Leistungsdruck, Schule und mörderische Intrigen mit zunehmend drastischen Konsequenzen – dieses Gemisch, das Yusuke Kishi 2010 als Roman anrührte, hatte alle Zutaten, die ein umtriebiger Genreregisseur wie Takashi Miike gerne umsetzen möchte, weshalb es nicht wundert, dass auf dieser Grundlage 2012 „Lesson of the Evil“ entstand.
Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist das Betrügen bei Schulprüfungen. Der Schüler Keisuke Hayami (Shōta Sometani) hat ein Schummelsystem via SMS eingeführt, das die Schule bekämpfen will. Die einen Lehrer wollen einen Störsender einsetzen, anderen geht der Schritt zu weit. Deshalb sollen wie Handys der Prüflinge eingesammelt werden, doch Keisuke und seine Clique umgehen das – nur um festzustellen, dass jemand trotzdem einen Störsender einsetzt. Die Tatverdächtigen sind der technische begabte Physiklehrer Masanobu Tsurii (Mitsuru Fukikoshi) oder Seji Hasumi (Hideaki Itō), ein allseits beliebter Englischlehrer, dem die Schüler gern vertrauen – vielleicht ein Stück zu sehr. Klar ist nur: Irgendwer hat hier einen mehr als nur gesunden Ehrgeiz, worauf schon Flashbacks in die Jugend der Person hinweisen.
Während beide Lehrer verdächtigt werden, gibt es da noch einen anderen Komplex, nämlich Bullying unter Schülern und Beziehungen zwischen Lehrkörper und Schülerschaft. Ein Lehrer und ein Schüler haben ein homosexuelles Verhältnis, ein Sportlehrer erpresst eine Schülerin zu sexuellen Dienstleistungen, in Chatgruppen sind Schmähungen an der Tagesordnungen. Vor allem Hasumi hat ein offenes Ohr für die Nöte seiner Schützlinge, doch dann ermordet jemand einen Vater, der sich häufig über Hänseleien über seine Tochter beschwert hatte. Die Polizei rückt an, wonach Tsurii einige Details über Hasumi auspackt, z.B. dass an der Schule, an der er zuletzt lehrte, mehrere Schüler unter ungeklärten Umständen Selbstmord begingen. Er weiht auch den aufgeweckten Schüler Keisuke mit ein. Doch will er den Verdacht vielleicht ablenken?
In all diesem Gewirr nutzt der Psychopath die Beteiligten aus, indem er sich ihr Vertrauen verdient, sie erpresst und modernste Überwachungs- und Kommunikationstechniken für seine Zwecke nutzt. Und wenn mal etwas nicht so läuft wie geplant, dann schreckt er auch vor Mord nicht zurück…
Auch wenn an dieser Stelle nicht verraten werden soll, wer sich da nun durch die Belegschaft killt, so weisen manche Plakate, Trailer und Covertexte schon darauf hin. Aber „Lesson of the Evil“ ist auch kein klassisches Whodunit, sondern die Studie eines Täters, der mit absoluter Präzision und einer perfiden (wenn auch nicht immer ganz nachvollziehbaren) Logik an die Sache herangeht. Er erteilt, der Filmtitel sagt es schon, die Lektionen des Bösen an freche Schüler, halbseidene Lehrer und nervige Eltern. Da der Mörder bald zum Quasiprotagonisten des Films wird, fiebert man beinahe mit ihm mit, wünscht ihm aufgrund seines Status fast schon den Erfolg, doch Miike lässt nie zu viel Sympathie für ihn aufkommen: Nicht nur vermeintlich Schuldige müssen dran glauben, sondern auch jene, die ihm auf die Schliche kommen – mal ganz abgesehen davon, dass die Morde an sich ja schon eine krasse Überreaktion auf Missstände sind. Rückblenden in seine Vergangenheit zeichnen ein immer schärferes Profil des Täters, während sich an anderen Stellen Erinnerungen und Visionen surreal überlagern, womit Miike den Wahn des Killers visualisiert.
Mit diesen Mitteln wird „Lesson of the Evil“ zu einer Mischung aus Slasher- und Serienkillerfilm, die mit der Konsequenz des Killers durchaus beeindruckt: Da sind Täuschung und Erpressung ebenso drin wie eiskalter Mord, notfalls sogar öffentlich in der U-Bahn. Der Song „Mackie Messer“ aus Brechts „Dreigroschenoper“ wird zum musikalischen Leitmotiv des Killers und des Films, der auch mit weiteren Anspielungen, z.B. auf Odins Raben, arbeitet. Zum cleveren Metafilm wird „Lesson of the Evil“ dabei freilich nicht, sondern zu einem hundsgemeinen Genrereißer, der die Teenager eiskalt über die Klinge springen lässt. Man ahnt zwar meist schon, wer bald seinen letzten Atemzug tut, doch Miike zieht den Zuschauer dabei allein durch die handwerkliche Umsetzung in seinen Bann.
Wie so oft bei Miike läuft das Ganze nicht ohne Tabubrüche ab. In diesem Falle: Ein ausgedehntes Schulmassaker, das die letzte halbe Stunde von „Lesson of the Evil“ einnimmt – also in einem Film, der ein Jahr nach Utøya gedreht wurde. Damit geht Miike mal wieder an die Geschmacksgrenzen, für einige sicher auch darüber hinaus. Das Finale ist dann auch ein höllisch böses Inferno, in dem weder Figuren noch Zuschauer geschont werden, doch manchmal wirken die Anflüge von schwarzem Humor etwas deplatziert, etwa wenn die versuchte Rettungsaktion eines talentierten Bogenschützen misslingt. Zudem zieht sich „Lesson of the Evil“ in seiner versuchten Abgründigkeit etwas: Denn wie spannend ist es, das zigte Mal zu sehen wie ein Killer mit Schrotflinte einen panischen Teenager wegputzt. Zumal diese sich selbst unter Berücksichtigung ihrer Panik schon etwas unglaubwürdig doof verhalten. Oder würde eine Horde von Teenagern wirklich kauernd und kreischend auf einem Treppenabsatz verharren und abwarten, während der Killer seine doppelläufige Schrotflinte alle zwei Schuss nachladen muss und sie nach und nach abknallt, ohne dass es ernsthafte Versuche von Flucht oder Gegenwehr gibt?
Am Ende gibt es ein paar kleine Twists sowie die Andeutung einer möglichen Fortsetzung. Dafür würde zwar größtenteils eine neue Belegschaft gebraucht, aber es wäre nicht ohne Reiz. Gerade der Darsteller der Psychopathen hat ziemlich viel Ausstrahlung und kann den Film durchaus über weite Strecken tragen. Die Nebendarsteller, egal ob Schüler oder Erwachsene, liefern überzeugenden Support.
„Lesson of the Evil“ ist stark inszeniert, vor allem in der Hauptrolle hervorragend gespielt und in seiner eigenwilligen Mixtur als Slasher, Serienkillerpsychogramm und Amoklaufnachzeichnung faszinierend. Das bewusst provokante und Tabus brechende Finale ist dabei ein zweischneidiges Schwert: Zu grell und gorelastig für eine wirklich ernstgemeinte Reflexion, als Splatterfest dann doch reichlich repetitiv, etwas sehr in die Länge gezogen und mit etwas problematischem Unterton – da mag die knallbunte Überzeichnung, wenn Teile des Massakers in den Kulissen eines Haunted-House-Schulprojekts stattfinden, dies nur teilweise herunterspielen. Aber trotz seiner Unebenheit: Ein eigenwilliges Unikum ist „Lesson of the Evil“ schon.