspitzen, einer packenden Dramaturgie und starken Darstellenden auch heute noch ein hochintensives Ereignis darstellt. Dass aus heutiger Perspektive an weiteren 65 Jahren Horrorfilmgeschichte gestählte Zuschauende vielleicht nicht mehr so entsetzt aus dem Film herauswanken wie das damalige Publikum, kann man gewiss nicht dem Film selbst anlasten. Wer sich für die Ursprünge des modernen Horrorfilms und Psycho-Thrillers interessiert, kommt an dieser Urmutter des Genres nicht vorbei.