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Gleich zu Beginn verbreitet Quentin Tarantino echtes "Italo-Western"-Feeling, wenn er den Original-Song aus Sergio Corbuccis 1966 gedrehten Film "Django" erklingen lässt, aber schon die ersten Bilder zeugen von einer eigenständigen Richtung. Auch im klassischen Italo-Western schwang Kritik am us-amerikanischen Gesellschaftssystem mit, waren die Auswirkungen der Proteste, Ende der 60er Jahre, spürbar, oder wurde die Benachteiligung und Ausbeutung der mexikanisch stämmigen Bevölkerung gezeigt, aber die Filme blieben dabei verklausuliert, spitzten einen Konflikt übertrieben zu oder entwarfen das Bild einer durch und durch verkommenen Gesellschaft, ohne jede Moral. Die erste Szene von aneinander gefesselten Gefangenen, die mit Peitschenhieben angetrieben werden, könnte entsprechend aus einem Originalstreifen stammen, aber hier handelt es sich nicht um einen sadistischen Wärter, sondern um den normalen Umgang mit einer Gruppe Sklaven in den Südstaaten.

Quentin Tarantino hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ihn der Italo-Western beeinflusst hat, und angesichts seiner Vorliebe für künstlich zugespitzte Situationen und Dialoge, die die inneren Mechanismen von Macht und Unterdrückung ausführlich zu sezieren pflegten, lag es nah, dass er sich einmal selbst diesem Genre widmen würde. Dementsprechend war der im Filmtitel hergestellte Bezug zu der von Franco Nero gespielten Rolle des "Django" nur konsequent, denn diese wurde nicht nur stilbildend für das Genre, sondern viele danach gedrehte Western, die inhaltlich wenig mit dem Original gemeinsam hatten, nannten sich ebenfalls "Django", wodurch dieser Name zu einer Marke wurde, die auch Diejenigen einzuschätzen wussten, die keinen der Filme gesehen hatten.

Umso bemerkenswerter ist es, dass Tarantino entgegen seinen bisherigen Angewohnheiten einen Western entworfen hat, der weder eine hochstilisierte noch parodistisch angelegte Situation entwickelte, sondern einer Realität nachempfunden ist, deren Rassismus und Menschen verachtende Gewalt von einer moralisch integeren Bürgerschicht ausgeübt wird, die das Recht auf ihrer Seite hat. Entsprechend verzichtete er auf eine verschachtelte Szenen-Anordnung oder unterschiedliche Kapitel, sondern erzählt seinen Film ganz linear, selten unterbrochen von Erinnerungen Djangos (Jamie Foxx), die immer im unmittelbaren Zusammenhang zur Handlung stehen. Die sprachliche Finesse liegt hauptsächlich in der Verantwortung von Christoph Waltz als Dr.Schultz und wirkt nie übertrieben, denn sie spielt mit einer 1858 in den USA üblichen Situation. Der Zahnarzt Dr. King Schultz ist aus Deutschland eingewandert, spricht erst seit wenigen Jahren Englisch mit deutlichem Akzent, verfügt aber im Gegensatz zu seiner Umgebung über einen hohen Bildungsstand.

Wunderschön gelingt Tarantino die Szene, in der Dr. Schultz Django die Herkunft des Namens Brunhilde erklärt, den dessen Frau (Kerry Washington) von ihrer deutschstämmigen Sklavenhalterin erhielt, von der sie auch Deutsch lernte. Das ständige Spiel mit der englischen und deutschen Sprache wird zu einer wesentlichen, besonders emotional wichtigen Komponente des Films, die bei einer deutschen Synchronisation nur verloren gehen kann. Doch der deutsche Intellektuelle ist nicht nur hinsichtlich seiner Bildung überlegen, sondern auch in seiner humanitären Haltung gegenüber der Sklavenhaltung, die er ablehnt, weshalb er Django selbstverständlich gleichberechtigt behandelt, nachdem er ihn befreite.

Tarantino vermeidet, die Figur des Dr. Schultz zu idealisieren, indem er dessen Charakter an Sergio Leones Protagonist Clint Eastwood in "Für ein paar Dollar mehr" (1965) anlehnt, denn er arbeitet wie dieser als Kopfgeldjäger. Dass er Django befreite, hatte nur den Zweck, dass dieser ein paar gesuchte Verbrecher identifizieren sollte, so wie er die Banditen immer ohne Vorwarnung, teilweise aus großer Entfernung erschießt, um die Belohnung zu kassieren. In dieser skrupellosen Charakterisierung geht Tarantino deutlich über die Western-Mythen hinaus, denn bei Dr. Schultz bekommt kein Verbrecher mehr eine faire Chance – Selbstjustiz wird zu einem selbstverständlichen, unemotional ausgeübten Vorgang. Diese Verhaltensweise ist nicht übertrieben, sondern fügt sich in eine Gesellschaft, die auf Unterdrückung und Gewalt aufgebaut ist, was besonders an Leonardo DiCaprios Rolle als Gutsbesitzer Calvin Candle deutlich wird. Selbst für Tarantino-Verhältnisse ist Candle eine Ausgeburt an Selbstüberschätzung, Arroganz und Rücksichtslosigkeit, aber DiCaprio spielt ihn mit der freundlichen Gelassenheit eines Mannes, der sein Denken und Handeln für normal hält.

Das erste Drittel des fast dreistündigen Films ist von einer atemberaubenden Dichte, in der Tarantino die Charakterisierung von Dr.Schultz und Django geschickt im Zusammenspiel mit einer Gesellschaft aufbaut, die schon beim Anblick eines Schwarzen auf einem Pferd ihre Contenance verliert. Der Mittelteil verliert ein wenig an Schwung, bevor es im letzten Drittel auf der Südstaatenfarm von Candle zum mitreißenden Höhepunkt kommt. „Django“ verfügt über die gewohnten Tarantino-Elemente – amüsante Dialoge, gewalttätige Auseinandersetzungen und blutige, sehr konkrete Schusswechsel – dabei jederzeit aus dem Italo-Western zitierend, bis hin zu einem kurzen Auftritt Franco Neros, aber diesmal benötigte der Regisseur dafür keine sadistischen Gangsterbosse, keine Nazis oder wahnsinnigen Massenmörder, sondern nur die Bewohner der USA – Frauen und Männer, Weiße und Schwarze. Realistisch beschreibt er die Situation der Sklaven in den USA im Jahr 1858, deren Mechanismus er an einem gefährlichen Mann deutlich werden lässt – dem alten, gehbehinderten, schwarzen Hausdiener Stephen, von Samuel L.Jackson großartig gegen sein sonstiges Image verkörpert. „Django“ ist ein Unterhaltungsfilm, aber kein Spiel mehr mit Gewaltelementen und coolen Sprüchen, sondern von kritischer, schockierender Relevanz (9,5/10).

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