Mit Pixar hatte Walt Disney einen seiner größten Konkurrenten im Bereich des Animationsfilms aufgekauft, ließ sich aber von deren modernerem Ansatz beeinflussen. So verwundert es nicht, dass im Abspann von „Wreck-It Ralph“ nicht nur dem Pixar-Team gedankt wird, sondern dass dieser vom Spirit und Feeling auch unter deren Ägide hätte entstehen können.
Die Titelfigur ist Wreck-It Ralph, der Antagonist des fiktiven Arcade-Games „Fix-It Felix Jr.“. Dessen titelgebender Held repariert das Gebäude, das von Ralph zerstört wird, ehe der Schurke am Ende jedes Spiels von den dankbaren Bewohnern vom Dach geworfen wird, während Felix eine Medaille erhält. Das Game schaut sehr nach dem „Donkey Kong“-Automaten aus (darüber hinaus haben Felix und Mario sehr ähnliche Todes-Animationen), mit ein paar Einflüssen von „Rampage“ hinzugemischt. Doch subtil schafft bereits der Aufbau des Spiels Sympathien für Ralph: Schließlich musste dessen Baumstumpf-Heimat dem Hausbau weichen und wurde auf den Schrottplatz verfrachtet, sodass man seine Randale irgendwo verstehen kann.
In „Wreck-It Ralph“ führen die Spielfiguren (ähnlich wie die Spielzeuge aus dem genreprägenden Pixar-Film „Toy Story“) ein Eigenleben nach Ladenschluss, können sich in ihren Automaten besuchen oder im zentralen Hub treffen. Hier besucht Ralph eine Selbsthilfegruppe für Bösewichte, in der unter anderem M. Bison und Zangief aus „Street Fighter II“, der Beholder aus „Dungeons & Dragons“, ein „Pac-Man“-Geist, Bowser aus „Super Mario“ und ein „House of the Dead“-Zombie sitzen. Ursprünglich sollte auch „Mega-Man“-Schurke Dr. Wily Teil der Bad-Anon-Selbsthilfegruppe sein, wie Concept-Screenshots zeigen, doch der Cameo kam aus ungeklärten Gründen nicht zustande. Während die anderen Antagonisten mit sich und ihrem Antagonisten-Dasein zufrieden sind, kann das Treffen auch Ralph nur so semi helfen.
Als das 30-jährige Jubiläum von „Fix-It Felix Jr.“, zu dem Ralph eigentlich nicht eingeladen ist, zur weiteren Kränkung für ihn wird, beschließt Ralph, dass er auch mal eine Medaille holen will – notfalls in einem anderen Game. Dummerweise fehlt „Fix-It Felix Jr.“ damit ein Schurke und eine entscheidende Spielmechanik, weshalb eine Abschaltung des Automaten droht…
Während Pixar bereits Spielzeuge („Toy Story“) und Autos („Cars“) als ungewöhnliche, vermenschlichte Animationsprotagonisten gewählt hatte, so sind es hier Videospiel- und vor allem Arcade-Figuren. Ähnlich wie es „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ mit Cartoon-Charakteren gehandhabt hatte, so verfährt „Wreck-It Ralph“ hier mit Game-Ikonen: Gastauftritte haben unter anderem Sonic, Pac-Man plus Geister-Gegenspieler und das erwähnte Schurken-Panoptikum der Bad-Anon-Selbsthilfegruppe, man sieht Automaten von „Dance Dance Revolution“ und anderen Arcade-Games, im Dialog werden unter anderem Lara Croft und Super Mario erwähnt. Letzteren hätte Disney auch gern im Film gehabt, doch die verlangten Lizenz-Gebühren von Nintendo waren zu hoch, weshalb es wohl auch ein In-Joke ist, wenn Fix-It Felix Jr. fragt, ob Mario aus Eindrucksgründen zu spät zur Jubiläumsparty komme. Jedenfalls hat das Team rund um Regisseur Rich Moore tief in die Lizenzrechtkasse gegriffen, andere Figuren durch Verfremdung eingebaut, sodass „Wreck-It Ralph“ ein Fest der Easter Eggs und Anspielungen ist, die vor allem für ältere Zuschauer, die noch mit alten Konsolen und der Hochzeit der Arcades aufgewachsen sind, einigen Wiedererkennungswert besitzen.
Für die Jüngeren im Publikum gibt es dagegen eine handelsübliche Story darüber, dass man an sich selbst glauben und nicht von den Erwartungen anderer lenken lassen soll, den Wert der Freundschaft gibt es oben drauf. Letzteres wird vor allem durch die Figur Vanellope von Schweetz aus dem fiktiven Rennspiel „Sugar Rush“ repräsentiert. Das vorlaute Mädel und Ralph zoffen sich erst, doch als der Randale-Riese erkennt, dass dies eine Außenseiterin wie er selbst ist, rauft sich das ungleiche Duo zusammen. Dass die beiden sich mit etwas kindischen Beleidigungen wie „Stinkbrain“ beharken, ist sicherlich auch der jüngeren Zielgruppe geschuldet, funktioniert letzten Endes aber auch dadurch, dass Vanellope im Spiel auch ein Kind sein soll. Im finalen Drittel wird es für Erwachsene vielleicht etwas ermüdend, wenn „Sugar Rush“ von außerirdischen Käfern attackiert wird und es zu etwas ausgewalzten Animations-Actionsequenzen für die Kiddies kommt.
Doch die bekannte Formel, die schon Pixar- wie Disney-Filme nutzten, wird von Regisseur Rich Moore und den Drehbuchautoren Jennifer Lee und Phil Johnston erfreulich mit Leben und Details gefüllt. Das Zerstören eines Rennwagens aus Süßigkeiten ist eine überraschend emotionale Szene, die Einführung eines Schurken und die Enthüllung von dessen Hintergrund ist erfrischend clever gemacht und gut vorbereitet. Auch für Fix-It Felix Jr. gibt es einen hübschen Subplot, wenn er auf der Suche nach Ralph unter anderem auf die toughe Soldatin Sergeant Tamara Jean Calhoun aus dem Game „Hero’s Duty“ trifft und sofort verliebt ist. „Hero’s Duty“ ist nicht nur voller Anspielungen auf „Call of Duty“, „Halo“ und „Gears of War“, sondern auch auf die Sci-Fi-Klassiker „Alien“ und „Starship Troopers“, wenn man sich das Alien-Design und -Verhalten anschaut. Es ergibt auch einen hübschen Kontrast zwischen modernen Shooter-Games und alten Automaten-Klassikern – „When did videogames get this violent?“ ruft ein entsetzter Ralph, als er in die Action in „Hero’s Duty“ einsteigt.
Aus diesen Kontrasten entsteht ein Großteil des Humors von „Wreck-It Ralph“. Wenn ein Randalinski wie Ralph auf einer Party aufkreuzt, wenn Videospielfiguren andere Spielmechaniken nicht verstehen oder mit ungewohnten Umgebungen Probleme haben, dann bietet das Raum für physische und verbale Comedy. Manchmal werden Videospielmechaniken hübsch umgedeutet, etwa Felix‘ Reparaturhammer in der Nesquiksand-Szene. Andere Dinge nehmen den Alltag auch die Schippe, etwa der pedantische Beamte im zentralen Hub, der den Schmuggel von Items aus anderen Spielen kontrolliert und Schurken wie Ralph besonders auf dem Kieker hat. „Wreck-It Ralph“ baut so eine putzige Videospielwelt auf, die liebevoll veralbert, letzten Endes aber ernstgenommen wird, auch wenn Humor und Seitenhiebe auf der Schlussgeraden etwas in Abseits geraten, für das Spektakel und eine gewisse Portion Kitsch.
Der Animationsstil orientiert sich am Ausgangsmaterial, ist in den Arcade-Games eher klobig, in „Hero’s Duty“ modern und düster, in „Sugar Rush“ dagegen knallbunt mit „Alice im Wunderland“-Anleihen (inklusive King Candy in optischer Verwandtschaft zum verrückten Hutmacher). Dadurch entstehen auch einige visuelle Gags (etwa die Tanzbewegungen von 8-Bit-Figuren). Komplettiert wird dies durch einen treffenden Voice-Gast. Ralph als bäriger Typ mit Herz aus Gold passt wunderbar in die Rollenvita von John C. Reilly, während Stand-Up-Komikerin Sarah Silverman mit Vanellope eine kinderfreundliche Version ihrer vorlauten Bühnenpersona, die kein Blatt vor den Mund nimmt, darbietet. Mit Jane Lynch als Calhoun und Jack McBrayer als Felix vervollständigen zwei weitere Comedians den Hauptcast, in Nebenrollen setzten unter anderem Alan Tudyk als King Candy und Ed O’Neill als Spielhallenbesitzer Akzente. Auch hier gibt es manche In-Jokes, etwa wenn Sonic von Roger Craig Smith wie in den Games vertont wird.
So ist „Wreck-It Ralph“ sicherlich eine charmante, gewitzte Parade von In-Jokes und Anspielungen, aber eben auch mehr als das. Er ist auch eine kindgerechte Satire auf Videospiel-Mechaniken, eine handelsübliche, aber herzig umgesetzte Geschichte über Freundschaft und den Umgang mit Rollenerwartungen. Auf der Schlussgeraden wird es vielleicht etwas süßlich-klebrig (und das nicht nur im Spiel „Sugar Rush“, sondern auch auf der Leinwand), die animierte Action im Finale ermüdet bisweilen, aber insgesamt ist das Ganze ein erfreulich spritziger, frecher Disney-Animationsfilm mit modernem Feeling, trotz Videospiel-Retro-Charme.