Quentin Tarantino ist alles andere als ein Fließbandarbeiter und so musste man sich nach seinem Meisterwerk „Inglorious Basterds“ mehr als drei Jahre gedulden, ehe mit „Django Unchained“ der nächste Italowestern an den Start ging.
Mit Sergio Corbuccis „Django“ verbinden „Django Unchained“ nur wenige Elemente, darunter der Titeltrack, in erster Linie zollt Tarantinos Film eher dem Italowestern an sich Tribut, dessen Exponate ja gern das Wort Django im Titel trugen, selbst wenn sie gar keine Fortsetzungen des Originals waren. Die winterliche Stimmung und der deutsche Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) erinnern in der Eingangsszene beispielsweise eher an Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ denn an „Django“. In besagter Szene befreit Schultz den Sklaven Django (Jamie Foxx).
Wie viele Italowestern-Protagonisten ist Schultz vor allem von Geld motiviert, die Befreiung Djangos halt keine altruistischen Motive, sondern ist davon motiviert, dass dieser weiß wie drei von Schultz gesuchte Brüder aussehen. Gleichzeitig spielt Tarantino mit den Klischees: Trotz seiner monetären Motivation ist Schultz mit der moralistische Charakter des Films (und wird gegen Ende fast idealistisch), äußerst seine Abscheu für Sklaverei (was bereits der Eingangsszene ein perfides Ende beschert) und verspricht Django seine Freiheit und sogar Hilfe bei der Suche nach dessen ebenfalls als Sklavin verkaufter Frau Brunhilde (Kerry Washington) zu helfen.
So reiten der Ex-Sklave und der wortgewandte Ex-Zahnarzt los und gehen gemeinsam der Kopfgeldjägertätigkeit nach, was das Band zwischen ihnen verstärkt, weshalb Schultz Django bald noch mehr Hilfe als die, die er ursprünglich anbot, geben möchte…
Man mag die Trailer sehen, man mag die Vorabberichte lesen, doch oft heißt das immer noch nicht, dass man weiß wie ein Tarantino-Film im Endschnitt aussehen wird. So auch im Falle von „Django Unchained“, dessen einzelne Storyelemente anders gewichtet sind als man bei Trailersichtung erwarten mag, dessen Geschichte so sehr mit Klischees und Stereotypen spielt, dass sie beinahe jeden Ausgang nehmen mag. *SPOILER* Tatsächlich würde man es Tarantino durchaus zutrauen, dass die Befreiung von Djangos Gattin tatsächlich mit einem Freikauf der Sklavin enden könnte. *SPOILER ENDE*
Wie schon bei „Inglorious Basterds“ dienen die Dialoge in „Django Unchained“ weniger dazu Tarantinos Wissen um die Popkultur darzustellen, sondern verfolgen trotz ihrer üblichen Ausgewalztheit ganz andere Ziele. Zum einen dienen sie oft der Spannungssteigerung, denn im Kopfgeldjägergeschäft müssen Django und Schultz häufig mit Tarnen und Täuschen arbeiten, sich als andere ausgeben. Noch dazu hat Schultz (und damit auch Tarantino) diebischen Spaß daran nicht alle Fakten vor Django (und damit auch dem Zuschauer) auszubreiten, sondern mit seinen Monologen lieber auf einen Aha-Effekt hinzuarbeiten. Noch dazu sind die Wortgefechte, Monologe und Gespräche von einem famosen Scharfsinn und Wortwitz, der sie immer wieder zu Festen macht.
Ganz so reduziert wie „Inglorious Basterds“ oder so verschachtelt wie Tarantinos Frühwerk geht „Django Unchained“ nicht zu Werke, gerade im ersten Drittel erweist er sich als erzählerisch fast schon konventioneller Western, doch die Handschrift des Regisseurs ist immer zu merken. Sei es der erzählerische Kniff, dass das letzte Drittel zum Großteil aus einer extrem ausgiebigen Abendessensszene besteht, dass „Django Unchained“ anmutet wie ein Filmgenre, das es heute nicht mehr gibt, nämlich den Italowestern, oder dass Tarantino nicht mit Zitaten spart: Brunhilde erweist sich als Urahnin Shafts, im Bild werden Italowestern, gelegentlich auch einmal Blaxploitation-Filme oder US-Western wie „Erbarmungslos“ zitiert, während auf dem Soundtrack mal wieder die Musik anderer Künstler gesamplet und gemixt wird, sei es Jerry Goldsmiths „Nicaragua“ (aus „Under Fire“) oder das Tupac/James Brown Crossover „Unchained (The Big Payback)“.
Während Tarantino sich bei „Inglorious Basterds“ einen Scherz erlaubte und den Film entgegen seiner Vorbilder recht actionarm inszenierte, da geht es bei „Django Unchained“ in eine andere Richtung und lässt bei den gelegentlichen Shoot-Outs die Sau raus, denn die spritzenden Wunden haben schon Splatterästhetik. Für zarte Gemüter ist der Film eh nicht geeignet, sei es in seiner herben Darstellung der Sklaverei oder der Darstellung eines Wilden Westens, in dem ein Menschenleben kaum etwas wert ist (vor allem in den Mandingo-Kämpfen kommt dies auf herbe Weise zum Ausdruck).
Immer wieder geht Tarantino auch sehr reflektiert mit Darstellern, ihren Images und Rollenklischees um: Wo Christoph Waltz nach seiner „Inglorious Basterds“-Performance vor allem in Hans Landa ähnlichen Rollen besetzt wurde („Green Hornet“, „Die drei Musketiere“), da entwickelt er sich hier immer mehr zum moralischen Gewissen des Films. Auf der anderen Seite ist dort Plantagenbesitzer Calvin Candie (Leonardo DiCaprio). *SPOILER* Erscheint dieser, gerade der Logik des Genres folgend, als Oberbösewicht, so wird bald klar, dass er ein arroganter, ignoranter und fast schon dummer Popanz ist, der wie ein großes, besonders grausames Kind daherkommt. Wesentlich perfider ist da sein Oberhaussklave Stephen (Samuel L. Jackson), der in der Öffentlichkeit mehr als andere Sklaven darf, aber immer noch einen auf gutmütig-dummer Onkel Tom macht, sich später als schlauer und verschlagener Ratgeber Candies entpuppt. Candie hingegen begreift bis zum Schluss nicht, dass Schultz Werte hat und dass er ihn nicht verabscheut, weil er Schultz’ Spiel durchschaut. Er hält sich sogar für klüger als Schultz, obwohl er ohne Stephens Hilfe darauf reingefallen wäre. *SPOILER ENDE*
Traumhaft ist auch das Casting des Films, gerade Christoph Waltz beweist als wortgewandter, kopfgeldjagender Kulturbürger, was er alles drauf hat, während andere ihn sonst nur als Hans Landa light besetzen, doch auch Jamie Foxx als cooler, aber auch kaltblütiger Titelheld kann Punkte sammeln. Kerry Washington kommt kaum zum Zuge, während Leonardo DiCaprio beweist, dass seine Tage als Schönling vorbei sind und eine Glanzperformance als hassenswerter Großgrundbesitzer hinlegt. Samuel L. Jackson zeigt, dass er mehr kann als nur den coolen Motherfucker, Walton Goggins darf dagegen eine seiner bewährten Hillbilly-Performances hinlegen. Reich ist der Film an Gastauftritten, von vergessenen Stars (Don Johnson, Bruce Dern), von Helden aus der zweiten Reihe (James Remar, James Russo), von Original-Django Franco Nero, von Jonah Hill, von Tom Savini, von Tarantino himself (der hier echt ganz okay spielt) und von reichlich Tarantino-Regulars (Zoe Bell, James Parks, Michael Parks, Michael Bowen).
Klingt nach einem weiteren Meisterwerk? „Django Unchained“ ist nur ganz knapp dran vorbei, aufgrund zweier Schönheitsfehler: Zum einen wäre dort ein großer Hänger in der ersten Hälfte. *SPOILER* Die grauenhafte Kapuzendiskussion. Ein ohnehin schon flacher Gag, der über mehrere Minuten ausgewalzt nicht komischer wird, sondern nur noch nervt. *SPOILER ENDE* Ebenfalls etwas unnötig erscheint der letzte Schlenker kurz vorm Finale in der Rückschau, wobei das gleichzeitig mit den Kunstgriffen Tarantinos übereinstimmt, nämlich der Erzählung, die konsequent Erwartungen enttäuscht.
„Django Unchained“ ist nicht ganz so stark wie „Inglorious Basterds“, aber dennoch famos: Drei toll geschriebene Stunden vor allen Genrezitaten, einer unberechenbaren Geschichte, Wortwitz und blutigen Shoot-Outs. Trotz der zwei oben erwähnten Schwächen ein sehr sehenswerter Film, der das Niveau der beste Tarantinos durchaus erreicht.