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Darf man das? Darf man brisante und konfliktbeladene historische Themen im Gewand eines kolportagehaften Unterhaltungsfilms präsentieren, bei dem Komik und Gewalt zu den zentralen Stilmitteln zählen?

Ähnlich wie bei seinem letzten Film Inglourious Basterds löste Quentin Tarantino bei der Vorstellung von Django Unchained heftige Kontroversen aus, diesmal allerdings vor allem und vornehmlich in seinem Heimatland. Schließlich nahm er hier nicht die dunkelsten Kapitel deutscher und europäischer Geschichte ins vermeintlich respektlose Visier, sondern das inneramerikanische Tabuthema schlechthin. Sklaverei und Rassismus sind in den USA ähnlich verminte Gebiete wie in Deutschland Nationalsozialismus und Holocaust mit einem - allerdings entscheidenden - Unterschied: Während hierzulande beginnend seit den späten 1960er Jahren eine ebenso schmerzliche wie schonungslose Aufarbeitungsarbeit geleistet wurde, verspürte man in den Vereinigten Staaten bis heute wenig Lust sich den Grausam- und Unmenschlichkeiten (neben der Sklaverei wäre da vor allem die Beinahe-Ausrottung der Indianer zu nennen) der eigenen Vergangenheit zu stellen.

Aber Tarantino geht sogar noch einen Schritt weiter. Er legt nicht nur den Finger in diese tiefen von kollektiver Verdrängung mühsam zugeflickten Wunden, sondern tut dies auch noch mit einer gehörigen Portion bissiger Ironie, beißendem Spott und fröhlich respektloser Umdeutung historischer Tatsachen und bietet damit den Opfern der Geschichte eine Illusion von Rache und Genugtuung. Während in Inglourious Basterds ein Spezialtrupp amerikanischer Juden Jagd auf Nazis machte und am Ende gar die versammelte NS-Elite mitsamt Hitler in die Luft gesprengt wurde, darf diesmal ein schwarzer Kopfgeldjäger unter den Rassisten und Unmenschen des amerikanischen Südens um 1850 aufräumen.

Aus einer oberflächlichen Betrachtungsweise heraus kann man diesen Umgang mit der Historie respektlos, anmaßend oder infantil nennen, den Intentionen und dem Anspruch Tarantinos wird man damit aber kaum gerecht werden. Wie die Basterds ist Django alles andere als die provokante Blödelei eines Regie-Kaspers, der um jeden Preis auffallen bzw. sich von der grauen Kollegen-Masse abheben will. In seiner historischen Recherche und Haltung wirkt Tarantino letztlich seriöser als beispielsweise Steven Spielberg, der in seinen explizit auf Authentizität und Wahrheit getrimmten Historienschinken regelmäßig in Pathos versinkt und durch allerlei versteckte Glättungen ein unsauberes Bild abliefert.
Anders ausgedrückt, bei Tarantino sind die fiktiven und utopischen Elemente der Handlung offensichtlich und dienen hauptsächlich einem kartharsischen Zweck. Die finsteren und traumatischen Auswüchse der jeweiligen Historie treten damit nur umso deutlicher hervor und werden nicht etwa verniedlicht, geleugnet oder verbogen.

Aber Django Unchained ist keineswegs „nur" ein etwas anderer Film über ein umbequemes geschichtliches Thema, sondern auch ein vielerlei Hinsicht typischer Tarantino. So treibt er erneut ein überaus cleveres Spiel mit den Erwartungshaltungen des Publikums. So suggerieren Titel, Titelsong und Setting zunächst die Wiedergeburt des Italo-Western. Aber schon mit der Einführung der beiden „Westernhelden" bekommt diese Interpretation deutliche Risse. So entspricht weder der ehemalige schwarze Sklave Django (Jamie Foxx), noch sein Mentor und Kompagnon - der eloquente deutsche Zahnarzt und Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) - den gängigen Heroen-Typen des Spaghetti-Western, auch nicht in seinen zahllosen B-Variationen. Spätestens aber mit dem Beginn der Suche nach Djangos Ehefrau Broomhilda von Shaft und dem Vordringen der beiden in die von der Sklaverei beherrschten Südstaaten ist die obige Genre-Klassifizierung nicht mehr haltbar.  

Ohnehin denkt und dreht Tarantino nicht in Genre-Kategorien, was viel vom subversiven Reiz seiner Filme ausmacht. So gibt es in Django Unchained neben typischen Italo-Western-Motiven auch deutliche Anleihen bei der klassischen US-Variante sowie bei den prachtvollen Studiofilmen der 1940er Jahre (z.B. Anwesen und Interieur des Sklavenhalters Calvin Candie). Darüber hinaus wechseln sich Dramatik, Komik und explizite Gewalt permanent ab und sorgen damit nicht nur für eine emotionale Achterbahnfahrt seitens der Zuschauer, sondern unterlaufen auch geschickt vorherrschende Erwartungen.  

Das eigentliche Herzstück des Films sind aber wieder einmal die famos geschriebenen Dialoge sowie deren Interpretation durch die teilweise grandios aufspielenden Darsteller. Vor allem Christoph Waltz läuft bereits zum zweiten Mal unter Tarantinos Regie zur Höchstform auf und ist der eigentliche Hauptdarsteller des Films. Als deutscher Kopfgeldjäger und Zahnarzt Dr. King Schultz darf er die bissigsten, wortgewandtesten und witzigsten Zeilen interpretieren und meistert diese Aufgabe wie schon als SS-Scherge Hans Landa mit einer beindruckenden Mischung aus eiskalter Präzision, süffisanter Exaltiertheit und hintersinniger Ironie. Leonardo di Caprio wurde von so viel Spielfreude offenbar angesteckt und liefert als perfider Plantagenbesitzer-Snob Calvin Candie eine ebenso grandiose, lustvoll-bösartige Vorstellung. Jamie Foxx dagegen bleibt vor allem im direkten Vergleich eher blass, hat aber auch Western-Helden-typisch weit weniger zu sagen und ist mehr für die coolen Momente zuständig. Ach ja, da wäre noch Tarantino-Muse Samuel L. Jackson (es ist ihr vierter gemeinsamer Film). Als rassistischer, diabolischer, von Selbsthass zerfressener Steigbügelhalter Calvin Candies lässt er einem das Blut in den Adern gefrieren.

Blut ist bei Tarantino natürlich auch in seiner Italo-Western-Hommage ein zentrales Thema. Vor allem im bleihaltigen Finale spritzt der rote Lebenssaft fontänenartig, die Reminiszenz an Sam Peckinpahs Gewaltorgien ist trotz einer bewusst übersteigerten Inszenierung dabei deutlich erkennbar. Zwar sind explizite Gewaltdarstellungen ein beliebtes Stilmittel Tarantinos, dienen hier aber weniger einem unterhaltenden Zweck im Sinne der Kreation denkwürdiger Actionmomente. Während der Schlussakt eine bewusst die historische Realität negierende Kartharsis im Kontext einer erfolgreichen Rachemission anpeilt, sollen die zuvor gezeigten Gewalteruptionen Brutalität und Menschenverachtung der Sklaverei visualisieren, ein Unterfangen - obschon es gelingt - das sogar noch weiter hinter der historischen Wirklichkeit zurückbleibt.
Der Regisseur beweist hier ein untrügliches Gespür für die richtige Austarierung seines Werks, das trotz der ernsten Thematik vor allem unterhalten will und zudem die Liebe des Regisseurs zum Kino an sich sowie seinen häufig belächelten, teilweise auch verpönten Auswüchsen symbolisiert.
Zudem könnte eine wahrheitsgetreue Visualisierung der damaligen Gewalttaten die Zuschauer traumatisieren und dabei die emotionale wie gedankliche Auseinandersetzung mit dem Thema abrupt beenden. Leider gehen am Ende etwas die Pferde der guten Absichten mit Tarantino durch und auch eine nicht unerhebliche Portion Selbstverliebtheit kann man hier durchaus hineininterpretieren. Der doppelte Showdown bremst jedenfalls nicht nur Tempo, sondern vor allem auch Wirkung der reinigenden Rachemission, ein Fehler der bei Inglourious Basterds nicht gemacht wurde.

Gewohnt gelungen, treffsicher und zum Mitraten anregend sind dagegen wider die zahllosen popkulturellen und filmhistorischen Anspielungen, Zitate und Verbeugungen. Und wie es bei Tarantino inzwischen gute Tradition ist, verteilen sich diese sowohl auf visuelle, wie auch auf dialogische und narrative Elemente des Films. Ganz nebenbei erweist Tarantino übrigens auch seiner (seit den Dreharbeiten zu Inglourious Basterds und der damit verbundenen engen Freundschaft mit Christoph Waltz) neu entdeckten Liebe zur deutschen Kultur seine Referenz, indem er nicht nur ausgerechnet einen deutschen (Revolver-)Helden auf  Humanismus-Mission schickt, sondern ihn ganz nebenbei auch noch das Nibelungenlied am Lagerfeuer (wer da nicht an Karl May denkt) nacherzählen lässt. Das Unerwartete ist bei Tarantino also nach wie vor Programm. In diesem Zusammenhang ist auch das „Ausgraben" in Vergessenheit geratener Ex-Stars bzw. interessanter Darsteller, die es nie zu Starruhm gebracht haben, zu sehen. Don Johnson fällt sicherlich in die erstgenannte Kategorie und dankt es seinem Regisseur mit einem köstlichen Auftritt als öliger Plantagenbesitzer. Und „Ur-Django" Franco Neros Tresenplausch mit seinem ungewöhnlichen Epigonen ist pure Kinomagie.

Das gilt weitestgehend auch für das gesamte Werk. Quentin Tarantino gelingt mit Django Unchained erneut das Kunststück, ein ernstes historisches Thema mit einer liebevoll-gelungenen Hommage an ein von vielen als trashig empfundenes Genrekino zu verbinden, ohne dabei die geschichtlichen Opfer der Lächerlichkeit preiszugeben oder sie gar zu verhöhnen. Im Gegenteil. Durch eine beherzte Umdeutung bestimmter Ereignisse ermöglicht er ihnen nicht nur eine Kartharsis in Form eines Traums von Genugtuung durch Rache, sondern zieht auch die von der Thematik nicht betroffenen Zuschauer auf ihre Seite und kommt dabei auch noch ohne den in solchen Fällen üblichen Wirkungsmechanismus von Mitleid, Scham und Reue aus.

Dieses gleichermaßen ehrenhafte wie clevere Ansinnen wird leider durch das übertrieben ausgewalzte doppelte Ende unfreiwillig und vor allem unnötig abgeschwächt. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen. Ob Tarantino sein Anliegen besonders deutlich machen wollte weil es sich um die Geschichte seines eigenen Landes handelte, ist reine Spekulation und letztlich unerheblich. Es bleibt der Fakt, dass ihm der Schlussakkord bei dem in vielen Belangen ganz ähnlich angelegten Inglourious Basterds besser gelungen ist. Das ist allerdings Jammern auf sehr hohem Niveau. Die eingangs gestellte Frage kann jedenfalls mit einem klaren „Ja" beantwortet werden. Man darf. Denn selten wurden die Schrecken und Grausamkeiten der Sklaverei, das ihr innewohnende Perfide und Menschenverachtende, so deutlich wie in diesem vermeintlich leichten und respektlosen Unterhaltungsfilm.

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