Rache ist eine Handlung, die den Ausgleich von zuvor angeblich oder tatsächlich erlittenem Unrecht bewirken soll. Von ihrer Intention her ist sie eine Zufügung von Schaden an der Person (oder den Personen), die das Unrecht begangen haben soll. Oft handelt es sich bei Rache um eine physische oder psychische Gewalttat.
Selbstjustiz bezeichnet das außergesetzliche Vorgehen von nicht dazu Berufenen gegen eine Straftat oder eine andere als rechtswidrig oder ungerecht empfundene Handlung. Die Selbstjustiz widersetzt sich dem Gewaltmonopol des Staates und ist in diesem Rahmen strafbar. Der Staat behält sich das Recht der Bestrafung als Dritter selbst vor. Daher wird das Pendant der Selbstjustiz auch als „Fremdjustiz“ bezeichnet.
Als Rechtfertigung für einen Akt der Selbstjustiz vorgebracht wird meist das Versagen der Justiz oder deren Unfähigkeit, gegen die als verbrecherisch empfundene Handlung effektiv, schnell oder überhaupt vorzugehen. (Quelle: Wikipedia)
Rache und Selbstjustiz - das sind die zwei zentralen Themen von Chris Suns packenden Thriller, bei dem der Vater eines ermordeten Kindes Rache an dessen Peiniger und Mörder nimmt:
Die kleine niedliche Georgia ist das ganze Glück ihres stolzen Vaters. Als sie eines Nachts verschwindet und kurz darauf ermordet am Strand gefunden wird, bricht seine Welt zusammen. Nur langsam findet er ins Leben zurück. Gerade als er den Schicksalsschlag zu akzeptieren beginnt, entdeckt er Hinweise auf den Täter. Derek sieht zwei Möglichkeiten: Die Indizien der Polizei zu überlassen oder selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. In seinem Keller und mit allem, was Schmerzen bereitet…
"Daddy´s Little Girl" gliedert sich in eine Reihe unzähliger, thematisch ähnlicher Filme wie "Ein Mann sieht rot", "Auge um Auge" oder "Death Sentence" ein, in denen die Opfer von Gewalttaten oder deren Hinterbliebenen das Gesetz in die eigene Hand nehmen, um die Gerechtigkeit wieder herzustellen.
Rache ist dabei eines der ältesten Motive in der Menschheitsgeschichte und fest als Rechtssatz im Bundesbuch der Tora verankert:
„… so sollst du geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme.“
Übersetzt als "Auge um Auge", und oft zitiert als „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, wird das Teilzitat meist als Anweisung an das Opfer oder seine Vertreter aufgefasst, dem Täter Gleiches mit Gleichem „heimzuzahlen“ bzw. sein Vergehen zu sühnen („wie du mir, so ich dir“).
Nach diesem Prinzip funktionieren die größtenteils dem Rape & Revenge-Subgenre zugehörigen Beiträge. Während in den meisten Filmen die Opfer und Angehörigen an der Ohnmacht und Hilflosigkeit der staatlichen Behörden verzweifeln und daraufhin das Gesetz in die eigene Hand nehmen, geben sich die Opfer beispielsweise in Filmen wie "I Spit On Your Grave" oder "Lipstick - Eine Frau sieht rot" der Genugtuung der Rache hin, in dem sie ihre Peiniger für das bestrafen, was man ihnen angetan hatte.
"Daddy´s Little Girl" folgt dieser Formel und stellt dabei den Familienvater Derek in den Fokus der Handlung. Als ihm eindeutige Hinweise auf die Identität des Täters in die Hände fallen, zögert er kurz - entschließt sich aber letzten Endes dazu, die Polizei nicht einzuweihen und den Täter einen Foltermarathon von sechs Tagen auszusetzen - jeder Tag für ein Lebensjahr seiner getöteten Tochter. Derek, der an der traumatischen Situation um den Verlust der über allen geliebten Georgia beinahe zerbrochen wäre, fast neuen Lebensmut und bereitet sich akribisch auf seine Vergeltung vor. Er informiert sich in Büchern, im Internet und im näheren Umfeld, und funktioniert seinen Billardraum zum Folterkeller um - mit allem, was der Haushalt und der Werkzeugkoffer hergeben.
"Daddy´s Little Girl" geht in der zweiten Hälfte deutlich an die Substanz und bedient sich einiger brachialer und sehr blutiger Foltermethoden. Finger werden abgeschnitten und die Blutung mit heißem Wachs gestoppt, Schnittwunden mit dem Lötkolben ausgebrannt, die Kniescheibe zerquetscht, Zähne gezogen und die Hand amputiert...Derek lässt den Peiniger seiner Tochter für seine Verbrechen büßen, ihn den Schmerz spüren, den er Georgia hat spüren lassen - bis hin zur rektalen Penetration mit einem angespitzten und mit Stacheldraht umhüllten Eisenrohr.
Das mag sich auf den ersten Blick grauenhaft und schmerzhaft anhören, teilweise sind die dargestellten Greuel auch spürbar schmerzhaft - aber bei weitem nicht so explizit dargestellt, wie man es sich vorstellen könnte. Chris Suns Inszenierung ist streckenweise blutig, hält aber gekonnt die Grenzen ein, um nicht zur dumpfen Gewaltorgie zu verkommen.
Im Gegenteil: Bis der trauernde Familienvater zur Rache antritt, ist "Daddy´s Little Girl" vielmehr ein Drama, als ein splattriger Rache-Thriller. Regisseur Sun lässt den Zuschauer in intensiv dargestellten Szenen an der Trauer und den Vorwürfen des Vaters teilhaben, konfrontiert ihn mit einem gebrochenen Mann, der jeglichen Lebensantrieb durch den Verlust seiner Tochter verloren hat. Ein Mann, der sich mit alten Filmaufnahmen noch weiter quält und Zwiegespräche mit seiner Tochter führt.
Bis ihm sein ein und alles genommen wird, vergehen unzählige Minuten, in denen das intakte und von Liebe geprägte Verhältnis zwischen Vater und Tochter in den Vordergrund gestellt wird - ausführlich genug, um jedem Zuschauer, der selbst nicht Vater oder Mutter ist, die Möglichkeit zu geben, sich in eine Situation hineinzuversetzen, die für ihn fremd ist. Und solche, die selbst Kinder haben, werden die Taten, zu denen der einst friedliebende Mann im weiteren Verlauf fähig ist, nachvollziehen können.
Die Intention von Autor und Regisseur Sun ist mehr als eindeutig: kein Mitleid mit dem Täter. Doch von einer eindimensionalen Darstellung der Selbstjustiz ist "Daddy´s Little Girl", trotz seiner Aussage, weit entfernt. In einem Gespräch mit seiner toten Tochter gibt Derek zu, dass es nicht richtig sei, was er mache, und dass es ihm auch dadurch nicht besser gehen würde, aber dass manche Menschen eben für ihre Taten bestraft werden müssen - auf eine Art, wozu der Staat nicht fähig zu sein scheint. Um diese Aussage zu unterstreichen, endet der Film kritisch mit der Auflistung unzähliger Gewaltverbrechen gegenüber Kindern, die mit Strafmaßen abgeurteilt wurden, die wir als ungerecht und nicht ausreichend genug ansehen würden.
"Daddy´s Little Girl" ist teilweise fragwürdig und kontrovers, aber darüber hinaus weniger ein stumpfsinniges, selbstzweckhaftes Gemetzel, sondern äußerst vielschichtig in dem, was er zum Ausdruck bringen will. Er zeigt in eindrucksvoll und ausdrucksstark gespielten Sequenzen, wie innerhalb weniger Augenblicke nichts mehr so ist, wie es einmal war. Dass ein Verbrechen an einem Angehörigen Trauer, Schmerz und unendliche Wut auslöst und dass diese Gefühle eine lange Zeit an einem nagen. Dass Rache sicherlich keine Lösung ist und man sich selbst ins Verderben stürzt, dass sie nichts vergessen macht und einen geliebten Menschen auch nicht wieder zurück bringt - aber dass sie einem eine gewisse Genugtuung verschafft und innerliche Ruhe. Und das macht diesen Film so ungeheuer glaubwürdig - weil jedes Opfer einer Gewalttat, jeder Angehörige eines Opfers, diese Wut und diesen Drang nach Vergeltung in sich hat. Und dass deshalb Dereks Verhalten, nach geltenden Gesetzen und auch moralisch, nicht entschuld-, aber nachvollziehbar ist.
Chris Suns Film mag, vor allem in der zweiten Hälfte, sehr blutrünstig sein - ihn aber ausschließlich auf die Rache zu reduzieren, wäre falsch. "Daddy´s Little Girl" ist eine Charakterstudie, die sich auf vielfältige Weise mit der Thematik auseinandersetzt - ausführlicher und intensiver als die meisten Filme zuvor. Es eine Gratwanderung, die aber mit Bravour gemeistert wurde - aber angesichts der einseitigen Meinung zur Selbstjustiz für Gesprächsstoff sorgen wird.