Review
von Angst
SPOILER!
2009 starb der gesamte Führungsstab der Nazis. Im Kino. Genauer gesagt: in Inglourious Basterds. Mit völliger Missachtung historischer Fakten und kompromissloser Verehrung des Mediums Film beschwor Quentin Tarantino ein Parallel-Universum, das der jüdischen Rache zelebrierte: „Tod den Nazis! Sie haben es verdient, wer würde dem widersprechen wollen? Wenn es dazu noch coole Schusswechsel und stylishe Dialoge gibt, umso besser.“ Herausgekommen ist ein Guilty Pleasure, wie er im Buche steht. Tarantino spielte mit dem verklemmten Vorwurf, dass man so doch nicht an ein derart ernstes Thema heran gehen könne. Eindrucksvoll zeigte er: Doch, es funktioniert. Und wie!
Ob dieselbe Formel ein zweites Mal funktioniert, zeigt ein Blick auf Django Unchained. Tarantino verlagert das Geschehen auf seinen eigenen Kontinent, genauer in den Süden Amerikas der 1850er-Jahre. Der deutsche Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) befreit den schwarzen Sklaven Django (Jamie Foxx) von seinen Ketten. Schultz nimmt Django unter seine Fittiche. Gemeinsam töten sie böse Menschen. Wobei „böse“ heisst, dass auf sie ein Kopfgeld ausgesetzt ist, ihre Leichen also dazu geeignet sind, beachtlichen Umsatz zu erzielen. Doch als Django kurz davor steht, seinen ersten Ganoven aus der Ferne zu erschiessen, zögert er. Was denn aus dem Kind des Verbrechers werde, will er wissen. Diese Bedenken watscht Schultz mit der Bemerkung ab, dass der Typ eben ein Gauner sei, der Menschenleben zu verantworten hat. Und: „BUMM!“ Das genügt, um Djangos Zeigefinger locker zu machen. Es zeigt uns ausserdem, auf was für einem argumentativen Niveau wir uns bewegen; nämlich auf einem simplen, mechanistischen.
Auge um Auge, Zahn um Zahn: Dieses Motto hat schon Inglourious Basterds beherrscht, insofern die Nazis entmenschlicht und zur Projektionsfläche von Rachephantasien werden. Hier schlüpfen in dieselbe Rolle US-amerikanische Sklaventreiber und Rassisten. Den Vorwurf einer gewissen Beliebigkeit muss sich Tarantino da schon gefallen lassen. Es wirkt so, als hätte er sich an das Rachemotiv festgekrallt und suche nun überall in der Geschichte nach legitimen Objekte dieser Rache. Die Thematik der Sklaverei scheint da eher zufällig; jedenfalls nicht so, als hätte Tarantino unbedingt ein moralisches Statement abgeben wollen. (Denn dass Sklaverei eine verdammte Schweinerei ist, dürfte schon vor Django Unchained hinreichend klar gewesen sein.)
Natürlich ist es verfehlt, Django anhand moralischer Kategorien messen zu wollen. Trotzdem hinterlässt es einen faden Nachgeschmack, wenn das Konzept des Vorgängerfilms – mitsamt seines provokativen Gestus – einfach in eine andere Form gegossen wird. Das ergibt wenig Neues, dafür viel Aufgewärmtes. Aber ergibt es einen schlechten Film? Keinesfalls! Tatsächlich ist Django Unchained eine überaus launige Sache, um nicht zu sagen: eine Riesengaudi. Tarantinos Dialoge sind elegant und pointiert wie eh und je. Ausserdem scheint der Action-Anteil wieder etwas zugenommen zu haben; zumindest das Shootout am Ende ist angenehm ausschweifend ausgefallen. Trotzdem kann sich Django Unchained nicht mit seinem Pendant zum Zweiten Weltkrieg messen.
Woran liegt das? Ein Problem ist, dass der Aspekt der persönlichen Rache unterwandert wurde. Zu Beginn des Films macht Django klar, dass er und seine Frau von den so genannten Brittle Brothers übel misshandelt worden sind. Relativ früh also werden diese drei Sadisten als Feinde installiert. Doch es dauert überhaupt nicht lange, bis Schultz und Django die drei Brüder ausfindig machen und problemlos eliminieren. Das ist holprige Dramaturgie, denn es lässt in der Mitte des Films einen leeren, unmotivierten Raum entstehen, in dem der Zuschauer ungeduldig darauf wartet, bis der neue Feind etabliert ist.
Dieser neue Feind ist Calvin J. Candie (Leonardo DiCaprio), auf dessen Plantage Candyland es unsere beiden Helden verschlägt. Das ist kein Zufall, denn in Candyland wird Djangos Frau Broomhilda (Kerry Washington) festgehalten. Hier zeigt sich ein weiteres Problem: Tarantino hat sich zu sehr auf Waltz’ Figur King Schultz fokussiert. Das Chargieren zwischen Schultz und Candie wird so gross gemacht, dass es Django – die eigentliche Hauptfigur – beinahe absorbiert. Als Schultz und Candie im ersten Showdown dann zeitgleich ins Gras beissen, entsteht wiederum ein dramaturgisches Vakuum. Plötzlich heisst es Django gegen Stephen (Samuel L. Jackson), Candies Lieblingssklaven. Hier scheint Django eher gegen ein Abstraktum – nämlich den schwarzen Rassisten – anzutreten, als gegen eine wirkliche Figur. Auch die Lakaien sind nicht viel mehr als Schiessbudenfiguren, was den zweiten Showdown im Vergleich mit dem ersten inhaltsleer erscheinen lässt.
Erschwerend hinzu kommt, dass Tarantino nur eine einzige Geschichte erzählt, was mit der Zeit ermüdet. Bei Inglourious Basterds gab es immerhin noch mehrere Handlungsstränge, wenn auch längst nicht so verschachtelt wie etwa in Pulp Fiction. Hier aber wird schnörkellos ein Plot durchgezogen, und auch die Vor- und Nachgriffe halten sich in Grenzen. Der Film drückt uns ohne Kompromisse einen einzigen Rachefeldzug aufs Auge. Auch bei Kill Bill war das so, aber es wurde abwechslungsreicher inszeniert, und die Akteure zeigten sich wesentlich plastischer.
Nun, was ist denn mit den Figuren in Django? Christoph Waltz als Dr. King Schultz ist vor allem eines: eloquent. Hier spielt ihm Tarantinos Drehbuch in die Hände, wo es nur kann. Wie schon erörtert, ist diese Ausbeutung des Waltzschen Charismas etwas ungeschickt, da Schultz dadurch den Film völlig an sich reisst. Leonardo DiCaprio findet als Candie eine treffende Balance zwischen Bösartigkeit und Noblesse, setzt sich aber erst gegen Ende so richtig in Szene – das aber mit einiger Durchschlagskraft! Samuel L. Jackson humpelt als alter Sklave Stephen durchs Bild. Seine Performance ist grimmig und stellenweise beunruhigend. Gegen diese drei Charakterköpfe kommen Jamie Foxx (Django) und Kerry Washington (Broomhilda) schlicht und ergreifend nicht an – was ich eher dem Drehbuch, als den Schauspielern ankreide. Die beiden kommen fast nie richtig zum Zuge. Das führt unweigerlich dazu, dass ihr Pärchen fade rüberkommt.
Trotz alledem ist nicht zu bestreiten, dass Django Unchained unwiderstehliche Brachial-Unterhaltung liefert. Die Musikwahl, die Bilder, die Dialoge, die Action: Das ist alles vom Feinsten. Am Schluss bleibt dann aber doch zu hoffen, dass Tarantino dieses Konzept der alternativen, pseudo-moralischen Geschichtsschreibung nicht zu Tode reitet.
7/10