Während Takashi Miike in der folgenden Buchverfilmung Shield of Straw (2013) nach Kazuhiro Kiuchi die Frage nach Schuld und Sühne, nach dem Abwägen eines einzelnen Menschenleben zugunsten oder ungunsten der Masse und die Verlockung des schnellen Geldes gegenüber jahrelanger Moral und Loyalität aufwarf, wird in der vorhergehenden Bearbeitung nur das "Warum ?", dafür aber umso deutlicher in den Raum gestellt. Basierend diesmal auf Aku no Kyoten von Yusuke Kishi, einem im Heimatland vielbeachten und ebenso diskutierten Bestseller, der trotz fiktiven Set und Setting auch die Aktualität nicht unbeachtet lässt, und nicht nur deswegen gleichzeitig verstört und fasziniert, wird die Geschichte ohne die Beachtung von Grundsatzfragen nach Ethik und Seelenlage, sondern als monströses Psychogramm und später ausuferndes Thrillerdrama in Schrot und Blei und Rauch inszeniert. Pläsier an dem wie mechanisch ruhigen und die Übersicht bewahrenden manipulativen Verhalten des mordenden Charmeurs in der Hauptrolle wird erst ebenso erweckt wie das Geblendetsein in die allgemeine Trickserei dem surrealen Blutbad folgt:
Der Mittdreißiger Hasumi Seiji [ Ito Hideaki ] ist als Englischlehrer an der privaten Shinko Academy angestellt, wo er von den meisten Schülern und Schülerinnen seiner Klasse auch als beliebt angesehen wird, momentan aber gerade mit drei verschiedenen Problemfällen zu tun hat. Da ist zum einen der Schüler Hayami Keisuke [ Sometani Shota ], dessen Betrugsversuche er bei Prüfungen unterbinden kann. Der Lehrerkollege Tsurii Masanobu [ Fukikoshi Mitsuru ], der in seiner wenig rühmlichen Vergangenheit herumforscht und rasch auf Ungereimtheiten stößt. Und ein nerviger Vater, der bei Elternbesprechungen ständig mit Nachdruck darauf besteht, dass seine Tochter Kiyota Rina [ Fujii Takemi ] in der Schule gemobbt wird. Als Hasumi anfängt, sich um die Störfaktoren auf seine Art und Weise zu kümmern, findet er bald kein Ende an Widrigkeiten mehr...
"Your attention, please. There is an intruder in the school. I repeat, we have an intruder. He is dangerous. Do not go to the 1st floor. Do not panic. Remain calm. Get to the top floor. The intruder has a shotgun. Go to the roof, lock the door, and wait for help."
Aufgrund der Beschreibungen des Textes, der in mehrere Teile und aberhunderte von Seiten zerfällt, wird hier notgedrungen der Weg des geringen Widerstandes, eine nachvollziehbare Dramaturgie mit auch etwas Hintergrund, aber nicht der absoluten Tiefe und der Klärung aller Umstände und Herkünfte angestrebt und auch erreicht. ZWei Stunden Laufzeit, in dem man erst dem Beruf und bald der Berufung von Lehrer Hasumi folgt, der nach außen hin die Freundlichkeit in Person, auch die Attraktivität nicht nur für die jüngeren Schülerinnen, sondern auch die anfängliche Begeisterung, den Enthusiasmus für den Lehrauftrag aufweist. Der Scheint täuscht, was der Zuschauer schon bald, letztlich auch in aller Konsequenz und vielen ermordeten Opfern weiss, platzt der Lack buchstäblich vom Glanz ab und macht einem gefühlskalten, scheinbar rein instinktiv und intuitiv und sich bald um nichts mehr scherenden Menschen soziopathischer Gesinnung Platz.
Ein Blick in das Innere in beiden Werken, dort der Polizeithriller mit Actionschüben, hier eine Geschichte, die wahlweise als Drama, als Kommentar, als Pechschwarze Komödie, als psychopathologischer Horror zu sehen ist, oder auch als Slasher bezeichnet wird, und in dessen Simplizität auch durchaus funktioniert. Ein Kreisen zwischen den filmischen Gattungen, zwischen den Kulturkreisen von Japan, dem Westen, ganz deutlich in mehreren Beispielen auch dem deutschen Gut von Bertold Brecht und Johann Wolfgang Goethe, einen Zitatenspiel ohne feste Form, in dem man sich das für den Moment zweckdienlich passende ebenso herauspickt wie der Serien- und Massenmörder für sein jeweiliges Geschick. Abstoßend die Gewaltausbrüche, die zynisch und sardonisch und gleichzeitig humoristisch übersteigerten Machtfantasien im neonfarbenen "House of Horror" - Projektabend der Schule, dass bald vom Blut und Gedärm der Eleven getränkt wird. Edel das vorherige Geschehen, der Schwindel und die Schummelei, mit denen vorübergehend um Mitstreiter geworben und die Konkurrenz und die Unliebsamen erst mit List und Tricks und bald derben Schussfolgen ausgeschaltet sind. Gespalten auch die Schauplätze, von denen es abseits eines durch Erpressung 'ausgeborgten' Lofts für amouröse Abenteuer eigentlich nur derer zwei und zwei ebenso karge und von Leben unerfüllte Orte es gibt.
Der Hort der Schule, in Einheitskleidung, ohne Grün in der Nähe und mit scheinbar ständig abgeschlossenen Türen, die später beim Massaker mit Schusswaffe auch fatalerweise jede Flucht am Hindern sind. Ein Untergang in der Masse, in der die Heranwachsenden zahlenmäßig den oft ebenso anonymen Erwachsenen zwar überlegen, in der Hierarchie aber unterhalb und auch untereinander, in der eh schon bedrängten Schicht auch jeweils sich am unterdrücken sind. Auf der anderen Seite die Alleinstellung des Englisch Unterrichtenden, der beim Dozieren der Unterschiede von "great" und "excellent" und "magnificent" schon heftig engagiert, teils gar etwas albern in seiner Begeisterung für scheinbar Alles und Allen, ansonsten aber die Ruhe in Person ist und an einem ebenso introvertierten, nur für ihn sichtbare Position zu Hause ist. Ein abgelegenes, leer gefressenes Grundstück irgendwo im Nichts, auf dem eine Art zerfallener Wohnwagen als Schlafstätte steht und als einziger materieller Besitz nur noch ein rostiger Daihatsu Hijet Kleintransporter zu sichten ist.
Um Geld und dessen Gewinn geht es demnach nicht, um Befriedigung irgendwie auch nicht. Eher um das Leben in einer gänzlich anderen Existenz, in dem man fern von Zweifeln und Skrupeln und dennoch oder deswegen mit den Möglichkeiten von Ausdrücken der Empathie und Sympathie handelt; hier in dieser Kurzfassung in der unmittelbaren, an der Oberfläche des visuellen und die Gedanken andeutenden Kinos bleibt, während man im vorher geschalteten Lesson of the Evil: The Opening Chapter – für das Fernsehen von Nomoto Fumio gedreht – die drei vorherigen Monate und auch die Zeit in den USA ausführlich in den Augenschein nimmt.